Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1370: Geheimdienstfassade des Terrorkriegs in Koproduktion Jordanien-USA (SB)



Jordanien gehört zu den Ländern der Welt mit dem höchsten Pro-Kopf-Anteil an internationaler Hilfe. Ein großer Teil davon wird von den USA gestellt, die die Finanzierung der Haschemitenmonarchie stetig aufgestockt und dabei insbesondere in die Streitkräfte und Sicherheitsbehörden des Landes investiert haben. Neben Ägypten ist Jordanien das einzige arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat. Da gut die Hälfte seiner Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, dient die Aufrüstung Jordaniens durch die USA auch der Sicherung der Haschemitenherrschaft, die ihren Aufstieg zur Macht und deren dynastischen Erhalt maßgeblich der von den europäischen Kolonialmächten organisierten Staatenbildung in der Region zu verdanken hat.

Der für diese Begünstigung zu entrichtende Preis besteht unter anderem in der engen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit den USA. Jordanien hat nicht nur bei der Eroberung des Iraks eine wichtige Rolle als logistische Nachschubroute und Aufmarschbasis der US-Streitkräfte gespielt, seine Geheimdienste arbeiten zudem eng mit ihren US-Partnern zusammen. So hat Jordanien als Zielort für extraordinary renditions, bei denen von US-Agenten verschleppte Terrorverdächtige an befreundete Geheimdienste übergeben wurden, um an ihnen Folterverhöre durchführen lassen, traurige Berühmtheit erlangt.

Die geheimdienstliche Kollaboration zwischen den USA und Jordanien war auch für den Anschlag auf die CIA-Basis im ostafghanischen Khost am 30. Dezember verantwortlich. Das Attentat wurde von dem Jordanier Hammam Khalil al Balawi begangen. Zu seinem Opfern zählte der jordanische Geheimdienstoffizier Sharif Ali bin Zeid, der Balawi der CIA als Informant vermitteln wollte.

Es ist jedoch nicht davon auszugehen, daß dieser Rückschlag der weiteren und bis dato sehr fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den Diensten beider Länder schaden wird. So wird in den Berichten über den Anschlag in Khost häufig an den jordanischen Al Qaida-Führer Abu Musab al Zarqawi erinnert, an dessen Karriere zu einem der bekanntesten Schurken des Terrorkriegs die jordanischen Dienste einigen Anteil haben. Er soll zahlreiche Anschläge auf die irakische Zivilbevölkerung organisiert haben, bevor er am 7. Juni 2006 bei einem Raketenangriff in der Nähe Bagdads ums Leben kam. Die Person Zarqawis besaß als schillerndes Ergebnis einer Feindbildproduktion, bei der wie von Zauberhand aus fast unsichtbaren Akteuren Erzbösewichte vom Schlage eines Osama bin Laden werden, unschätzbaren Wert für die Kriegführung der USA im Irak. In westlichen Medien wurde gerne und häufig auf Zarqawi verwiesen, um zu begründen, warum es unabdinglich sei, die Eroberung des Landes zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Als das fleischgewordene Böse war der Jordanier ein Aktivposten der US-amerikanischen Kriegs-PR, und das nicht nur aus eigenem Antrieb.

So bezeichnete der damalige US-Präsident George W. Bush Zarqawi in einer Rede am 20. Oktober 2002 als "sehr hochrangigen Al Qaida-Führer, der mit der Planung von chemischen und biologischen Angriffen in Verbindung gebracht" werde. Sein Außenminister Colin Powell behauptete am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat, Zarqawi leite im Irak ein "mörderisches Terroristennetzwerk" und stelle als "Verbündeter und Kollaborateur Osama bin Ladens und seiner Al Qaida-Leutnants" das Bindeglied zwischen Saddam Hussein und der Terrororganisation dar. Schon diese legendäre, heute als Musterbeispiel staatlich orchestrierter Kriegspropaganda bekannte Show beim UN-Sicherheitsrat ließ vermuten, daß man in Zarqawi einen nützlichen Idioten gefunden hatte, der später vor allem als Beleg für die Behauptung Verwendung finden sollte, im Irak herrsche ein konfessioneller Bürgerkrieg, der von ins Land eingedrungenen Kräften, namentlich Al Qaida, angezettelt werde.

