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PROPAGANDA/1376: Buchholz und Wagenknecht diffamieren, die Linke zur Staatsräson bringen (SB)



Die Unversöhnlichkeit, mit der der gegen Christine Buchholz und Sarah Wagenknecht erhobene Vorwurf, sich nach der Rede des israelischen Präsidenten Shimon Peres am 27. Januar im Bundestag nicht wie alle anderen Abgeordneten von ihren Plätzen erhoben zu haben, in Stellung gebracht wird, belegt den großen strategischen Wert dieser demagogischen Bezichtigung. Den beiden Parlamentarierinnen der Linken zu unterstellen, sich damit gegen das Gedenken am Holocaust gestellt oder es beschädigt zu haben, ist auf gezielte Weise irreführend. Beide haben sich bei der Würdigung der Opfer erhoben und beide haben schon durch ihre Anwesenheit bewiesen, daß das Abhalten einer solchen Zeremonie ihrem Anliegen entspricht, ein Zeichen gegen jede Form der Wiederholung eines solchen Genozids zu setzen. Dies haben sie zudem nach Bekanntwerden der Vorwürfe, die allem Anschein nach erst vier Tage später durch ihren Fraktionskollegen Michael Leutert gegenüber der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) publik gemacht wurden, ausdrücklich erklärt.

Beide Politikerinnen haben ihre Weigerung, sich an den stehenden Ovationen nach der Rede des israelischen Präsidenten zu beteiligen, damit erklärt, daß sie dessen Behauptung, daß der Iran für Juden heute eine ebensogroße Bedrohung darstelle wie Nazideutschland, nicht unterstützen wollten. Sie haben sich damit gegen die objektive Relativierung der Vernichtungspolitik der Nazis gestellt, läßt sich die Gefahr, den die europäischen Juden in einem von Wehrmacht und SS beherrschten Europa ausgesetzt waren, doch keineswegs mit der Bedrohung vergleichen, die von einem Iran, der sich schlimmstenfalls anschickt, Atomwaffen zu entwickeln, auf das atomar bewaffnete, durch die Atommacht USA geschützte Israel ausgehen soll.

Buchholz und Wagenknecht haben sich gegen eine Kriegspolitik verwahrt, auf die Peres die Bundesrepublik nicht erst am Holocaustgedenktag, sondern bereits in einem Interview mit der FAZ am 22. Januar einschwor. Seine dort getroffene Aussage, daß man "mit religiösen Fanatikern wie denen in Teheran (...) keine Kompromisse schließen" könne, unterstreicht die von der israelischen Regierung gegen den Iran erhobenen Kriegsdrohungen mit einer Unabdinglichkeit, die eine friedliche Lösung von vornherein unter den Vorbehalt, mit der gegnerischen Seite sei nicht zu reden, stellt. Indem Peres der iranischen Führung eine fanatische Grundhaltung anlastet, versteigt er sich nicht nur zu einem moralischen Maximalismus, der durch zahlreiche Entscheidungen seiner eigenen Politikerlaufbahn gebrochen wird. Er bezichtigt sie vor allem deshalb eines unbelehrbaren Hasses auf Israel, weil sein Bedrohungspostulat durch das asymmetrische strategische Kräfteverhältnis zwischen beiden Staaten von vornherein widerlegt würde. All das erfolgt, was gerne vergessen wird, vor dem Hintergrund eines Irakkriegs, der aufgrund eines entsprechenden Bedrohungsszenarios vom Zaun gebrochen und für Hunderttausende Iraker mit Tod, Verstümmelung und existentieller Not bezahlt wurde.

Peres geht es darum, die Bundesrepublik in einer Phase, in der der sogenannte Atomstreit mit dem Iran eskaliert, über ihre Rolle als Mitglied der 5+1-Gruppe, die Teheran zu Zugeständnissen nötigen soll, hinaus auf ein Vorgehen festzulegen, das in einen offenen Krieg mit einem Staat münden könnte, der etwa so viele Einwohner wie Deutschland zählt und sich keinesfalls widerstandslos geschlagen gäbe. Am 27. Januar kommentierte Klaus-Dieter Frankenberger in der FAZ: "Der Atomkonflikt mit Iran wird zum Lackmustest für das deutsch-israelische Verhältnis, das ein besonderes ist und bleibt." Sage später niemand, der Peres zugejubelt hat, er habe nicht gewußt, welche Verpflichtung er damit stellvertretend für alle Bundesbürger eingegangen ist.

