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HERRSCHAFT/1921: Grüner Imperialismus ... (SB)



Als die Kolonisten alle Güter in ihrer unmittelbaren Umgebung aufgebraucht hatten, begannen sie Kriege untereinander zu führen, da jeder den Löwenanteil für sich ergattern wollte. In ihrem Wetteifern um das Recht auf Eigennutz mokierten sie sich über die Regeln der Moral und deuteten es als Zeichen der Überlegenheit, rücksichtslos die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse voranzutreiben. Sie haben das Wasser ausgeschöpft, die Bäume abgeholzt sowie die Oberfläche der Erde zur Wüste gemacht und mit riesigen Gruben durchsetzt. Das Innere der Erde durchwühlten sie wie eine Tasche nach Wertsachen und ließen sie geplündert zurück.
Rabindranath Tagore: The Robbery of the Soil (1922) [1]

Fridays For Future steht Kopf. Greta Thunberg hat sich mit den PalästinenserInnen in Gaza solidarisiert. Dazu steht sie auch nach heftiger Kritik insbesondere aus Deutschland, wo sich FFF von ihrer Initiatorin distanzierte. Unter einem der zahlreichen Links zu Webseiten, die der weiteren Information über den Krieg dienen sollten und auch israelische Menschenrechtsorganisationen umfassten, befand sich eine Gruppe, die die Hamas trotz des von der islamistischen Organisation begangenen Massakers an jüdischen Israelis unterstützt. Diesen Link löschte die Aktivistin und entschuldigte sich dafür, die Opfer der Hamas nicht in ihrer Solidaritätsadresse erwähnt zu haben. Was sie, wie sie erklärte, für selbstverständlich hielt, war es für viele ihrer AnhängerInnen offenkundig nicht.

Es war nicht der einzige Störfall politischer Parteinahme in der bislang heilen Welt der deutschen Sektion von FFF. So hatte eine ihrer SprecherInnen, Elisa Bas, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nach einem Interview mit Bild das Anheizen einer "Pogrom-Stimmung" gegen PalästinenserInnen angelastet. "Es muss sich etwas tun. Die Barbaren sind unter uns", waren Schusters Worte, auf die Bas reagiert hatte. Das wurde von mehreren PolitikerInnen verurteilt und mit der Forderung an FFF, sich von ihrer muslimischen Sprecherin zu distanzieren, quittiert.

Analysiert wird der in der Klimagerechtigkeitsbewegung aufbrechende Konflikt nicht nur anhand der Positionierung in diesem Krieg, sondern zum Verhältnis von Globalem Norden und Süden insgesamt in dem Buch "Judenhass Underground". Koautor Stefan Lauer hält es für einen "Rückschritt", dass unter KlimaaktivistInnen wieder in derartigen Kategorien gedacht wird, seien diese doch grob vereinfachend, indem sie über die vielfältigen Differenzierungen in den jeweiligen Gesellschaften hinweggingen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei dieses "antimperialistische Denken ... aufgebrochen worden". "Antiimperialistische Sichtweisen", die die Welt in Unterdrücker und Unterdrückte einteilten, seien jetzt jedoch auch unter KlimaaktivistInnen wieder häufiger anzutreffen.

Was Lauer unter Verweis auf den heterogenen Charakter jeder dieser zwei politischen Verortungen als unzutreffend kritisiert und in einem Beitrag des Deutschlandfunks zu dem Buch [2] am Beispiel des Konfliktes zwischen Israelis und PalästinenserInnen zum Bild der guten Unterdrückten und bösen Unterdrücker zugespitzt wird, beschreibt die populistisch instrumentalisierte wie massenmedial vermittelte Tendenz, die Welt in leicht verständliche Gegensatzpaare einzuteilen. Während dies im Verhältnis zu Russland zumindest in den NATO-Staaten gut funktioniert, stellt sich in der Bewertung des Verhältnisses zwischen Israelis und PalästinenserInnen ein ganz anderes Bild dar. Während in den Staaten des Globalen Nordens der Krieg gegen die Hamas weitgehend Unterstützung in Politik und Medien findet und dort kategorisch gerechtfertigt wird, versammeln sich auf den Straßen der Städte insbesondere des Globalen Südens, aber auch in westlichen Metropolen mit hohem Anteil an migrantischen Minderheiten immer mehr Menschen, um gegen die Aushungerung und Zerstörung Gazas zu protestieren.


Blick auf Garzweiler II von Norden her - Foto: © 2023 by Schattenblick

Noch viele Jahre Braunkohleverstromung ...
Foto: © 2023 by Schattenblick


Globale Verteilungskämpfe im Brennglas eines Kolonialkonfliktes

Die "Belagerung" der Metropolen durch die Dörfer (...) wird eine ganz neue Aktualität annehmen (...). Die imperialistische Politik wird nichts unversucht lassen, um die Bevölkerung der Industrieländer gegen solche angeblichen Außenfeinde aufzuhetzen, deren Politik ihnen als direkte Bedrohung ihres Lebensstandards, ja ihres Überlebens hingestellt werden wird, um ihre Zustimmung für militärische Operationen zu erlangen.
Hans Magnus Enzensberger: Zur Kritik der politischen Ökologie [3]

Diesem Krieg geht eine jahrzehntelange Geschichte völkerrechtswidriger Besetzung durch Israel und Entrechtung der PalästinenserInnen voraus, die in der Bundesrepublik durchaus von einem Mangel an Empathie begleitet wird, taugte diese spezielle, mit der Geschichte der von Deutschen begangenen Vernichtung der europäischen Juden untrennbar verknüpfte Form der Unterdrückung doch noch nie zu einem medialen Aufreger. Gesellt sich bei jugendlichen KlimaaktivistInnen dazu das Wissen um die historische Benachteiligung der meisten Länder des Globalen Südens durch die Staaten Nordamerikas und Westeuropas inklusive Japans, dann liegt diese grobe Dichotomie erst einmal nahe.

Unzutreffend ist sie in Hinsicht auf die Klassenantagonismen in den ehemals kolonisierten Ländern des Trikont, die die sozialökonomischen Strukturen der europäischen Kolonisatoren meist übernommen und bis heute nicht nur aufrechterhalten, sondern vertieft haben. Die stellvertretend für die Kolonialmächte Herrschaft ausübenden Kompradorenbourgeoisien haben diese Länder einem extraktivistischen Regime unterworfen, an dessen Rohstoffrente sie sich bereichern, während ihre Bevölkerungen mit existenziellen Problemen härtester Art konfrontiert sind. Ihre Einbindung in Weltwirtschaftsstrukturen, von denen vor allem die Kapitale der G7-Staaten und in zunehmendem Masse auch der BRICS-Staaten profitieren, produziert massenhaftes Elend und hinterlässt ökologische Wüsten. Aus diesen müssen die dort lebenden Menschen in immer größerer Zahl fliehen, weil sie durch den Klimawandel und die damit einhergehenden Ernteausfälle unbewohnbar werden, was in ihren Zielländern mit anwachsender Faschisierung quittiert wird.

Die Parteinahme Thunbergs für die PalästinenserInnen findet in den weltweiten FFF-Sektionen weit mehr Zustimmung als in Deutschland auch deshalb, weil diesen niemals eine staatliche Souveränität gewährt wurde, über die selbst die nach wie vor informell kolonisierten Staaten des Globalen Südens verfügen. Für Gaza gilt weiterhin, dass Israel nach internationalem Recht Besatzungsmacht ist, hängt das Leben seiner EinwohnerInnen doch in fast jeder Hinsicht davon ab, ob der von Israel kontrollierte Zustrom von Lebensmitteln, Strom und Wasser aufrechterhalten bleibt. Selbst die Daten der Meldeämter der Hamas-Administration werden Israel tagesaktuell übermittelt, so dass dessen Regierung sehr genau über alles Bescheid weiß, was sich in diesem mit 2,4 Millionen Menschen dicht besiedelten, die halbe Fläche des Stadtgebiets von Hamburg umfassenden Territorium abspielt. Diese hermetische Abriegelung verleiht Gaza den Charakter eines großen Lagers, wie die israelischen Luftangriffe gezeigt haben, denen die Bevölkerung auch nach drei Wochen heftigen Bombardements, das 40 Prozent aller Gebäude zerstört hat, nicht durch Flucht über die Grenze ausweichen kann.

