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PROPAGANDA/1311: Zweckopportunismus dominiert Kriegsberichterstattung (SB)



Die hierzulande verbreitete Ansicht, Israel verteidige sich lediglich gegen Raketenangriffe der Hamas, wird mit Millionenauflage verbreitet und sorgt dafür, daß die Bundesbürger wenn schon nicht eindeutig für Israel, dann zumindest indifferent bleiben. So hat die Bild-Zeitung ihren Lesern in einem Kommentar Hugo Müller-Voggs am 29. Dezember erklärt, "wer um sein Leben kämpft, kann bei der Wahl der Waffen nicht wählerisch sein". Die angebliche Antwort "Israels auf den Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen" wird dort als Ergebnis einer Initiative der Hamas dargestellt: "Die Hamas hat bewusst eine neue Spirale der Gewalt ausgelöst, will verhindern, dass bei den israelischen Wahlen eine prinzipiell zum Frieden bereite Regierung an der Macht bleibt" (laut Bild.de am 02.01.2009).

Müller-Vogg hält es nicht nur für eine glatte Überforderung, seine Leser über die Umstände des zwischen Israel und der Hamas ausgelaufenen Waffenstillstands, über die bereits erfolgten Offerten der Hamas oder die massiven Aggressionen, denen die Palästinenser ausgesetzt sind, aufzuklären. Er verzichtet - wie viele andere deutsche Zeitungen von weniger schlechtem Renommee als sein Blatt - auch darauf, daran zu erinnern, daß die israelische Außenministerin Tzipi Livni im Wahlkampf für Kadima angekündigt hat, der Sturz der Hamas in Gaza werde unter ihrer Regierung ein strategisches Ziel sein, das mit militärischen, ökonomischen und diplomatischen Mitteln erreicht werden könnte.

Es mag billig erscheinen, ausgerechnet die Propaganda der Bild-Zeitung aufzugreifen, doch stellt die Einseitigkeit der größten Boulevardzeitung Europas lediglich ein signifikantes, aus der Masse der deutschen Konzernpresse aber nur bedingt herausragendes Beispiel dar. Der bald drei Jahre anhaltende Boykott auf demokratischem Wege an die Regierungsmacht in Palästina gelangten Partei durch die Regierungen der EU, der USA und Israels und die mediale Flankierung dieser Politik durch die Stigmatisierung der Hamas als terroristische Organisation zielen ohnehin auf einen Regimewechsel in Gaza ab. Daß dieser mit besagten Mitteln der Bombardierung, der Aushungerung und der Isolation erreicht werden soll, ist daher keine Neuigkeit, sondern längst offizielle Regierungspraxis.

Indem der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak am 28. Dezember die Mutmaßungen über die langfristige Planung des Kriegs gegen den Gazastreifen bestätigte und erklärte, daß sie sich praktisch über die gesamte Zeit des im Juni mit der Hamas geschlossenen Waffenstillstands erstreckte, macht er keinen Hehl daraus, daß seine Regierung vom Frieden gesprochen und den Krieg geplant hat. Auch der im Sommer 2006 gegen den Libanon geführte Krieg bediente sich lediglich des Vorwands eines Grenzzwischenfalls, um einen seit längeren geplanten militärischen Einsatz gegen die Hisbollah zu rechtfertigen. Auch dies wurde in deutschen Medien keineswegs angemessen gewürdigt.

Indem große deutsche Zeitungen Partei für einen Aggressor nehmen und bestenfalls die das reale Kräfteverhältnis vernebelnde Forderung, beide Seiten müßten ihre Gewalttätigkeiten einstellen, zulassen, schaden sie nicht nur der politischen Urteilsfähigkeit ihres Publikums und setzen sich arrogant über dessen Fähigkeit, auch aus Bruchstücken von Informationen andere Schlußfolgerungen als die ihm aufgetischten zu ziehen, hinweg. Sie schaden auch ihren eigenen Geschäftsinteressen, ist es doch offenkundig, daß sie den Interessen einflußreicher Eliten dienen. So hat die Finanz- und Wirtschaftskrise schweren Schaden an der Glaubwürdigkeit nicht nur neoliberaler Politiker und Experten, sondern auch an der deren Meinung kolportierenden Hofberichterstatter angerichtet. Wenn die gleichen Zeitungen, die noch vor wenigen Monaten das hohe Lied einer auf wundersame Weise am Finanzmarkt prosperierenden Wirtschaft gesungen haben, heute die Gegenrichtung einschlagen, dann sind ihre Adressaten immer weniger geneigt, derartige Kursschwenks auch noch durch den Kauf dieser haltlos im Wind herrschender Interessen treibenden Blätter zu honorieren.

Die Kriege der neuen Weltordnung können nur deshalb besser als erfolgreiche Projekte des marktwirtschaftlichen Demokratismus verkauft werden, weil ihre unmittelbaren Auswirkungen hierzulande nicht so leicht zu verspüren sind wie die einer Wirtschaftskrise. Angesichts der vielen alternativen Nachrichtenquellen, die immer mehr Menschen über das Internet oder etwa den englischsprachigen Dienst Al Jazeeras verfügbar sind, wankt das Meinungskartell der etablierten Medien dennoch spürbar. Vielleicht sollten die Verlagsmanager, die die Krise der Zeitungsbranche beklagen, einmal darüber nachdenken, daß ihr Metier eben nicht das eines Bäckers ist, dessen Brot immer gebraucht wird. Dort, wo der vielbeschworene Content angeblich King ist, scheint man sich aus Opportunitätsgründen über die Verpackung immer mehr und über ihren Inhalt immer weniger Gedanken zu machen.

2. Januar 2009