Die von Zarqawis Organisation verübten Anschläge wiesen hinsichtlich des Effekts, die betroffene Bevölkerung gegen die irakischen Besatzungsgegner aufzubringen, alle Anzeichen einer Bürgerkriegsstrategie auf, die gerade denjenigen in die Hände spielte, die angeblich bekämpft werden sollte. Der mit 25 Millionen Dollar Kopfprämie in der Rangfolge der Topterroristen so hoch wie Osama bin Laden gehandelte Zarqawi wurde im Irak für so viele Anschläge verantwortlich gemacht, daß neben zahlreichen Widersprüchen biografischer Art schon die physische Unmöglichkeit, gleichzeitig an verschiedenen Orten zu sein, ahnen ließ, daß er im Rahmen einer geheimdienstlichen Counterinsurgency-Strategie weit über Wert verkauft wurde.

Die Behauptung Powells, Al Qaida habe in Bagdad praktisch freie Hand und Zarqawi leite von dort aus das Terrornetzwerk Bin Ladens im Nahen Osten, wurde selbst von israelischen Geheimdienstlern angezweifelt. So soll Zarqawi im kurdischen Nordirak ein "Trainingslager für den Umgang mit Giften und Explosivstoffen" betrieben haben, das durch die islamistische Organisation Ansar al-Islam kontrolliert wurde. Diese Behauptung erwies sich als in jeder Beziehung unzutreffend. Zum einen lag das Lager, von dem Powell vor dem UN-Sicherheitsrat Luftaufnahmen vorlegte, nicht in dem von der islamischen Gruppe kontrollierten Gebiet, zum andern erklärte der im norwegischen Exil lebende damalige Ansar al-Islam-Führer Mullah Krekar, daß seine Gruppe keinerlei Kontakte mit Al Qaida unterhalte und daß seine Kenntnis von Zarqawi aus einem Artikel des US-Nachrichtenmagazins Newsweek stamme. Schließlich führten Vertreter von Ansar al-Islam westliche Journalisten an den von Powell namentlich angegebenen Standort der "Giftfabrik" sowie an den Platz, der auf den Bildern der US-Luftaufklärung zu sehen war. In beiden Fällen fand sich nichts, das auch nur entfernt Rückschlüsse auf die unterstellten Aktivitäten zugelassen hätte. Hinsichtlich der angeblichen Verbindung zwischen Al Qaida und Saddam Hussein mußte selbst der damalige CIA-Direktor George Tenet bei einer Anhörung vor dem US-Senat, die kurz nach Powells Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat stattfand, zugeben, daß Zarqawi nicht "unter Kontrolle" des irakischen Präsidenten stehe und "von Al Qaida unabhängig" wäre.

Die britische Tageszeitung The Guardian säte bereits im Vorfeld des Powell-Auftritts bei den Vereinten Nationen Zweifel an der These einer Verbindung zwischen Al Qaida und der irakischen Regierung. Sie wußte unter Berufung auf afghanische Mujahedin wie auf die CIA zu berichten, daß Zarqawi kein Anhänger der Al Qaida-Ideologie sei. Zudem stände sein Name nicht auf der CIA-Liste der 22 angeblich gefährlichsten islamischen Terroristen und wäre auch niemals auf der CIA-Liste der hochrangigsten Al Qaida-Mitglieder aus dem Umfeld Osama bin Ladens aufgeführt gewesen. Dem Guardian zufolge erfreue sich Zarqawi vor allem deshalb eines so großen Bekanntheitsgrades, weil die jordanischen Behörden ihn als potenten Gegner aufbauten, um über einen Vorwand zu verfügen, besonders hart gegen islamische Fundamentalisten im eigenen Land vorzugehen. Der Guardian zitierte einen in London lebenden Islamisten mit den Worten: "Wenn sie den Schlüssel zur al Zarqawi-Geschichte haben wollen, dann schauen sie sich die Quelle der Informationen an. Die Jordanier wollen schon seit einiger Zeit ihre eigene Bin Laden-Figur, und er paßt ins Profil."