Zwar haben sich in den vor allem durch Geldmittel der EU alimentierten Gebieten der PalästinenserInnen oligarchische Strukturen ausgebildet, doch die meisten dort lebenden Menschen sind um ein Mehrfaches ärmer als der Durchschnitt der Bevölkerung Israels inklusive ihrer arabischen Minderheit. Wird das Westjordanland durch den stetig zunehmenden Siedlerkolonialismus immer weiter fragmentiert, so dass die räumliche Integrität für eine palästinensische Eigenstaatlichkeit längst nicht mehr gegeben ist, so ist Gaza durch den Machtkampf zwischen Hamas und der PLO-Regierung in Ramallah in besonderer Weise isoliert. Um so mehr wird der palästinensische Klassenkonflikt durch die soziale Asymmetrie zwischen dem Staat Israel und den Bevölkerungen Gazas und Westjordanlands überlagert.

Erschwerend hinzu kommt der patriarchale Charakter der Administrationen in Ramallah und Gaza. Frauen, um von dritten Geschlechtern ganz zu schweigen, befinden sich in einer Situation mehrfacher Unterdrückung - durch die antifeministische Doktrin des Islam, durch politische Repression insbesondere der Hamas, durch die ihnen zugewiesene Aufgabe, die soziale Reproduktion unter dem Mangel- und Gewaltregime der Okkupation zu organisieren, durch den Verlust ihrer Kinder im Krieg und durch den Widerspruch zwischen maskulinen Rollenbildern und deren Negation im Status der Okkupierten. Diese Seite der Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung bleibt erst recht unerwähnt, machte sie doch deutlich, dass die von der israelischen Regierung beabsichtigte Elimination der Hamas nicht zum Ziel hat, unter PalästinenserInnen jene sozialen Rechte herzustellen, die die BürgerInnen Israels als liberale Demokratie westlicher Machart genießen, wenn sie ihnen vor allem Tod und Verderben beschert.


Tripod mit Plattform auf Wiesenbesetzung am Hambi - Foto: © 2023 by Schattenblick

Aufmerksamkeit schützt gegen Überraschungen
Foto: © 2023 by Schattenblick


Antisemitismusvorwurf paradox

FFF-AktivistInnen, die sich gegen diesen Krieg aussprechen, unnachsichtig Antisemitismus vorzuwerfen hat System. "Wie Greta Thunberg das Klima vergiftet" so der Titel eines Kommentars im Spiegel (24.10.2023), in dem der Aktivistin das Verbreiten von "Desinformation" und die wissentliche Irreführung "junger Menschen, die ihr vertrauen und glauben" vorgeworfen wird, erhebt das explizite Bekenntnis zu den Leiden jüdischer Opfer zu einer einseitigen Verpflichtung. Deren Missachtung scheint auch durch Thunbergs Entschuldigung, sie habe es für selbstverständlich gehalten, dass sie gegen die schrecklichen Angriffe der Hamas sei, nicht mehr korrigierbar zu sein, wie die nunmehr einhellige Ablehnung, mit der sie in deutschen Medien traktiert wird, belegt. Mitgefühl als rhetorische Bringschuld einzufordern und nicht allen von diesem Krieg unschuldig Betroffenen in gleichem Maße zuzugestehen hat mit echter Empathie wenig zu tun, mit der ideologischen Einhegung anwachsenden Protestes aber um so mehr.

"'Abschaffung der weißen Vorherrschaft' - das absurde Weltbild der Fridays-Sprecherin" überschreibt der Focus (17.10.2023) einen Beitrag über Elisa Bas. Die inkriminierten Worte sollen im Umfeld der Räumung des Dorfes Lützerath im Januar gefallen sein und werden nun von diversen Zeitungen aufgegriffen, um Bas einen politischen Standpunkt zur Last zu legen, der Weiße Suprematie für Ausgrenzungsprozesse verantwortlich macht: "Und so lange diese Unterdrückungsstrukturen existieren, ist es normalisiert, zu marginalisieren. Und die Abschaffung der Weißen Vorherrschaft ist deshalb für alle von Vorteil." Als Frau und Muslimin weiß Bas aus eigener Erfahrung von Diskriminierung zu berichten und spricht damit etwas an, das MigrantInnen so häufig erleben, wie weiße, in den Metropolen eurozentrischer Selbstherrlichkeit sozialisierte Cis-Männer eben nicht. Rassistische Unterdrückungserfahrungen sollen nicht als Problem in Erscheinung treten, seien also "absurd".

Zahlreiche AktivistInnen haben im Verlauf ihrer Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe gelernt, dass der transatlantische Sklavenhandel, die von ihm befeuerte Plantagenökonomie und die mit indigener Zwangsarbeit betriebene Extraktion mineralischer Rohstoffe die materielle Basis für einen Reichtum geschaffen haben, der die mit fossiler Energie betriebe Explosion industrieller Produktivkräfte erst ermöglicht hat. Der von Europa ausgehende Kolonialismus bediente sich dabei einer Erlösungsreligion, die die von der Erbsünde in Schuld geworfenen und daher der Unterwerfung unter den stets männlich konnotierten Gott genötigten Menschen gerade deshalb über andere Lebewesen erhob, weil diese in der sinnlichen Sphäre ihrer Selbstgenügsamkeit in ihrem naturgemäßen Zustand verblieben waren. Dem christlichen Schöpfergott zu folgen in Hoffnung auf das Ende aller Schuld im Jenseits wurde mit der Herrschaft über das Diesseits vergolten, die unentgeltliche Aneignung der Erde mit all ihren Lebewesen zum Sakrament erhoben. In diesem Akt patriarchaler Machtausübung war die ideelle Grundlage der kapitalistischen Eigentumsordnung bereits angelegt, so dass die Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass die zum Leben erforderlichen Gemeingüter privat angeeignet und vielen Menschen zum Preis ihres mangelbedingten Sterbens vorenthalten werden, nicht zum Glaubenskanon der meisten ChristInnen gehört.

Die raumgreifende Aggressivität dieser Welteroberung nahm den damit implementierten Mensch-Natur-Dualismus in Anspruch, um nach Belieben über die Arbeitskraft all derjenigen zu verfügen, die sich ihrem Gott nicht unterwarfen. Dessen letztinstanzliche Definitionsmacht legitimierte die Domestizierung von Tieren, deren mechanische Dienstleistungen in ihrer großen Bedeutung für die zivilisatorische Produktivkraftentwicklung oft übersehen werden. Als nicht nur aufgrund ihrer anderen Hautfarbe, sondern auch "unzivilisierten" Lebensweise als "wild" und "primitiv" herabgewürdigte Indigene konnten nicht minder zur Arbeit gezwungen werden, da sie in der Hierarchie des göttlichen Plans kaum über den Tieren, aber auf jeden Fall unter jenen Menschen rangierten, die sich durch ethnische Zugehörigkeit, zivilisatorischen Entwicklungsstand und Weißsein für diesen Status qualifizierten.

Die in den Kreuzfahrten des Mittelalters, die sich auch gegen den inneren Feind christlicher Gemeinschaften richteten, die die Lehre Jesu wörtlich nahmen und eine Art von eigentumslosen Urkommunismus anstrebten, gegen Islam und Judentum gerichtete Identität war eurozentrisch und patriarchal bestimmt. Dieses Selbstverständnis hat die bürgerliche Aufklärung ebenso überlebt wie den Universalismus der Menschenrechte. Wieso waren die Leben der Menschen im Globalen Süden bei der Impfstoffproduktion weit weniger wichtig als die Versorgung Nordamerikas, EU-Europas und Japans? Wieso war der horrende, von Saudi-Arabien mit Deckung durch die USA geführte Krieg im Jemen im Horizont westlicher Medien kaum wahrnehmbar, während der Angriff Russlands auf die Ukraine angeblich eine "Zeitenwende" auslöste? Wieso werden die jahrzehntealten Leiden der PalästinenserInnen nicht annähernd gleich gewichtet wie die der Israelis nach dem Angriff der Hamas? Wieso wird die kleine Zahl von Flüchtenden, die unter lebensgefährlichen Bedingungen über das Mittelmeer in die EU kommen, vom Bundeskanzler populistisch verwertet und von einem Jens Spahn zum Anlass genommen, zu ihrer gewaltsamen Abwehr aufzurufen, während die ungleich größere Zahl ukrainischer Kriegsflüchtlinge kaum Erwähnung findet? Wieso hungern rund 800 Millionen Menschen, ohne dass dies täglich skandalisiert wird?

