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PROPAGANDA/1343: "Haßpropaganda" - Chiffre für politische Zensur (SB)



"Der Hass muss raus aus dem Internet", forderte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries heute auf einer Konferenz in Berlin. Denjenigen Bürgern, die durch die Debatte um Internetsperren gegen sexuellen Mißbrauch an Kindern hellhörig geworden sind, dürfte klar sein, daß im pauschalen Ruf nach Unterbindung sogenannter Haßpropaganda ebenso wie nach der Blockierung von Webseiten kinderpornographischen Inhalts der Schritt zu weiteren Zensurmaßnahmen angelegt ist. Wie Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen bedient sich ihre SPD-Kollegin allgemein als besonders widerwärtig ausgemachter Beispiele für menschliche Niedertracht. Doch der Unterschied zwischen nazistischen und rassistischen Parolen und legitimen Formen der Kritik ist nicht so leicht zu bestimmen, wie es die Apologeten der Gesinnungshygiene glauben machen. So bleibt es dem jeweiligen Kritiker mißliebiger politischer Inhalte überlassen, diese unter einem besonders verwerflichen Etikett zu kriminalisieren oder ihnen die Gültigkeit der freien Meinungsäußerung zuzuweisen. Wahrheitspostulate wiederum werden in einer Welt divergierender Interessen gerne auf Machtfragen reduziert, weil bei deren Beantwortung ganz andere Dinge wichtig werden als die kritische Überprüfung eines Sachverhalts.

So, wie Kinderpornographie für manche religiöse Fundamentalisten schon in der nackten Darstellung von Heranwachsenden beginnt, so handelt es sich für Parteigänger bestimmter politischer Ideologien bereits um Haßpropaganda, wenn die Praktiken der israelischen Besatzungspolitik angeprangert werden oder die Darstellung des Massakers von Srebrenica als Völkermord in Frage gestellt wird. Letzteres wurde von Zypries bereits unter der rot-grünen Bundesregierung als Anlaß zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit ins Feld geführt. Auf EU-Ebene wurde 2007 ein Rahmenbeschluß zur Strafbarkeit von Rassismus, Antisemitismus und der Leugnung von Völkermord verabschiedet, anhand dessen über die ohnehin bei diesen Delikten gegebene Strafverfolgung hinaus Äußerungen kriminalisiert werden sollen, die angeblich den Tatbestand der "öffentlichen Aufstachelung zu Gewalt und Hass" erfüllen. Es liegt auf der Hand, daß damit der interessenpolitischen Kodifizierung aktueller wie historischer Ereignisse zu herrschaftksonformen Wahrheiten zugearbeitet wird. Der aus dem Sicherheitsdiskurs sattsam bekannte Sachverhalt, daß des einen Terrorist des anderen Befreiungskämpfer ist, läßt sich mit dem Mittel eines von jeglicher antikapitalistischen und antiimperialistischen Relevanz bereinigten Antifaschismus wirksam gegen Menschen verwenden, die in innerstaatlichen wie internationalen Konflikten wider die Generallinie der eigenen Regierung Partei ergreifen.

Das Internet kann man eben nicht einfach in die Waschmaschine stecken, um den Gilb zu jagen und weißer als weiß zu waschen, ohne es in seiner Substanz zu beschädigen. Die Gefahren der freizügigen elektronischen Kommunikation liegen für Zypries denn auch gerade in Eigenschaften des Datennetzes, die für andere dessen demokratische Qualität ausmachen: "Weil das Netz anonym ist und soziale Kontrolle kaum stattfindet, verbreiten sich dort auch illegale Inhalte besonders häufig und schnell" (FAZ.NET 09.97.2009). Nazipropaganda wird wie schon beim "Aufstand der Anständigen", der sich ausschließlich gegen nazistische Formen der Fremdenfeindlichkeit richtete, während die staatliche Flüchtlingsabwehr und die administrative Benachteiligung nichtdeutscher Bürger von jeglicher antirassistischer Kritik ausgespart blieb, gerne als Vorwand zum Ausbau staatlicher Vollmachten mißbraucht, mit denen man sich im Endeffekt jenen diktatorischen Praktiken annähert, die man zu bekämpfen vorgibt.

Daß der Staat Kontrolle über die Inhalte der elektronischen Kommunikation erlangen will, liegt nicht nur wegen der absehbaren Verschärfung der sozialen Gegensätze in der Bundesrepublik auf der Hand. Daß er sich dazu bestimmter, ihrerseits verhaßter Haßprediger bedient, entspricht den Grundregeln wirksamer PR. Wenn der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, allerdings verlangt (FAZ.NET 09.97.2009), die Internetsperren gegen die Verbreitung von Kinderpornographie auf rassistische und volksverhetzende Inhalte auszudehnen, dann demonstriert er, wie der allzu verständliche Wunsch nach Schutz vor Diskriminierung auf die Mühlen einer Staatlichkeit gelenkt wird, die die Unterdrückung und Ausgrenzung mißliebiger Minderheiten auch mit dem Mittel der Internetzensur betreiben kann.

Durchaus belebend auf den Widerstand gegen die gesetzliche Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet wirkt sich aus, daß der Chef eines demokratischen Grundsätzen der Transparenz und Gewaltenteilung nicht eben verpflichteten Geheimdienstes, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, beklagt, daß "Extremisten" im Internet "eine Breitenwirkung" erreichten, "die auf normalem Wege so niemals gelingen könnte" (FAZ.NET 09.97.2009). Der Begriff des Extremismus wird mit einer politischen Wertung operabel gemacht, die spezifische Herrschaftsinteressen auf eine Weise reflektiert, daß das Eintreten für demokratische Willensbildung plötzlich als verfassungsfeindlicher Akt stigmatisiert wird und sich der Schutz bürgerlicher Freiheiten in sein Gegenteil verkehrt.

Wenn schon, dann sollte der Haß nicht aus dem Internet, sondern aus der Welt verbannt werden. Daß dies nicht geschieht, ist nicht zuletzt Folge eines Kapitalismus, dessen Nutznießer sich an den Belastungen und Entbehrungen anderer nähren. An der Oberfläche der Symptome zu kratzen, ohne die Malaise als solche zu kurieren, dient dazu, diese widrigen Verhältnisse fortzuschreiben. Gerade weil viele mit dieser Schadensanalyse nicht konform gehen, sondern die Ursachen für haßerfüllte Ressentiments ganz woanders verorten, ist es wichtig, daß Menschen sich ohne Einmischung Dritter streiten, daß sie miteinander sprechen, daß sie wieder auseinandergehen oder vielleicht sogar zusammenfinden. Wird diese Möglichkeit ausgeschlossen, dann nimmt die Möglichkeit konkreter Gewaltanwendung erst recht bedrohliche Züge an.

9. Juli 2009