Nach dem Auftritt des US-Außenministers vor dem UN-Sicherheitsrat meldeten selbst britische Regierungsbeamte Zweifel an der von Powell unterstellten Al Qaida-Verbindung an. Der französische Geheimdienst DST legte anhand der von Powell präsentierten Organisationsstruktur des europäischen Terrrornetzwerks, das Zarqawi angeblich leitete, dar, daß zwei dort aufgeführte Islamisten, die in Frankreich verhaftet wurden, von den französischen Sicherheitsbehörden als Teil eines tschetschenischen Netzwerks betrachtet würden. Zu keiner Zeit habe der DST auch nur den geringsten Anhaltspunkt einer Verbindung zwischen diesen beiden Männern und Zarqawi erlangt.

Am 9. Februar 2004 veröffentlichte die New York Times einen Brief, den Zarqawi verfaßt haben und der im Januar 2004 in die Hände der US-Truppen gefallen sein soll. Er wurde als Beweis für die Anwesenheit von Al Qaida-Kämpfern im Irak präsentiert, da man ihn angeblich in einem Haus der Organisation in Bagdad gefunden habe. Das Dokument soll an die Al Qaida-Zentrale in Afghanistan gerichtet gewesen sein und angeblich den Aufruf Zarqawis, Kämpfer in den Irak zu schicken, um Anschläge gegen Schiiten zu begehen, enthalten haben. Auffallend war der Haß, mit dem der angebliche Verfasser des Briefes nicht nur die irakischen, sondern alle Schiiten bedrohte. Der angebliche Autor Zarqawi propagierte unverhohlen einen nicht nur innerislamischen, sondern innerarabischen und innerirakischen Bruderkrieg und hielt dessen Austragung sogar für wichtiger, als gegen die amerikanischen Besatzer vorzugehen.

Der Brief bestätigte nicht nur die Behauptung der US-Regierung, es habe eine Zusammenarbeit zwischen Al Qaida und der irakischen Regierung gegeben, sondern arbeitete den Besatzern auch mit der Aussage zu, die Okkupation stieße auf wachsende Akzeptanz unter den Irakern. Während sich die Invasoren immer größerer Zustimmung erfreuten, verlören die ausländischen Kämpfer die Unterstützung der Bevölkerung, so daß es höchste Zeit zu handeln wäre, wenn man dieses Schlachtfeld des Jihad nicht verloren geben wollte, wurde in dem Dokument gewarnt. Die US-Behörden haben die unterstellte Herkunft des Briefes niemals belegt und auf widersprüchliche Angaben zu seinem Fund stets ausweichend geantwortet.

Am 10. April 2006 wartete die Washington Post mit der so bemerkenswerten wie international unbeachtet gebliebenen Enthüllung auf, daß die Figur Zarqawis Produkt einer ausgeklügelten Kamapagne der psychologischen Kriegführung (PsyOps) sei.Unter den dafür präsentierten Belegen stach eine Aussage des ehemaligen Pressesprechers der US-Streitkräfte im Irak, Brigadegeneral Mark Kimmitt, besonders hervor: "Das Zarqawi-PsyOps-Programm ist die bisher erfolgreichste Informationskampagne". In einem späteren Briefing erklärte Kimmitt laut der Washington Post: "Es gab zweifellos eine Informationskampagne, um das öffentliche Bewußtsein dafür zu schaffen, wer Zarqawi war, vor allem für das irakische Publikum, aber auch das internationale Publikum". Erklärtermaßen sei es ein Ziel der Kampagne gewesen, einen Keil zwischen die Aufständischen zu treiben, indem man die ausländische Herkunft der Zarqawi zugeschriebenen Anschläge unterstrich: "Dank aggressiver strategische Kommunikation repräsentiert Abu Musab al-Zarqawi heute: Terrorismus im Irak/Ausländische Kämpfer im Irak/Leiden der irakischen Bevölkerung (Angriffe auf die Infrastruktur)/Negation irakischer Wünsche".