Fragen wie diese sind orientiert auf einen Anspruch an universale Gleichheit, der auf Papier noch so häufig niedergeschrieben werden mag, als dass seine Einlösung sich als bloßes Wunschdenken erweist. Die idealistische Rhetorik des Humanismus wird derart überzeugend widerlegt, dass sie als freischwebende Glaubensinstanz vor allem dann Verwendung findet, wenn es denjenigen, die sie beschwören, mehr nützt als schadet. Das heißt nicht, dass die Idee prinzipieller Gleichheit nicht vertreten werden sollte inklusive ihrer Implikationen wie Minderheitenrechte, Antidiskriminierungspolitik und Anspruch auf politisches Asyl. Mit ihrer Durchsetzung gegen herrschende Interessen anzutreten kann jedoch eine Aufgabe von womöglich tödlicher Konsequenz sein, wie die zahlreichen ermordeten AktivistInnen und JournalistInnen belegen, die sich für die Sache der unter die Räder kapitalistischer Verwertungsinteressen geratenen Lebewesen einsetzen.

Es ist denn auch kein Zufall, dass KlimaaktivistInnen in scharfen Gegenwind geraten, wenn sie sich mit ihrem Anliegen auf politische Felder begeben, die nur vordergründig nichts mit der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen zu tun haben. Als Greta Thunberg "Stand with Ukraine" auf ihr Plakat schrieb, wurde das als Verstärkung einer Politik begrüßt, die mit den NATO-Staaten konform ging und sich gegen einen äußeren Feind richtete. "Stand with Gaza" hingegen wird als antisemitischer Affront und provokanter Bruch mit dem Wohlwollen verurteilt, das FFF bisher in Politik und Medien entgegengebracht wurde. "Teile der Klimabewegung sind gerade dabei, ihre wichtigen Verdienste zum Klimaschutz vollständig in die Tonne zu treten", erklärt etwa der Grünen-Politiker Danyal Bayaz. Der Finanzminister Baden-Württembergs meint damit nicht etwa die in seiner Partei erfolgte Hinwendung zu militärischer Durchsetzung deutscher Staatsinteressen, sondern das Eintreten für Opfer einer Besatzungspolitik, die für die Taten einer Miliz bestraft werden, der sie weder angehören noch deren Ziele gutheißen müssen, um den höchsten Preis für gar nichts zu zahlen.


Baumhaus mit Fahne und Teufelsbild im Hambi - Foto: © 2023 by Schattenblick

Waldteufel bleib wachsam
Foto: © 2023 by Schattenblick


"Was hat das alles mit Klimaschutz zu tun?"

Einer der häufigsten, in sozialen Medien weitverbreiteten Einwände gegen das Engagement Thunbergs und anderer FFF-AktivistInnen für die Beendigung des israelischen Besatzungsregimes in Palästina besteht denn auch in der Behauptung, das alles habe nichts mit Klimaschutz zu tun. Stellungnahmen dieser Art wollen nichts wissen von der historischen Vorgeschichte extremer Naturausbeutung wie der kolonialistischen Landnahme im Globalen Süden, der Ursprünglichen Akkumulation und Zerstörung kollektiv nutzbarer Gemeingüter, der Durchsetzung des Wachstumsprimats unter Ausblendung seiner stofflichen Grundlagen in den Kategorien abstrakter Tauschwertlogik, der Zurichtung der Menschen zu LohnarbeiterInnen, Marktsubjekten und VerbraucherInnen und der imperialistischen Aufteilung der Welt im Kampf der Nationalstaaten um schwindende Rohstoffquellen.

Der aller sozialen Gewaltverhältnisse enthobene Klimaschutz ist ein technisch-politisches Artefakt, das der Vorstellung entspringt, alles gehe im Prinzip so weiter wie bisher, wenn nur marktwirtschaftliche Lösungen der sogenannten Dekarbonisierung wie eine Bepreisung des Verbrauches fossiler Energie und der Freisetzung klimawirksamer Gase ergriffen würden. Am Primat wirtschaftlichen Wachstums soll ebenso wenig gerüttelt werden wie an der Durchführung vermeintlicher Ordnungskriege, die Reduzierung des Menschen auf eine konsumistische Monade, die die Kapitalakkumulation mit zahlungsfähiger Nachfrage vorantreibt, bleibt ebenso aufrechterhalten wie die Kommodifizierung nichtmenschlichen Lebens in Form sogenannter Ökosystemdienstleistungen. Dass jegliche Quantifizierung von Lebensprozessen die Möglichkeit, dass einer Pflanze oder einem Tier Subjektivität zuzugestehen sei, von vornherein negiert und jeden Bioorganismus, der sich nicht als menschlich qualifizieren kann, dem Verbrauch überantwortet, ist im Horizont eines auf Verwertbarkeit sogenannter Ressourcen ausgerichteten Klima- und Naturschutzes erst recht nicht vermittelbar.

Da die Nutzung nichtmenschlichen Lebens als Rohstoffquelle und Abfalldeponie des fossilen wie grünen Kapitalismus so selbstverständlich erfolgt, dass die stoffliche Basis aus Energie, Mineralien und Wasser lediglich unter Kostengesichtspunkten und der daraus vermeintlich resultierenden Lenkungseffekte betrachtet wird, während die längst überschrittenen Grenzen ökologischer Belastbarkeit ignoriert werden, wird die Notwendigkeit einer umfassenden Verbrauchsreduktion bestritten und am imperialistischen Charakter unverzichtbarer Expansion festgehalten. Die Reproduktion verbrauchter Naturgüter kann nurmehr durch globalisierte Stoffströme kompensiert werden, die durch Kapitalgefälle und Handelswege zwischen Hoch- und Niedriglohnländern dynamisiert werden. Verbraucht wird, was bezahlbar ist, ohne zu beachten, dass die von einer Explosion hochverdichteter Energieagentien angetriebene Beschleunigung zivilisatorischer Entwicklung auf eine Kulmination zurast, die mit den in Aussicht gestellten technologischen Lösungen nicht mehr einzuhegen sein wird.

Nur der Erschließung fossiler Energie und der daraus erwirtschafteten Vervielfachung kostengünstiger mechanischer Arbeit in Landwirtschaft, Bergbau, Fabrik und Verkehr ist es zu verdanken, dass immer mehr Menschen auch in weiter räumlicher Entfernung von den physischen Grundlagen ihrer biologischen Reproduktion ein immer längeres Leben führen konnten. Malthus hat vor allem da geirrt, wo er lediglich die verfügbare Ackerfläche zur Basis seiner Kalkulation zur Bevölkerungsentwicklung machte. Die vielfache Arbeitsleistung hochverdichteter fossiler Energie, deren bislang geförderte Gesamtmenge mit ansteigender Tendenz zu 90 Prozent in den letzten 80 Jahren verbraucht wurde, erhöhte nicht nur die Produktivität der Landwirtschaft, sondern aller Industrien, die zur Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern beitrugen. Die Schattenseite dieser Produktionsweise liegt in einem der Wiederherstellung der Lebensgrundlagen davonlaufenden Verbrauch und einer Belastung aller Ökosysteme inklusive der atembaren Atmosphäre bis zur Schwelle des Eintretens destruktiver Gegenentwicklungen und ihres vollständigen Kollabierens.

Ausgehend von einer bis zu drei Millionen Jahren in die Tiefe der Zeit reichenden Anwesenheit menschlichen Lebens und der seit 300.000 Jahren nachweisbaren Existenz des Homo Sapiens umfasst das von planmäßigem Ackerbau und beginnender Urbanisierung gekennzeichnete Stadium der Zivilisation lediglich 10.000 Jahre. Nur 200 Jahre sind vergangen, seit die über Jahrtausende mit einigen hundert Millionen Menschen relativ stabile Weltbevölkerung die Schwelle zur ersten Milliarde überschritten hat. Von dort aus dauerte es dank der Dynamisierung der Produktivkräfte durch neue Energieformen und Großtechnologien nur noch bis 1928, dass die Zahl von 2 Milliarden Menschen erreicht wurde. In weniger als einem Jahrhundert wurde die Schwelle zu 7 Milliarden Menschen überschritten, während der globale Bevölkerungsanstieg auf 8 Milliarden im November 2022 nurmehr 11 Jahre bedurfte. Das bedeutet eine Vervierfachung der Weltbevölkerung in weniger als 100 Jahren. Prognostiziert wird ein weiterer Anstieg bis 2080, wo mit 10,4 Milliarden Menschen der Gipfel des globalen Bevölkerungswachstums erreicht worden sein soll.

