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PROPAGANDA/1345: US-Soldaten mit den Folgen eigener Grausamkeit konfrontiert (SB)



Ein Sprecher der US-Streitkräfte hat dagegen protestiert, daß die Taliban das Video eines in ihre Hände gefallenen US-Soldaten in Umlauf gebracht haben. Es sei laut internationalem Recht verboten, gefangengenommene Soldaten für Propagandazwecke zu mißbrauchen, so die Begründung der US-Armee. Der 23jährige Soldat bekundet in dem Video, Angst davor zu haben, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können. Er kritisiert den Kriegseinsatz der USA in Afghanistan als Einfall in ein unabhängiges Land und behauptet, seine Vorgesetzten hätten ihm und den anderen Soldaten erklärt, daß Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen werden müßten und nicht wirklich von Belang wären.

Da der Gefangene seine Regierung bitte, die Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, haben die Taliban, die ihn seinen Worten nach wie einen Gast behandelten, mit diesem Video tatsächlich einen Erfolg an der PR-Front erzielt. An der medialen Einheitsfront, an der der Krieg in Afghanistan in den NATO-Staaten gerechtfertigt wird, wurde der Sieg über die Taliban längst erzielt - ihre Sicht der Dinge existiert nicht. Als "Terroristen" gebrandmarkt wird ihrem Widerstand gegen die Besatzer jegliche Legitimität abgesprochen, was für die Bevölkerungen in der EU und den USA kein Vorteil ist, da sie um so weniger Möglichkeiten haben, sich ein anderes Bild von der Kriegführung in Afghanistan zu machen, als es von den PR-Agenturen ihrer Regierungen und Streitkräfte verbreitet wird.

Auch wenn niemand Interesse daran haben kann, daß das Taliban-Regime nach Kabul zurückkehrt und eine drakonische Herrschaft über Frauen und Menschen, die andere Ansichten als sie verfolgen, errichtet, so besteht doch ein legitimes Interesse daran, die Propaganda der NATO mit der ihrer Gegner konterkarieren zu können. Wenn etwa ein ums andere Mal behauptet wird, die Taliban hätten bei Bombenangriffen der NATO ums Leben gekommene Zivilisten als "menschliche Schutzschilde" mißbraucht, dann wäre es für die Bewertung dieser Behauptung der Militärallianz wichtig, auch die Version der Ereignisse zu erfahren, die die Gegenseite anzubieten hat. Gerade weil es sich im Zweifelsfall hier wie dort um Propaganda handelt, könnte der Abgleich beider Sichtweisen den Bürger in die Lage versetzen, zwischen den Zeilen zu lesen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Zweifellos handelt es sich bei der Vorgehensweise der Taliban, einen Kriegsgefangenen für ihre Zwecke vorzuführen, um einen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht. Wenn allerdings US-Militärs, die in Afghanistan gefangengenommene Menschen entrechtet, verschleppt, gefoltert und bisweilen umgebracht haben, ein Recht, daß sie mit den Füßen treten, in Anspruch nehmen, um eigene Soldaten vor Mißhandlung zu schützen, dann fehlen noch einige Schritte der US-Regierung, bevor dieser Rechtsanspruch für glaubwürdig erachtet werden kann. Die Gesetze, unter denen Menschen mit Hilfe des Begriffs des "illegalen feindlichen Kombattanten" zu Nichtmenschen erklärt und entsprechend mißhandelt wurden, sind weiterhin in Kraft; die Politiker, die diese Taten zu verantworten haben, genießen ihren wohldotierten Ruhestand; die Rechtswissenschaftler, die mit allen Finessen des Winkeladvokatentums Folter legitimiert haben, erfreuen sich angesehener Stellungen im Wissenschaftsbetrieb oder im Richteramt; die Generäle, die das weltumspannende Lagersystem des Terrorkriegs geleitet und die Mißhandlung der Gefangene baufsichtigt haben, sind weiterhin im Dienst; viele Opfer dieser Willkürmaßnahmen stehen unverändert unter Kontrolle eines Staates, auf den das beliebte Etikett des "Unrechtsstaates" erstaunlicherweise keine Anwendung findet.

Das Dilemma, vor das sich eine Militärführung gestellt sieht, die am Umgang mit ihren Kriegsgegnern gemessen und für grausam befunden wird, besteht darin, daß Gleiches mit Gleichem vergolten werden könnte. Wenn man schon meint, man könne den Krieg verrechtlichen, also das Primat des Sieges durch die Anwendung aller dazu erforderlichen Mittel relativieren, um ihn erst recht führen zu können und als Mittel der Politik nicht aus der Hand zu verlieren, dann wäre es zumindest konsequent, diese Regeln auf überprüfbare Weise zu respektieren. Daß dies auch im Zeitalter asymmetrischer Kriege, in dem dominante staatliche Akteure nicht befürchten müssen, von ihren Gegnern in die Knie gezwungen zu werden, nicht geschieht, zeigt, daß die "Humanisierung des Krieges" auf dem unauflöslichen Widerspruch zwischen der Ratio totaler Vernichtung und dem Wissen darum, daß Gewalt immer ein Synonym für das Scheitern des menschlichen Entwurfs ist, basiert.

20. Juli 2009