Der beim US-Generalstab beschäftigte Oberst Derek Harvey erklärte im Sommer 2005 auf einer Konferenz militärischer Geheimdienste in Fort Leavenworth: "Unser Fokus auf Zarqawi hat dessen Karikatur vergrößert und ihn, wenn man so will, wichtiger gemacht, als er in einigen Fällen wirklich ist." Harvey vertrat die Ansicht, daß die maßgebliche Bedrohung für die eigenen Truppen nicht von religiösen Extremisten wie Zarqawi, sondern von Vertretern der ehemaligen Baath-Regierung ausgehe.

Laut einem Briefing des damaligen Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Irak, General George Casey, versuchte das Militär, durch "gezielte Lecks" unmittelbaren Einfluß auf die US-Presse zu nehmen. Dexter Filkins, der den angeblichen Brief Zarqawis in der New York Times publik gemacht hatte, gab gegenüber der Washington Post nun an, sich zu jener Zeit nicht bewußt gewesen zu sein, für eine PsyOps-Kampagne eingespannt gewesen zu sein. Er sei davon ausgegangen, daß das Militär ihm den Brief zugespielt habe, "weil es entschieden hatte, daß seine Veröffentlichung im besten Interesse erfolge". Dennoch wäre er schon damals skeptisch hinsichtlich der Authentizität des Briefes gewesen und sei es noch heute.

Laut der Washington Post wurde die "Zarqawi-Kampagne" in Militärkreisen ausführlich diskutiert. Dabei wurde auf ein Dokument mit dem Titel "Dämonisierung Zarqawis/Einflußnahme durch xenophobe Reaktionen" aus dem Jahr 2004 Bezug genommen, das Medienoperationen, die Nutzung von Spezialeinheiten und PsyOps als Instrumente dieser Kampagne aufführte.

Das schwache Dementi des Pentagon auf diese Enthüllungen konnte nicht verhindern, daß sie unter US-Kriegsgegnern als Bestätigung des seit langem virulenten Verdachts begriffen wurden, die US-Regierung bediene sich bei der Legitimation ihrer Kriegführung regelrechter Scharaden. Schließlich hatte kein geringerer als der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit der mehrfach wiederholten Aufforderung, man müsse den Gegner im Informationskrieg auch mit Hilfe regelrechter Strategien des Täuschens und Trügens in die Defensive zwingen, und der großzügigen finanziellen Ausstattung entsprechender Abteilungen des Pentagon dieser Mutmaßung Nahrung gegeben.

Auf die Enthüllung der Washington Post reagierte Rumsfeld laut dem Online-Dienst editorandpublisher (18.04.2006) mit der Behauptung, Zarqawi und Osama bin Laden versuchten mit großer Wirksamkeit, die Presse in den Vereinigten Staaten zu manipulieren: "Darin sind sie sehr gut. Sie sind beim Managen solcher Dinge sehr viel besser (lacht), als wir es sind". Das implizite Eingeständnis, daß die US-Regierung versucht, die Medien in ihrem Sinne zu manipulieren, konnte angesichts der immensen finanziellen und personellen Ressourcen, mit der die Bush-Regierung den Informationskrieg führte, niemanden überraschen. Rumsfelds Versuch, das Irrlicht der finanziell wie technisch hervorragend bemittelten Propagandakompanien seines Landes unter den Scheffel der angeblichen Überlegenheit eines aus Berghöhlen und Kellern zerbombter Häuser heraus operierenden Feindes zu stellen, setzte dem ganzen allerdings die Krone der Durchtriebenheit auf.