Diese exponentiell ansteigende Kurve ist ein Beleg dafür, dass die kapitalistische Orientierung auf Wirtschaftswachstum auf einem Planeten endlicher Verfügbarkeit von Rohstoffen und ökologischer Belastbarkeit an Grenzen stößt, die nicht, wie behauptet, allein durch technologische Innovation und eine Entkopplung ihrer materiellen Basis mittels Effizienzsteigerung überwunden werden können. An der biophysikalischen Materialität der Lebensprozesse führt kein Weg vorbei, auch nicht der transhumanistische einer Auswanderung ins All, die mit der höchst menschenfeindlichen Ideologie einhergeht, schon heute den Ressourcenverbrauch von morgen zu betreiben, sprich Milliarden über die Klinge der Überlebenslogik einer kleinen Minderheit Privilegierter springen zu lassen.


Rote Warnweste mit Aufschrift 'Sackgasse hier ist bald Ende' - Foto: © 2023 by Schattenblick

Finale Aussichten nicht nur für die von RWE stillgelegte L12 von Holzweiler nach Keyenberg
Foto: © 2023 by Schattenblick


Das Wissen um kommende Katastrophen wird überschätzt

Naturforschern wie Alexander von Humboldt fiel schon vor fast 200 Jahren auf, dass der Einfluss menschlicher Aktivitäten auf intakte Landschaften durch "Abholzung, rücksichtslose Bewässerung und (...) die 'Entwicklung großer Dampf- und Gasmassen an den Mittelpunkten der Industrie'" [4] zerstörerische Folgen langfristiger Art zeitigen und Klimaveränderungen hervorbringen werde. Auch der sich an Humboldt orientierende Charles Darwin erkannte Zusammenhänge zwischen verschiedenen Ökosystemen, so in seiner Abhandlung über den Seetang an der Küste Feuerlands, dessen Vernichtung "wie die Zerstörung eines tropischen Waldes (...) den Verlust unzähliger Arten und vermutlich auch den Untergang der indigenen Bevölkerung Feuerlands nach sich ziehen" würde. [5]

Seit dem Beginn der Industrialisierung der Landwirtschaft vor 150 Jahren nahmen die Landschaften des US-amerikanischen Westens in drastischem Tempo den Charakter einer Weiden- und Ackerbaulandschaft an, so dass schon bald die ersten Naturparks entstanden, um noch etwas von der urtümlichen Wildheit der kolonisierten Indigenengebiete zu erhalten. Heute sind rund 70 Prozent der damals intakten Böden vernichtet durch Überdüngung und Pestizideinsatz, so dass die damit gesteigerten Ernteerträge einen immer höheren Input unter Einsatz fossiler Energie aufwendig hergestellten Mineraldüngers bedürfen.

1824 veröffentlichte der Mathematiker Joseph Fourier einen Artikel über seine Erkenntnisse zum Wärmeaustausch der Erde und beschrieb damit modellhaft die physikalischen Voraussetzungen dessen, was heute als Treibhauseffekt manifest ist. 1859 wies der Physiker John Tyndall nach, wie verschiedene atmosphärische Gase die Abstrahlung von Hitze ins Weltall und damit eine klimabedingte Erderwärmung bewirken. 1896 schließlich sagte der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius eine globale Erwärmung aufgrund anthropogener CO2-Emissionen voraus. Seit 125 Jahren ist also bekannt, dass der industrielle Brand und eine Nutzung fossiler Brennstoffe, die millionenfach schneller erfolgt als ihre historische Anreicherung in der Erde, zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur führen.

1962 stieß die Biologin und Wissenschaftsautorin Rachel Carson mit ihrem Buch "Silent Spring" die Entstehung der modernen Umweltschutzbewegung an. Ihre Erkenntnisse über die verheerenden Auswirkungen des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft auf alle Natursysteme kam spätestens im Juni 1969 auch in der BRD an, als eine Einleitung des neurotoxischen Insektizids Endosulfan in den Rhein zu einem umfassenden Fischsterben führte. In den USA hatte derweil die Hippiebewegung unter Jugendlichen ein neues Bewusstsein im Umgang mit natürlichem Leben geschaffen, was die Entstehung sozialer Bewegungen anstieß gegen Naturzerstörung, für kollektives Leben in Landkommunen, gegen die Ausbeutung der Tiere und Pflanzen, der Erde und des Wassers, gegen den destruktiven Massenkonsum am Fließband produzierter Verbrauchsgüter, gegen die kapitalistische Fabrikgesellschaft und ihre Kulturindustrie als auch einen sozialistischen Produktivismus, der nicht akzeptieren wollte, dass bereits Karl Marx vor der Zerstörung des Arbeiters und der Natur durch kapitalistische Mehrwertproduktion gewarnt hatte.

Von heute aus betrachtet liegen seit mindestens 50 Jahren alle wichtigen Erkenntnisse nicht nur dazu vor, sondern wurden auch in der Breite der Bevölkerungen des Globalen Nordens wahrgenommen, was hätte getan werden müssen, um den Widerspruch zwischen Wachstum und Reproduktion auf eine Weise bearbeiten zu können, dass daraus eine weniger drastische Bedrohung als die Überschreitung diverser Belastungsgrenzen der Ökosysteme resultiert hätte. Die Annahme, rationale Erkenntnis führe zu adäquatem Handeln, wurde eindrucksvoll widerlegt. Wissen wird überschätzt, Information sowieso, die meisten Menschen sind vollauf damit zufrieden, wenn sie alltägliche Bedürfnisse befriedigen, mit ihrem vertrauten sozialen Umfeld verkehren und naheliegende Ziele verfolgen können. Nicht umsonst hat sich mit den Plattformen der großen Tech-Konzerne eine Informationsindustrie herausgebildet, die mit der Bewirtschaftung menschlichen Verhaltens eine völlig neue Form des Kapitalismus hervorgebracht hat.

Selbst der Zusammenhang zwischen Naturzerstörung und kapitalistischer Mehrwertproduktion wie sozialistischer Produktivkraftentwicklung ist seitdem bekannt, nachzulesen im Kursbuch 33 zu "Ökologie und Politik oder die Zukunft der Industrialisierung" vom Oktober 1973 und dem im August 1975 in Buchform herausgegebenen Gespräch mit dem marxistischen Philosophen und SED-Dissidenten Wolfgang Harich "Kommunismus ohne Wachstum?". Ökologisch fundierte Wachstums- und Technologiekritik war spätestens seit der 1972 erschienenen MIT-Studie "Limits of Growth", die weitgehend bekannte Daten erstmals mit Computertechnik prognostisch auswertete, ein vordringliches Thema in linksintellektuellen Kreisen. Klaus Traube, Carl Amery, Ivan Illich, Hoimar von Ditfurth, Robert Jungk und Horst Stern gehörten zu den prominenten Intellektuellen der Umweltdebatte in der BRD, aus der heraus sich 1980 die heutige Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen formierte.


Plakate für Klimacamps in Manheim 2012 und in Borschemich 2014 - Fotos: 2023 by Schattenblick Plakate für Klimacamps in Manheim 2012 und in Borschemich 2014 - Fotos: 2023 by Schattenblick

Freiräume für Klimaaktivismus im Nirgendwo
Fotos: 2023 by Schattenblick


Expansives Wachstum schlägt regeneratives Potential

All das hat zu nichts anderem geführt als dass die allgemeinen Verbrauchsindikatoren trotz der allmählichen Umstellung auf erneuerbare Energie parallel zur allgemeinen Bevölkerungsentwicklung im globalen Durchschnitt immer weiter zunahmen. Bis heute weist die Produktion und Nutzung fossiler Energie in eine Richtung - nach oben. Die aus ihrem physikalischen Arbeitskraftäquivalent, das um ein Vielfaches höher ist als die dem Menschen mögliche mechanische Leistungsfähigkeit, gewonnene Produktivitätszunahme wird in erster Linie für den Konsum von Verbrauchsgütern, die Konstruktion urbaner wie handelsstrategischer Infrastrukturen und nicht zuletzt die Produktion von Rüstungsgütern eingesetzt. Unabhängig davon, ob dies in China, der Türkei oder Deutschland geschieht, hinterlassen die Brandherde fossilen Wachstums auf dem einzigen uns zur Verfügung stehenden Planeten tiefe Spuren auf lange Sicht unumkehrbarer Zerstörung.

