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PROPAGANDA/1349: Angst und Furcht ... harte Währung im Wahlkampf (SB)



Bild hat gefragt, und Hessens Innenminister Volker Bouffier hat erwartungsgemäß geantwortet. Obwohl der Anschlag auf Mallorca aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf den Tourismus abzielte, ging von dieser Insel doch die Okkupation der Republik Spanien durch den Diktator Franco aus, was als Grund für den Anschlag auf Beamte der Guardia Civil zum 50. Gründungstags der Eta vermutet wird, darf die Frage, wie groß die Terrorgefahr in Deutschland sei (Bild-Zeitung, 01.08.2009), nicht ausbleiben. Neben der Behauptung, daß Deutschland "eindeutig im Fadenkreuz" von Terroristen stehe, weil "alle vorliegenden Erkenntnisse" dafür sprächen, "dass islamistische Terroristen den Bundestagswahlkampf spektakulär nutzen wollen, um mit Anschlägen den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu erzwingen", hat der für besonders ausgeprägte Law-and-Order-Ambitionen bekannte Bouffier anzubieten, daß sich "die Polizeien von Bund und Ländern auch auf die Möglichkeit einer Massengeiselnahme vorbereiten".

Wie immer die Geheimdienste und Polizeibehörden auf diese Bedrohungsanalyse verfallen sind, wird nicht erklärt. Allerdings wird mit dieser Dimension terroristischer Gewalt das übliche Szenario, das sich meist auf mögliche Bombenanschläge bezieht, deutlich ausgeweitet. Bei Geiselnahmen großen Stils käme zum bloßen Verbreiten von Angst und Schrecken der Versuch einer Erpressung hinzu, die etwa den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zum Gegenstand hätte, so könnte die unausgesprochene Schlußfolgerung aus Bouffiers Behauptung lauten, daß in der Bundesrepublik Einfluß auf den Krieg in Afghanistan genommen werden solle.

Der obligatorischen Forderung des CDU-Ministers nach Einsatz der Bundeswehr im Innern könnte entgegengehalten werden, daß, wenn die These von einer Ausdehnung der Kriegführung der Taliban nach Deutschland zuträfe, überlegt werden müßte, ob sich der Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan neben allen anderen Gründen, die gegen ihn sprechen, angesichts einer solchen Gefährdung der deutschen Bevölkerung überhaupt vertreten läßt. Die zu erwartende Entgegnung, eine Regierung dürfe niemals erpreßbar sein, kann schließlich nicht in einem Ausmaß verabsolutiert werden, daß sie eine Lizenz zu jeder denkbaren Eigenmächtigkeit erhält und dennoch unterstellt, daß dies ohne Reaktionen bei den Betroffenen bleibt. Da die völkerrechtliche Mandatierung des Afghanistankriegs auf schwachen Füßen steht, wenn man ihr überhaupt Gültigkeit zusprechen will, gäbe es für die Bundesregierung durchaus gute Gründe, die Kraftprobe mit Kräften und Interessen, deren Wirkungskreis fernab vom Staatsgebiet der Bundesrepublik liegt, nicht bis zu einem Punkt zu treiben, an dem hierzulande tatsächlich Menschen sterben.

Die vom Parteichef der Linken, Oskar Lafontaine, vertretene Ansicht, daß der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Terrorismus erzeugt und dieser nicht von ihm verhindert wird, beleuchtet die Schattenseite der vorherrschenden Kriegsbegründung. Sie kann bislang nicht auf rationale Weise widerlegt werden, wird in ihr doch die unterstellte Kausalität der Terrorismusgenese vom Kopf auf die Füße gestellt. Alle Erklärungen, die eine genuin von Afghanistan ausgehende Gefahr für die Bundesrepublik konstatieren, lasten den unterstellten Feinden irrationale Motive an, die dringend der plausiblen und stringenten Erhellung bedürfen. Wie im Falle Mallorcas wird die Bedrohung generalisiert, um davon abzulenken, daß die Bundesregierung in wachsendem Maße Unwägbarkeiten produziert, während sie behauptet, das Gegenteil zu tun.

Indem der blinde Fleck der deutschen Kriegsdoktrin, die in eigenem Interesse erfolgende Schaffung von Handlungszwängen, blind bleibt, können Politiker Wahlkampf mit dem Schüren von Ängsten betreiben, die angesichts der wachsenden Existenzsorgen, die die Menschen in der Bundesrepublik zu bewältigen haben, gravierende systemische Mängel kompensieren sollen. Wenn Zehntausende Lohnabhängige befürchten müssen, daß ihre in Jahrzehnten aufgebaute Existenz durch kapitalistisches Mißmanagement ruiniert wird und sie den Rest ihres Lebens in Armut verbringen werden, dann kann die Aggressivität der Terrorpropaganda nicht verwundern.

Man darf sich in den verbleibenden Wochen des Wahlkampfs auf mehr von diesem suggestiven Gift einstellen. Nicht nur die Nerven, auch die Klingen liegen blank, wie etwa Lafontaine erleben mußte, als er in der ZDF-Sendung "Illner Intensiv" auf die Frage, warum nur 22 Prozent der Wähler der Linken seiner Partei zutrauten, Arbeitsplätze zu schaffen, antwortete, daß die Medien in Deutschland in den Händen von zehn reichen Familien lägen, deren Interesse darin bestände, die Linke klein zu halten. Dieser Sichtweise läßt sich ohne weiteres, sieht man einmal von den öffentlich-rechtlichen Sendern ab, deren Proporzcharakter der Linken kaum bessere Publizität beschert, grundsätzlich zustimmen. Politiker der Linken, die antikapitalistische Positionen zumindest im Munde führen, können die Auswirkungen der ideologischen Durchdringung der Verlagskonzerne durch Interessen des Kapitals täglich an der ihnen gewidmeten Berichterstattung respektive Ignoranz studieren.

Als wollte er den Beweis der Richtigkeit der Behauptung Lafontaines in eigener Sache führen, machte Volker Schmidt dem "Saarkasper" und "Napoleon-Imitator" in der Frankfurter Rundschau (28.07.2009) in der Überschrift den Vorwurf, "surrealen Verschwörungstheorien" zu frönen, und rückte den Linkenchef in eine Ecke, in der ihn alle Journalisten und Politiker gerne verorten, die kein anderes Mittel gegen sein argumentatives Geschick ins Feld führen können: "Jetzt muss er nur noch von jüdischen Familien reden, dann darf er bei der NPD eintreten, die redet genauso." Nicht nur Bild greift tief in die Kiste unlauterer Mittel, um Feindbilder aufzubauen und Ängste zu provozieren, die die Kälber einmal mehr dazu nötigen sollen, ihre Schlächter selber zu wählen.

2. August 2009