Das galt um so mehr, als Zarqawi der US-Regierung als Vorwand für einen der blutigsten und zerstörerischsten Angriffe ihrer Streitkräfte während der Besetzung des Iraks diente. Obwohl die Bürger der Stadt Falluja immer wieder erklärten, daß sich Zarqawi nicht in ihrer Stadt aufhalte, blieb ihnen die fast vollständige Zerstörung ihrer Stadt nicht erspart. Hunderte von Zivilisten mußten die Behauptung der Belagerer Fallujas, man bombardiere Häuser, in denen sich Zarqawi aufhalte, mit dem Leben bezahlen, ohne daß die Angreifer den Beweis dafür antraten, daß diese Begründung auch nur im Ansatz stichhaltig war.

Am 14. Oktober 2004 wandte sich ein breites Bündnis aus säkularen und religiösen Organisationen Fallujas in einem Brief an den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, in dem sie ihn dringend dazu aufforderten, dem Einmarsch der US-Truppen in ihre Stadt Einhalt zu gebieten. Die Unterzeichner klagten die US-Streitkräfte an, "ihre mächtigsten Bomben, die Hunderte von unschuldigen Leuten töten und verletzen", auf die Stadt zu werfen und sie zusätzlich mit schwerer Panzerartillerie zu beschießen. Allein in der Nacht des 13. Oktobers hätten diese Bombardements 50 Häuser mitsamt ihrer Bewohner vernichtet. Viele seien noch in den Trümmern eingeschlossen, doch man könne ihnen nicht helfen, da die Angriffe weitergingen.

"Ist das ein genozidales Verbrechen oder eine Unterrichtsstunde in amerikanischer Demokratie?" so die rhetorische Frage der Verfasser des Briefes, die sie damit beantworteten, "daß die Amerikaner nur aus einem Grund Terrorakte gegen die Bevölkerung Fallujas begehen: Die Weigerung, ihre Besatzung zu akzeptieren". Sie erinnerten daran, daß es "keine militärische Präsenz in der Stadt" gebe und es zu "keinerlei Aktionen seitens der Falluja-Widerstandsbewegung in den vergangenen Wochen" gekommen sei, "weil die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Stadt und der Regierung gut vorankämen".

Zum angeblichen Grund der Angriffe auf die Stadt führten die Verfasser aus:

"In Falluja haben sie ein neues, vages Ziel erschaffen: AL ZARQAWI: Das ist der neue Vorwand, um ihre Verbrechen zu rechtfertigen, das Töten und das tägliche Bombardement von Zivilisten. Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem sie diesen neuen Vorwand erfunden haben und jedes Mal, wenn sie Häuser, Moscheen und Restaurants zerstören und Kinder und Frauen töten, sagen sie 'Wir haben eine erfolgreiche Operation gegen Al-Zarqawi durchgeführt.' Sie werden niemals sagen, dass sie ihn getötet haben, weil es eine solche Person nicht gibt. Und das bedeutet, dass das Töten von Zivilisten und der tägliche Genozid weitergehen wird.

Die Bevölkerung von Falluja versichert Ihnen, dass diese Person, falls sie existiert, nicht in Falluja ist und wahrscheinlich nirgendwo im Irak. Die Bevölkerung von Falluja hat viele Male angekündigt, dass jede Person, die al-Zarqawi sehen würde, ihn töten solle. Nun kann aber jeder erkennen, dass dieser Mann nur eine hypothetische Figur ist, die von den Amerikanern erschaffen wurde. Gleichzeitig haben die Vertreter von Falluja, unsere Stammesführer, bei vielen Gelegenheiten, das Kidnapping und Töten von Zivilisten angeprangert und wir haben keine Verbindung zu irgendeiner Gruppe, die solch inhumanes Verhalten praktiziert."
(Übersetzung Sylvia Weiss)