Homo Sapiens hat sich so erfolgreich zu Lasten anderer Spezies durchgesetzt, dass er heute 34 Prozent der Biomasse aller Säugetiere ausmacht. Die von ihm domestizierten "Nutztiere", zu denen auch die Fische der marinen Massentierhaltung zählen, die heute mehr als die Hälfte aller Meeresprodukte herstellt, produzieren neben tierischem Eiweiß in Form von Fleisch, Milch und Eiern Grundstoffe für die Bekleidungs- und Chemieindustrie, für die Pharma- und Kosmetikkonzerne als auch zur Erzeugung von Biokraftstoffen. Auf diese zu lebenden Bioinkubatoren zugerichteten Tiere entfallen 62 Prozent dieser Biomasse. Demgegenüber hat sich die Biomasse der auf dem Land wild lebenden Säugetiere auf 2 Prozent reduziert, weitere 2 Prozent bestehen aus den Säugetieren in den Ozeanen.

Alle anderen Spezies wurden vom expansiven Streben des Homo sapiens an den Rand gedrängt oder über ihn hinaus gekippt, so dass der größte Teil der Tiere, die sich die Welt mit ihm teilten, heute als "ausgestorben" gilt - ein vornehmer Euphemismus für den Gewaltcharakter dieses Vorgangs. Der Mensch hat die Welt in einen gigantischen Schlachthof und und eine agroindustrielle Einöde verwandelt, was nur mit der immensen Leistungsfähigkeit fossiler Energie möglich war. Sie stellt den Grundstoff für mineralischen Dünger ebenso dar wie den Treibstoff der Fahrzeuge, die die Äcker bewirtschaften und die Ernten transportieren, als auch den Brennstoff für die Maschinen der Mühlen, Lebensmittelfabriken und Bäckereien.

Selbst wenn dafür elektrischer Strom verwendet wird, ändert das nichts an Verbrauchskaskaden, die man den dabei erzeugten Produkten nicht ansieht. So wurde für das Melken einer Kuh einst eine halbe Stunde benötigte, während vollautomatisierte Melkmaschinen dies heute in einem Bruchteil dieser Zeit vollziehen, dafür aber umgerechnet 400 mal so viel Energie wie ein Mensch verbrauchen. Diese Art von Effizenzsteigerung ermöglicht nur deshalb erschwingliche Milchpreise, weil die Umweltkosten der Kuhhaltung wie insbesondere des Ausstoßes klimaschädlichen Methans kostenlos bleiben - die Atmosphäre als Gratisdeponie - und fossile Energie nach wie vor im Verhältnis zu ihrer am Menschen bemessenen Arbeitskraft konkurrenzlos billig ist.

Hochverdichtete fossile Brennstoffe durch elektrischen Strom aus erneuerbarer Produktion zu ersetzen ist bislang nicht unter allen Umständen möglich. Hinzu kommt die wachsende Anforderung der geplanten Dekarbonisierung. Strom aus Photovoltaik und Windkraft ist hoch begehrt, denn er soll überall einspringen, wo der Verbrauch von Öl, Gas und Kohle diesem Ziel im Weg steht. Schließlich müssen auch die technischen Anlagen zur grünen Energieproduktion gewartet und nach einigen Jahrzehnten weitgehend erneuert werden. Dadurch ist streng genommen lediglich der Durchfluss von Wind- und Sonnenenergie erneuerbar, nicht jedoch die technische Voraussetzung ihrer Freisetzung.


Stillgelegte Straßen im Rheinischen Braunkohlerevier - Fotos: © 2023 by Schattenblick Stillgelegte Straßen im Rheinischen Braunkohlerevier - Fotos: © 2023 by Schattenblick Stillgelegte Straßen im Rheinischen Braunkohlerevier - Fotos: © 2023 by Schattenblick

Verkehrsinfrastruktur der Zukunft
Fotos: © 2023 by Schattenblick


Fossile Kriege und zynische Realpolitik

Das Greening des Imperialismus findet vor allem dort statt, wo sich die meisten Lagerstätten der dafür erforderlichen Mineralien und sonnenbeschienene Flächen für eine zuverlässige Stromausbeute befinden. Diese Zonen liegen zum größten Teil im Globalen Süden oder aber in Russland. In beiden Fällen ist mit Problemen zu rechnen wie der Vertreibung indigener Bevölkerungen aus den Fördergebieten des expansiven Bergbaus, der ökologischen Zerstörung durch die anwachsende Zahl von Klärschlammbecken und bei der Förderung verwendeter Chemikalien oder dem Ausbrechen neuer Kriege. Pipelines etwa durch das von Marokko völkerrechtswidrig besetzte Gebiet der Westsahara zu legen, um mit erneuerbarer Energie produzierten Wasserstoff Richtung Europa zu transportieren, ist nicht nur gegenüber den dort lebenden Sahrauis illegal, sondern trägt den Keim weiterer militärischer Konfrontationen in sich.

Allein die zu entwickelnde Speichertechnologie und der Rohstoffbedarf für die zahlreichen Batterien, die nicht nur der elektrifizierte Straßenverkehr benötigen wird, sind Einfallstore für widerstreitende Interessen aller Art. Die Landnutzung für die Förderung mineralischer Rohstoffe und den Transfer von Energie bringt ganze Apparate militärischer Absicherung hervor, wie etwa die heftigen Kämpfe zur Verhinderung des Baus der Dakota Access Pipeline gezeigt haben, aufgrund derer eine vorläufige Stilllegung erreicht werden konnte. Die vor allem indigenen AktivistInnen wurden des inländischen Terrorismus bezichtigt und traten nicht nur gegen staatliche Gewaltorgane, sondern auch die Militärfirma TigerSwan [6] an, die bereits für die US-Regierung in Afghanistan und im Irak tätig war.

Der Widerstand gegen Bergbauunternehmen im Globalen Süden, wo die noch am leichtesten zu erschließenden Lagerstätten der für die Erneuerbaren erforderlichen Mineralien liegen, nimmt weiter zu. Da zuerst diejenigen Vorkommen abgebaut werden, die die geringsten Kosten erzeugen, werden alle Prozesse, bei denen Erde bewegt und Abfall produziert wird, im Laufe der Zeit im Verhältnis zum Ertrag aufwendiger. Das heißt pro Einheit des begehrten Rohstoffes fallen mehr Giftstoffe an und wird mehr Wasser verseucht. Gleiches gilt für den Anbau von Feldfrüchten mit Mineraldünger und den dafür erforderlichen Rohstoffen wie Phosphaten.

Bei neuen Kriegen wie in der Ukraine und in Gaza spielen Rohstoffinteressen zumindest mittelbar eine Rolle. So befinden sich im Radius von 1000 Kilometern um Israel mehr als 50 Prozent aller aktiven Erdöl- und Erdgasförderstätten. In 30 Kilometer Entfernung vor der Küste von Gaza liegt ein nicht geringes Gasvorkommen im Meer, dessen Ausbeutung einem palästinensischen Staat erhebliche Einkünfte bescheren könnte. Sicherlich ist das kein primäres Motiv zur Durchführung eines derart vernichtenden Krieges, doch zur Eskalation eines Kolonialkonfliktes gehören mindestens zwei Parteien, in diesem Fall jedoch deutlich mehr, und das hat auch mit ressourcenstrategischen Interessen zu tun.