Wenn der Akt des Holocaustgedenkens durch den Staatschef eines Landes vollzogen wird, das auf eigennützige Weise geostrategische Interessen verfolgt und sich zudem eine menschen- und völkerrechtswidrige Besatzungspolitik leistet, dann zielt die ultimative Forderung, sich an seiner besonderen, über das eigentliche Gedenken hinausgehenden Würdigung zu beteiligen, darauf ab, diese Interessen auch zu denen des Publikums zu machen. Die Behauptung, der Friedensnobelpreisträger wäre in einem ausschließlich ethisch motivierten Auftrag vor den Bundestag getreten, wird schon durch die kritische Analyse des Inhalts seiner Rede widerlegt. Peres hat - wie andere Mitglieder der israelischen Regierung auch, die am Holocaustgedenktag in alle Welt ausschwärmten, um ihren moralischen Anspruch auf präventive Kriegführung stark zu machen - nicht nur der jüdischen Opfer gedacht, sondern deren Schicksal auch für die Interessen des jüdischen Staats in Anspruch genommen. Da deren praktische Umsetzung den ethischen Werten, die im Namen der Judenvernichtung hochgehalten werden, zum Teil diametral widerspricht, fühlen sich viele Juden in aller Welt nicht von seiner Politik vertreten. Um so mehr wäre es die Pflicht aller demokratisch gesonnenen Abgeordneten, das allgemeine Gedenken von der speziellen Gutheißung dieser Interessen strikt zu trennen. Das gebietet schon die Verantwortung für die Verhinderung weiterer Genozide, zu der man sich nicht über das Konstrukt nationaler Zugehörigkeit hochringen muß, sondern das für Menschen, die niemals so frei von Schuld sind, daß sie moralisch dazu berechtigt wären, den ersten Stein zu werfen, selbstverständlich sein sollte.

Buchholz und Wagenknecht haben sich als aufrechte demokratische Politikerinnnen erwiesen, indem sie sich gegen die Bequemlichkeit, den leichten Weg zu gehen und der breiten Masse ihrer Kollegen zu folgen, für den Mut zu einem demonstrativen Bekenntnis entschieden haben. In einer Fraktion von 76 Abgeordneten repräsentieren sie damit eine so kleine Minderheit, daß die Wähler der Partei Die Linke, die ihre Ansicht teilen, dort stark unterrepräsentiert sein dürften. Der nun gegen sie aus der eigenen Partei ausgeübte Druck dokumentiert daher das ganze Elend einer Linken, die nicht genug Rückgrat hat, ihren erklärten Prinzipien auch dann treu zu bleiben, wenn dies erfordert, gegen den Strom einer zur Staatsräson verabsolutierten Bündnisdoktrin zu schwimmen. Da dies keineswegs bedeutet, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, palästinensische Raketen und Attentate gutzuheißen, sich mit der Hamas zu solidarisieren, mit Holocaustleugnern gemeinsame Sache zu machen oder eine Querfront zur NPD zu bilden, brauchen sich Politiker, die dieser Staatsräson nicht folgen, auch nicht für ihre Position zu rechtfertigen.

Eben das wird mit aller Finesse demagogischer Logik versucht. Dabei geht es nicht nur darum, mit Buchholz und Wagenknecht zwei Vertreterinnen einer antikapitalistischen Linken so zu beschädigen, daß sie keine hohen Parteiämter mehr bekleiden können. Es geht um die allgemeine Diffamierung streitbarer Positionen, die sich, bei aller zugestandenen realpolitischen Moderation, in den parlamentarischen Konsens nicht einbinden lassen, weil ihr systemkritisches Potential die Assimilation linker Ziele durch den Parlamentarismus selbst nicht vergessen läßt. Eine Linkspartei, die auf verläßliche Weise antikapitalistische, antimilitaristische und antirassistische Positionen vertritt, ist nicht nur ein Ärgernis für die Herrschenden, sondern birgt den Keim ihres Machtverlustes in sich. Diesen zu ersticken, am besten mit Hilfe der eigenen Partei, deren Abrücken von ihren erklärten Zielen daraufhin um so widerstandsloser erfolgte, kehrt die antifaschistischen Forderung "Wehret den Anfängen" auf höchst wirksame Weise gegen sich selbst.

2. Februar 2010