Laut dem Irakischen Roten Halbmond kamen bei der Eroberung Fallujas im November 2004 mindestens 6000 Menschen ums Leben, die vor der Belagerung von 300.000 Menschen bewohnte Stadt wurde weitgehend zerstört. Die Angreifer setzten keineswegs nur auf sogenannte chirurgische Schläge, sondern legten die Stadt mit den Flächenbombardements ihrer B-52-Bomber in Trümmer. Gleich zu Beginn der Offensive zerstörten sie ein Unfallkrankenhaus und besetzten die große Klinik Fallujas, um den Verteidigern die Möglichkeit zu nehmen, ihre Verletzungen behandeln zu lassen. Wer bis dahin nicht aus der Stadt geflüchtet war, wurde selbst beim Durchschwimmen des Euphrats von amerikanischen Scharfschützen ermordet, ganz gleich, ob es sich um Kämpfer oder Zivilisten handelte. Natürlich wurde Zarqawi nicht gefangengenommen, dafür präsentierte man ausgesuchten Reportern ein großes, merkwürdigerweise unzerstört gebliebene Haus, in dem er sich aufgehalten haben soll und auf dem die Aufschrift "al Qaida Organisation" prangte.

Die zahllosen Geschichten über die Mordtaten Zarqawis müssen nicht am Schreibtisch eines PR-Experten entstanden sein. So ließ die australische Tageszeitung The Age am 2. Oktober 2004 US-Geheimdienstler zu Wort kommen, die jeweils 10.000 Dollar an irakische Informanten gezahlt hatten, weil sie mit Geschichten über Zarqawi zur Hand waren, die sein furchteinflößendes Bild wunschgemäß bestätigten. Die ungenannt gebliebenen Agenten gaben praktisch zu, daß es sich im eine Desinformationskampagne handelt, mit der der Eindruck erweckt werden sollte, der Widerstand der Iraker gegen die Besatzer werde von ausländischen Terroristen geleitet. Dabei gingen sie davon aus, daß sich nicht mehr als 200 ausländische Kämpfer unter den sunnitischen Widerständlern befänden. Zwar glaubten sie, daß Zarqawi hinter einigen Entführungen stecke, bezeichneten die Theorie seiner Führerschaft in Falluja jedoch als zweckdienlichen "Mythos".

Von der Zerstörung Fallujas im Namen seiner Befreiung von Zarqawi wollte man auch in der Bundesrepublik profitieren. So wartete der Berliner Tagesspiegel am 13. Dezember 2004 mit der alarmierenden Schlagzeile auf "Terroristenchef Sarkawi kündigt Mega-Anschlag an". Dieser sollte laut Unterüberschrift "Größer als der 11. September 2001" ausfallen. Dem schockierten Leser wurde in der zweiten Unterüberschrift versichert: "Bericht eines Al-Qaida-Kämpfers gilt als glaubwürdig". Die ganze Nachricht basierte auf der Behauptung eines Kurden, der angeblich der "irakischen Terrorgruppe Ansar al Sunna" angehörte und der von einem Gespräch berichtete, daß er in Falluja mit Zarqawi geführt haben wollte. Zwar gab der Tagesspiegel an, daß dem Mann von den USA "eine Art Kronzeugenregelung angeboten" wurde, doch die naheliegende Möglichkeit, daß er sich den Eroberern der Stadt mit einer Geschichte, die deren Behauptung von der Anwesenheit Zarqawis bestätigte, zu seinen Gunsten andiente, wurde nicht erwogen.

Statt dessen erinnerte der Tagesspiegel an einen angeblichen Anschlagversuch Zarqawis in Jordanien im April 2004, über den viel berichtet worden war, weil die jordanischen Sicherheitsbehörden mindestens 20 Tonnen Chemikalien und Sprengstoff sichergestellt haben wollen. Deren Einsatz in der Hauptstadt Amman hätte 80.000 Todesopfer zur Folge gehabt, lautet die so sensationelle wie unüberprüfbare Behauptung der Jordanier. Allerdings war es schwer vorstellbar, daß in einem veritablen Polizeistaat, dessen Straßen hermetisch überwacht werden, ein Konvoi aus mehreren LKWs mit derartigen Substanzen an Bord lange unentdeckt geblieben wäre. Zudem ließen die von den US-Diensten gerühmten Verhörkünste der jordanischen Sicherheitsbehörden Zweifel an den Geständnissen der neun verhafteten Männer entstehen, die Zarqawi vor laufender Kamera bezichtigten, diesen Anschlag geplant zu haben.