So war Israel für die USA immer ein Vorposten ihrer Hegemonialpolitik in Westasien, während die EU alle Mühe hat, im Rennen um regionalen Einfluss nicht abgehängt zu werden, gerade weil die Bundesregierung nach der Aufkündigung der Energiepartnerschaft mit Russland dort mehrere Eisen im Feuer hat. Der türkische Präsident Erdogan spielt wie üblich seine Karten so aus, dass er mit diversen Akteuren kontroverser Art paktiert. Während er sich als Schutzherr der PalästinenserInnen aufspielt und gleichzeitig KurdInnen umbringen lässt, die ebenfalls Gefahr laufen, zwischen den in Westasien konzentrierten Großmachtinteressen zerrieben zu werden, bietet er der Führungsriege der Hamas in der Türkei Zuflucht und sogar die türkische Staatsbürgerschaft an. Wer vermutete, dass ihm deshalb von anderen NATO-Staaten Schwierigkeiten bereitet würden, hat noch nicht begriffen, dass die Türkei eine Art Joker ist, der von verschiedenen Parteien ins Spiel gebracht wird.

Wer sich in der Staatenkonkurrenz darauf einlässt, für die eine oder andere Seite Sympathien zu entwickeln, vergisst leicht, dass es sich um Machtapparate handelt, deren Kalkül ausschließlich strategischer Art und deren Staatsräson ein Mittel zu diesem Zweck ist. Gerade die ideologisch aufgeladene Parteinahme für Israel, die die Bundesregierung mitverantwortlich macht für die Durchführung eines Krieges gegen Frauen und Kinder, ist ein Beispiel für die verhängnisvollen Zwangslagen, in die der Widerspruch zwischen moralischem Werteprimat und machtpolitischer Realpolitik führen kann. Im Zweifelsfall wird der blutige Ertrag derartiger Drahtseilakte Menschen abverlangt, die in diesem zynischen Interessenabgleich keine Stimme haben.

Die nach wie vor hohe geostrategische Bedeutung fossiler Energie wird auch durch die Sprengung der Pipeline Nord Stream 2 belegt, hat diese doch die westeuropäischen NATO-Staaten in eine unkomfortable Abhängigkeit von den USA gebracht, deren Energiewirtschaft nun die Preise für LNG-Lieferungen bestimmen kann, das ökonomisch wie ökologisch sehr viel teurer ist als das zuvor von Russland bezogene Erdgas. Ob dessen Präsident Putin, der sein Studium mit einer Dissertation über strategische Fragen der Rohstoffproduktion abgeschlossen hat, die Ukraine zum Teil auch deshalb angriff, um einen Energiekrieg gegen die europäischen NATO-Staaten zu führen, kann zumindest nicht ganz ausgeschlossen werden.


Videoüberwachung am Tagebau Garzweiler II - Foto: © 2023 by Schattenblick

Energieproduktion unter Beobachtung
Foto: © 2023 by Schattenblick


Die Militarisierung des Grünen Kapitalismus

Die zentrale Frage, wofür der aus erneuerbaren wie fossilen Quellen gewonnene Treibstoff oder Strom verwendet wird, ist eigentlich für Gesellschaft und Politik viel zu wichtig, als über den Preis beantwortet zu werden. Soll der Energieträger Wasserstoff im motorisierten Individualverkehr Verwendung finden, weil er den gleichen Vorteil hochmobiler Energienutzung wie Treibstoffe aus Erdöl, Erdgas oder Biomasse besitzt, obwohl der hohe Energieverbrauch bei seiner Herstellung ökologisch prekär ist? Wird über Energiereichtum und Energiearmut weiterhin am Markt entschieden, oder wird vom Ende des Gebrauchswerts der Dienstleistungen und Güter her gedacht? Wenn die Globalisierung vor allem der Externalisierung lokal anwachsender Umweltkosten in andere Weltregionen dient, müsste die verlangte Einpreisung dieser Kosten nicht auch unter dem Gesichtspunkt der Strecken und Entfernungen bedacht werden, was ganz andere Strukturen der Produktion und Distribution initiieren könnte?

Die Militarisierung des ökozidalen Extraktivismus bringt unabhängig davon, ob Pipelines und Förderanlagen von Zonen des rechtlichen Ausnahmezustands umgeben werden oder mit physischer Gewalt gegen DemonstrantInnen vorgegangen wird, eine Form der Kriegführung hervor, die sich nicht mehr auf Aufstandsbekämpfung im Globalen Süden beschränkt, sondern zusehends auch in den Industriestaaten Nordamerikas und Westeuropas mit Militärfirmen und Sondereinheiten der Polizei und des Militärs die Betriebssicherheit sogenannter kritischer Infrastrukturen gewährleistet. Was Robert Jungk 1977 unter dem Begriff des "Atomstaats" anhand der Pläne zum Bau energietechnischer Großprojekte für die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten beschrieb, ist über die Sicherheitsmaßnahmen an AKWs hinaus heute weltweit Realität geworden.

Wie Andrea Brock und Alexander Dunlap in der Einleitung zu dem 2022 veröffentlichten Sammelband "Enforcing Ecocide. Power, Policing & Planetary Militarization" ausführen, spitzen sich die Widersprüche zwischen radikalökologischem Aktivismus auf der einen Seite und den nationalen Standortinteressen auch des Grünen Kapitalismus auf der anderen Seite stetig weiter zu.

Ökologische Degradation und Ökozid sind das Ergebnis der kolonial-kapitalistischen Entwicklung. Dies beinhaltet eine lange Geschichte von Ausbeutung, Extraktion, Einschließung und Enteignung, die unter dem Deckmantel "grüner" Investitionen, nachhaltiger Entwicklung und kohlenstoffarmer Technologien fortgesetzt wird. (...)

Es scheint, dass die institutionelle Wende zur "Ökologisierung" des Militärs, der Polizei und der Gefängnisse und die Organisation verschiedener Regime "nachhaltiger Gewalt" ein aufstrebendes Forschungsgebiet ist, das eine größere Wissensentwicklung erforderlich macht. Anhaltende und sich beschleunigende Katastrophen ökologischer und klimatischer Art zeigen, dass es mehr braucht als eine "Dekarbonisierung des Militärs und der Polizei", um ökologische Zerstörung zu verhindern, die Klimakatastrophe abzuwenden und Schritte zu einer sinnvollen Wiederherstellung von Ökosystemen zu unternehmen. Grüne Waffen, biologisch abbaubare Geschosse und solargetriebene Flugzeuge sind nicht der Weg zu sozialökologischer Nachhaltigkeit, sondern eine Umdeklarierung der gewalttätigen und ökologisch destruktiven Wirkungen, die uns an diesen katastrophalen Punkt gebracht haben. Wir befürchten, dass diese unheilvolle Entwicklung es erforderlich macht, einen insurrektionistischen, ökologischen und abolitionistischen Kampf zu führen, um den Krieg gegen die Erde und ihre BewohnerInnen zu beenden. [7]


Haufen mit Gestrüpp und Reste von Straßenbefestigung - Foto: © 2023 by Schattenblick

Was von Immerath geblieben ist ...
Foto: © 2023 by Schattenblick


Klimaaktivismus ist keine Ein-Punkt-Bewegung

Die Parteinahme von Greta Thunberg und Teilen von FFF international für die Beendigung der Besatzungspolitik Israels könnte denn auch anders gelesen werden, als es die deutsche Presse in vertrauter Einhelligkeit tut. Woran hierzulande kein Gedanke verschwendet werden soll, ist unter KlimaaktivistInnen weltweit so selbstverständlich, dass es ebenso wenig einer besonderen Erwähnung bedarf. Kolonialismus ist neben seiner prinzipiellen Unrechtmäßigkeit aufgrund der in seinem Rahmen praktizierten Extraktionsstrategien, ihrer kriegsökonomischen Bemittelung und der Aufrechterhaltung des ökonomischen, insbesondere durch finanzkapitalistische Schuldenwirtschaft steiler werdenden Gefälles zwischen Nord und Süd in hohem Maße für die ungebremste Klimakatastrophe mitverantwortlich.

So kann der Anspruch auf Klimagerechtigkeit überhaupt erst erhoben werden, wenn darin alle Weltregionen einbezogen werden, die die Atmosphäre kaum als Deponie für die bei der industriellen Produktion anfallenden klimaschädigenden Gase genutzt, jetzt jedoch die zerstörerischen Folgen der im Globalen Norden externalisierten Kosten für die dort erfolgte Reichtumsproduktion in Form von Extremwettern, Dürren und Überflutungen auszuhalten haben. Das geht weit über den entwicklungspolitischen Diskurs hinaus, der sich im Kern als Fortsetzung kolonialistischer Landnahme unter dem Vorzeichen ökonomischer Einbindung der ehemaligen Kolonialsubjekte in die Welthandelsordnung der hochproduktiven Kapitalzentren erwiesen hat. Neben dem bereits zugesagten, wenn auch nicht erfüllten finanziellen Ausgleich zur Unterstützung klimaschützender Maßnahmen durch den Globalen Norden würde die Herstellung von Klimagerechtigkeit erst Gestalt annehmen, wenn ernstzunehmende Anstrengungen ergriffen würden, den Verbrauch von Naturstoffen und fossiler Energie in den Industriestaaten vollständig, also unter Einrechnung aller externalisierten Kosten zu begleichen und die eigenen Wachstumsraten umzukehren, um sich mit den weit weniger produktiven und daher auf Fortsetzung relativen Wachstums angewiesenen Staaten im Globalen Süden auf niedrigem Niveau zu treffen.

Den israelischen Siedlerkolonialismus nicht aus der Bewertung des aktuellen Krieges hinaus zu nehmen liegt für KlimaaktivistInnen auch deshalb nahe, weil die PalästinenserInnen beim Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen 1948 ebenso wenig gefragt wurden wie andere Bevölkerungen, die von westlichen Hegemonialmächten vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Die Anerkennung zuvor übergangener Ansprüche auf palästinensischer Seite trägt den Keim einer Eigen- oder Einstaatlichkeit in sich, die seit Staatsgründung Israels von dort erfolgreich und mit großer Unterstützung derjenigen Staaten bekämpft wird, deren historischer Entwicklungsvorsprung der expansiven Durchsetzung von Handels- und Kapitalinteressen und damit dem anwachsenden Verbrauch fossiler Energie geschuldet ist. Zu den unbequemen Wahrheiten dieses Krieges gehört auch, dass palästinensische OlivenfarmerInnen und SchafzüchterInnen im Westjordanland ihres Lebens nicht mehr sicher sind, weil auch die israelische Variante aggressiver Landnahme schwerbewaffnete FanatikerInnen hervorgebracht hat, die Jagd auf ihre NachbarInnen machen.

Als UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 24. Oktober im UN-Sicherheitsrat daran erinnerte, dass palästinensische Gewaltausbrüche "nicht im luftleeren Raum" erfolgten und die Palästinenser seit 56 Jahren unter "erstickender Besatzung" litten, um sich gegen eine "kollektive Bestrafung" der PalästinenserInnen nach dem Hamas-Angriff auszusprechen und die Einhaltung internationalen humanitären Rechts auch durch Israel zu verlangen, griff ihn dessen Außenminister Eli Cohen scharf an. Er sagte ein geplantes Treffen mit Guterres ab und erklärte auf X: "Nach dem 7. Oktober gibt es keinen Platz mehr für eine ausgewogene Position."

Damit dürfte Cohen es den 14,7 Millionen Followern Thunbergs auf Instagram und 25 Millionen Followern auf X (28.10.2023) noch leichter machen, sich auf die Seite der PalästinenserInnen zu stellen. Dass sich überhaupt noch so viele KlimaaktivistInnen zu ihr bekennen, obwohl mittelbar auch Akteure wie Hamas, Hisbollah und das iranische Mullah-Regime von der Palästina-Solidarität profitieren, deren patriarchaler Despotismus dem intersektionalen und feministischen Anspruch der Klimagerechtigkeitsbewegung diametral entgegensteht, belegt den fundamentalen Charakter de- und antikolonialer Beweggründe. Eine arabische oder iranische Greta Thunberg würde mit harten Mitteln von einem Klimastreik abgehalten werden, legte sie sich dabei doch mit mächtigen ökonomischen Interessen an, die gerade in erdölproduzierenden Ländern aufs engste mit der jeweiligen Regierungsmacht verbandelt sind. Es ist wie stets widersprüchlich und doch unerlässlich, sich für den Schutz von Kriegswillkür betroffener Menschen einzusetzen, deren Leid zugleich von Regierungen für sich instrumentalisiert wird, die keine emanzipatorische Bewegung gutheißen können.

Dass rund 80 Prozent der IranerInnen das Mullah-Regime in die Wüste schicken wollen, während die iranische Opposition sicherlich nicht für die Bombardierung wehrloser Frauen und Kinder auf die Straße ginge, gerade weil sie gegen patriarchale Herrschaft kämpft, zeigt die Tragik dieser in sich verschränkten Unterdrückungsverhältnisse. Obwohl der Hamas die Bilder von israelischen Bomben malträtierter Menschen in die Hände spielen, scheint das kein Argument für die Regierung Netanjahu zu sein, die Angriffe auf Gaza einzustellen. Obwohl die Bevölkerung Gazas unter dem Bombardement leidet und härtestem Mangel durch die Blockade ihres Gebietes ausgesetzt ist, scheint das kein Argument für die Hamas zu sein, Israel mit der Einstellung der Raketenangriffe einen legitimen Anlass für Luftangriffe zu entziehen. Ideologiegesättigte Gewaltakteure verstehen einander, auch wenn sie auf verschiedenen Seiten der Front stehen, auf paradoxe Weise manchmal besser als diejenigen, über deren Köpfe ihre Raketen und Granaten fliegen. Wenn es nach den Herren des Krieges geht, soll der Widerstand gegen jegliche Herrschaft niemals das Stadium bloßer Potentialität verlassen und auf eine Weise in Erscheinung treten, die zu ernsthaften Schwierigkeiten bei der Durchsetzung Staat und Kapital bestimmender Interessen führen könnte.


Grube mit Baggern und am Horizont Waldsaum - Foto: © 2023 by Schattenblick

Tagebau Hambach vor dem Restbestand des Hambacher Forstes
Foto: © 2023 by Schattenblick


Das Spektrum der Kämpfe erweitern ...

In Wirklichkeit wird die zukünftige Umwelt-, Rohstoff-, Energie- und Bevölkerungspolitik des Kapitalismus den letzten liberalen Illusionen den Garaus machen. Ohne zunehmende Repression und Reglementierung ist sie nicht denkbar. Der Faschismus hat sich schon einmal als Retter in einer extremen Krisenlage und als Administrator des Mangels bewährt. In einer Atmosphäre der Panik und der unkontrollierbaren Emotionen, das heißt im Falle einer unmittelbar und massenhaft wahrnehmbaren ökologischen Katastrophe, wird die herrschende Klasse nicht zögern, auf ähnliche Lösungen zurückzugreifen.
Hans Magnus Enzensberger: Zur Kritik der politischen Ökologie [8]

Um einer solchen Entwicklung, die schon vor einem halben Jahrhundert absehbar war, vorzugreifen, ist die herrschaftskritische Politisierung des Klimaaktivismus unerlässlich. Wenn Jugendliche damit beginnen, ökologische Ziele mit sozialer Gerechtigkeit, Antikapitalismus, Antimilitarismus und Antirassismus zusammen denken, treten nicht von ungefähr Spaltungs- und Atomisierungsstrategien auf den Plan. Regierungen und Kapitalinteressen, die sich von der außerparlamentarischen Opposition nicht unter Druck setzen lassen wollen, neigen dazu, diesen Gegenkräften mit einer populistischen Aufladung ihrer Programmatik entgegenzutreten. Eine Bundesregierung, die ihre extraktivistischen Hegemonialstrategien unter Beteiligung der Partei Die Grünen verfolgt, erhebliche Mittel für eine diese Ziele durchsetzende Kriegführung mobilisiert und eine wirksame Reduzierung klimaschädlicher Produktions- und Verbrauchsprozesse dem Primat wirtschaftlichen Wachstums nachordnet, hat von Bewegungen, die sich auf die Bekämpfung als klimaschädlich akzeptierter Verbrauchs- und Mobilitätspraktiken beschränkt, nicht so viel zu befürchten wie von AktivistInnen, die für eine Kritik der größeren Zusammenhänge von Kapitalismus, Kolonialismus und Krieg eintreten.