Immerhin gab die Ankündigung des "Mega-Anschlags" Anlaß für weitere Räuberpistolen. Tags drauf zog Frank Jansen im Tagesspiegel den "unumgänglichen" Schluß, daß die Gefahr "mit jedem Tag größer" werde. Die Begründung dafür war von frappanter Simplizität: Weil Zarqawi und seine Leute im Irak "wie besessen" mordeten und es in Deutschland ebenfalls versucht hätten, so Jansen unter Verweis auf Ermittlungen des Bundeskriminalamts gegen "eine Zelle der von dem Jordanier militärisch geführten terroristischen Vereinigung Al Tawhid", die "mit Handgranaten und Schusswaffen jüdische Einrichtungen attackieren" wollte, baue sich die Gefahr wie von selbst zu einer realen Explosion auf. Die ebenfalls im Tagesspiegel unter Berufung auf Geheimdienste verbreitete Behauptung, Zarqawis Anhänger hätten sich in "Europa reichlich Kosmetika" besorgt, "die sonst nur in der Filmbranche verwendet werden", um sich mit einer Art "falschen Haut" zu tarnen, so daß "sich Sarkawi im Irak trotz intensiver Fahndung mit verschiedenen Fotos frei bewegen kann - 'fast wie ein Phantom'", führte die Leser endgültig in eine Welt, die man eher im Kino als in der Redaktion einer seriösen Tageszeitung vermutet hätte.

Wenn für die schattenhafte Existenz einer solch nützlichen Figur derartige Erklärungen präsentiert werden, während Kritiker der Propagandakompanien kriegführender Staaten als unseriöse Verschwörungstheoretiker diskreditiert werden, hat man es mit dem gleichen Gewaltverhältnis zu tun, für das die Bevölkerung Fallujas so entbehrlich war, daß ihr kaum eine Stimme zugestanden wurde. Die Herren des Terrorkriegs müssen sich keine besondere Mühe bei der Ausstaffierung ihrer Legenden geben. Sie haben die Macht des Staates und des Kapitals, die Gewaltorgane und die Medien auf ihrer Seite. Den zahlreichen Opfer, die nicht dem Treiben ominöser Terroristen zum Opfer gefallen sind, sondern angeblichen Polizeiaktionen der Weltinnenpolitik wie in Falluja, bleibt nicht einmal die Chance, sich durch das Bekenntnis zur herrschenden Ordnung zu retten.

Dem zwielichtigen Treiben Abu Musab al Zarqawis wird man mit seiner aus aktuellem Anlaß dem Vergessen entrissenen Geschichte nur ansatzweise gerecht. Es lohnt sich dennoch, denn diese Figur ist ein exemplarisches Beispiel für die verheerenden Auswirkungen, die mit geheimdienstlichen Mitteln produzierte Propaganda haben kann. Welche Gründe Zarqawi für seine Mordtaten gehabt haben mag, inwiefern bei den ihm zugeschriebenen Auftritten überhaupt ein und dieselbe Person erschien, wer ihn unterstützt und auf wievielen Schultern er getragen hat, wird man niemals mit zweifelsfreier Sicherheit erfahren. Die von einer Regierung, die sich dieser Person bediente, um einen Grund dafür angeben zu können, Menschen, die mit nichts von alledem zu tun haben, die Lebensgrundlage zu entziehen und zu töten, präsentierte Version der Geschichte Zarqawis ist jedoch von so vielen Widersprüchen behaftet, daß sie allen Anlaß dazu gibt, sich nicht von politisch gewollter und medial propagierter Terrorangst ins Bockshorn jagen zu lassen, um deren Nutznießern zusätzliche Machtmittel an die Hand zu geben, die ganz anderen Zwecken dienen als den vorgeblichen.

8. Januar 2010