So dürfte die Distanzierung der deutschen FFF-Sektion von Greta Thunberg - und im zweiten Schritt von FFF international - allemal für Erleichterung in Berlin gesorgt haben. Der möglichen Radikalisierung eines relativ folgenlosen zivilen Protestes wurde schon zu Beginn der FFF-Aktionen 2019 vorgegriffen. Weil es zu Missverständnissen über die UrheberInnen des Mottos "Klimarevolution!", das mit dem Aktionstag am 15. März in Hamburg assoziiert wurde, gekommen war, distanzierte sich FFF Hamburg "sowohl vom Aufruftext zu dieser Demonstration als auch von Äußerungen, welche im Rahmen dieser Demonstration fielen sowie vom Verhalten einiger der Teilnehmenden". Sollte der Name FFF im Zusammenhang mit der "Klimarevolution" genannt worden sei, "so geschah dies ohne unser Einverständnis". Diese Stellungnahme erfolgte nach dem Aktionstag, an dem die über 10.000 DemonstrantInnen kaum hätten erkennen können, welche der gegen die Klimakatastrophe gerichteten Demos nun von wem initiiert worden waren. FFF Hamburg hatte es aber auch vermieden, sich im Vorfeld von dem Aufruf zur Klimarevolution zu distanzieren, so dass die jungen AktivistInnen möglicherweise erst zu diesem unsolidarischen Schritt gedrängt werden mussten.

Auf jeden Fall ging das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg unter dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz am 11. April 2019 mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit, in der sie unter dem Titel "Entgrenzung: Gewaltorientierte Linksextremisten setzen strategisch auf populäre Themen - Wie die 'Interventionistische Linke' demokratische Initiativen instrumentalisieren will" die These von einer systematischen Unterwanderung der FFF-Bewegung in die Welt setzte. Unter Verweis auf islamistische und rechtsextreme Versuche, mit einer sogenannten Entgrenzungsstrategie bereits existierende Protestbewegungen zu vereinnahmen und zu steuern, berief sich der VS auf die Stellungnahme von FFF Hamburg und behauptete, das "offensichtliche Ziel der IL, von der momentanen Strahlkraft einer nichtextremistischen Kampagne wie 'Fridays For Future' zu profitieren", sei zwar fehlgeschlagen, unterstreiche aber "nachdrücklich die Vereinnahmungsversuche der Linksextremisten".

Mit dieser abschreckenden Intervention des Inlandgeheimdienstes wurde nicht nur FFF Hamburg davon abgehalten, sich mit einer seit Jahren aktiven und über einen großen Erfahrungsschatz verfügenden Klimagerechtigkeitsbewegung zu verbünden. Diese wäre vielleicht eher in der Lage gewesen, die Konvergenz von Klimaschutz und dem Kampf gegen soziale Gewaltverhältnisse, ohne deren Überwindung keine Welt geschaffen werden kann, die nicht von kapitalistischen Verwertungsinteressen bestimmt wird, voranzubringen.

2023 kam es aus den Reihen von Fridays For Future zu Abgrenzungsversuchen zur Gruppe Letzte Generation. Deren Kriminalisierung erfolgt unter Beteiligung der Partei Die Grünen, die sich in der Regierungskoalition zumindest nicht aktiv für die sogar des Terrorismus bezichtigten LG-AktivistInnen einsetzte, obwohl deren politische Forderungen moderater kaum sein könnten. Blockaden des Straßenverkehrs und symbolische Angriffe auf Kunstwerke entfachten einen regelrechten Sturm der Empörung, so dass LG zumindest erreicht hat, dass Klimaschutz wieder verstärkt im Gespräch ist. Die häufig zu vernehmende Kritik, mit der Behinderung Berufstätiger machten sich ihre AktivistInnen keine Freunde, wirft die Frage auf, ob der ebenfalls erfolgte Sitzprotest vor dem Bundeskanzleramt oder Hungerstreik mehr in Bewegung setzen als eine Störung des alltäglichen Geschäftsbetriebs, die für erhebliche Unruhe sorgt.

Bislang gibt es keinen Beleg dafür, dass Proteste, die nicht wehtun, irgend etwas freisetzen außer dem guten Gefühl, es gebe schon irgend jemanden, der sich um Klimaschutz kümmert. Die Letzte Generation kann sich zwei Ergebnisse auf jeden Fall gutschreiben: Den nichtvorhandenen politischen Willen administrativer Verfügungsgewalt zum Ergreifen tatsächlich wirksamer Maßnahmen oder gar das Anschieben einer grundlegenen Transformation der Gesellschaft in Richtung Postwachstum sichtbar gemacht zu haben und letzte Zweifel an der Bereitschaft eines Gros der Bevölkerung, lieber an einem moribunden Normalbetrieb festzuhalten als so aktiv zu werden, dass gesellschaftliche Veränderungen auf Massenbasis realisiert werden könnten, zu zerstreuen.

Dementsprechend katastrophal ist der Ansehensverlust der Partei Die Grünen. Während sie zum beliebten Feindbild der Neuen Rechten und aller an sie andockenden Querfronten avancierte, verlor sie insbesondere nach der Räumung des Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier im Januar 2023 an Rückhalt in allen sozialen Bewegungen, die am Kampf gegen die Klimakatastrophe und die sie befeuernden Kapitalinteressen festhalten. Als Erbin der radikalen Linken der 1970er Jahre sind die Grünen auf dem Marsch durch die Institutionen am Ende ihres Sonderweges angekommen. Sie sind schon jetzt, wo sie noch in der Bundesregierung sitzen und dort Beschlüsse mittragen, von denen sich bei ihrer Gründung niemand hätte vorstellen können, dass sie einmal mit dem Segen grün-alternativer Politik versehen werden würden, Geschichte.

Seit Die Grünen den unauflöslichen Widerspruch zwischen emanzipatorischem Anspruch und seiner realpolitischen Widerlegung zum zweiten Mal seit der von ihren Ministern unterstützten Beteiligung der Bundeswehr am Überfall der NATO auf Jugoslawien 1999 vorexerziert haben, ist viel Wasser auf die Mühlen der Neuen Rechten geflossen. Die dort in hohem Kurs stehende Schmähung "linksgrün versiffter" GegnerInnen wird durch die Verachtung alles "Woken" - Gendersprache, Antidiskriminierungspolitik, LGBT-Selbstbestimmung, freizügige Aufnahme Flüchtender, Veganismus - aufmunitioniert. Wie stets schöpft der Faschismus den Rahm aller krisenbedingten Unzufriedenheit ab, während ernstzunehmende Initiativen die Kärrnerarbeit des Überwindens naturalisierter Überlebensinstinkte leisten müssen.

Analog zur dominanten gesellschaftlichen Tendenz, nicht über den Schatten tiefsitzender Gewohnheiten springen zu wollen, wächst die Bereitschaft, sich nach der Decke nationalchauvinistischer Standortlogik, sozialdarwinistischer Marktkonkurrenz und patriarchalem Autoritarismus zu strecken. Eine planetar wirksame und daher im globalem Rahmen zu bewältigende Herausforderung wie die der durch eigenes Missverhalten bedingten Bedrohung der Lebensgrundlagen aller Bioorganismen scheitert daher schon am nationalen Vorbehalt, der das individuelle Fluchtverhalten, stets den anderen zwischen sich und die Gefahr zu manövrieren, in Sozial- und Staatenkonkurrenz übersetzt. Seit Die Grünen in großen Zügen auf diese Überlebensstrategie eingeschwenkt sind, bleibt es den Greta und Elisa dieser Welt überlassen, die Menschen auch mit dem Mittel unbequemer Interventionen aufzuwecken.


Bank im Hambi mit Aufschrift - Foto: © 2023 by Schattenblick

"Euch die Nationen, uns die Welt"
Foto: © 2023 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.blaetter.de/ausgabe/2014/juli/oeko-apartheid-der-krieg-gegen-die-erde-teil-i

[2] https://www.deutschlandfunk.de/klimaschutz-in-antisemitischem-klima-das-israelbild-progressiver-bewegungen-dlf-0fc80477-100.html

[3] Kursbuch 33, Oktober 1973, S. 39

[4] Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, 2016, S. 269

[5] a.a.O., S. 285

[6] https://theintercept.com/2017/11/15/dakota-access-pipeline-dapl-tigerswan-energy-transfer-partners-rico-lawsuit/

[7] https://www.researchgate.net/publication/361656889_Introduction_Enforcing_Ecological_Destruction
(Übersetzung Schattenblick-Redaktion)

[8] Kursbuch 33, Oktober 1973, S. 38



30. Oktober 2023

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 180 vom 4. November 2023


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