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PROPAGANDA/1381: Wer dennoch lacht, lebt gefährlich ... (SB)



Wer sich nach der Affäre um den bayerischen Kabarettisten Michael Lerchenberg, der heftig dafür gescholten wurde, weil er den Granden der Regierungsparteien als Bruder Barnabas offenherzig auf die Füße trat, nicht vorstellen kann, daß das inquisitorische Niveau der Gesinnungshatz in diesem Land noch unterschritten werden kann, hat noch nicht vom jüngsten "Skandal" gehört. Da der nordrhein-westfälische SPD-Innenexperte Karsten Rudolph angeblich in seinem Landtagsbüro eine Spielzeugfigur aufgestellt haben soll, die Osama bin Laden darstellt, wird er von den politischen Gegnern der CDU und FDP der Verhöhnung der Opfer dieses angeblichen Oberterroristen bezichtigt.

Rudolph hat zwar bestritten, daß sich der corpus delicti in seinem Büro aufhält, und erklärt, er habe die in Marokko gekaufte Figur zusammen mit einer Puppe des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush an einen Bekannten verschenkt, doch die durch die Sponsorenaffäre im Wahlkampf in die Bredouille geratenen Politiker der Regierungskoalition wollen den Terrorpaten im Teddyformat tatsächlich zum Thema des Innenausschuss bei seiner Aktuellen Viertelstunde im Landtag am 18. März machen.

Was wie ein schlechter Witz erscheint, ist so witzig nicht. Es fördert wie die zum Eklat geratene Fastenpredigt zum Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg eine Engstirnigkeit der politischen Klasse zutage, die Auskunft über die anwachsende Legitimationsnot des herrschenden Systems erteilt. Wo immer die zusehends fadenscheinigen Ablenkungsmanöver angegriffen werden, mit denen der Bevölkerung jeder Sinn danach ausgetrieben werden soll, Fragen und Forderungen zu artikulieren, die ins Mark des sozialen Widerspruchs treffen, wird mit aller apologetischen Gewalt gegengehalten. Um ja nicht in die Not zu geraten, zur Frage der sozialen Gerechtigkeit auf eine Weise Stellung beziehen zu müssen, bei der die neoliberale Leistungsideologie in Hinsicht auf die konkreten Verluste hinterfragt werden könnte, die dem kapitalistisch vergesellschafteten Menschen desto mehr abverlangt werden, je ärmer er ist, wird kleinen Vorstößen gegen die ideologische Hausordnung mit großen Abwehrschlachten entgegengetreten.

Die im Fall der Bin Laden-Puppe angeblich zur Disposition gestellte Terrordoktrin wird in ihrer angemaßten Dominanz so scharf verteidigt, weil immer deutlicher wird, daß das Schreckensbild möglicher Anschläge in der Bundesrepublik der ganz normalen Grausamkeit sozialer Deklassierung in diesem Land nicht das Wasser reichen kann. Um so mehr nimmt der ideologische Antiterrorismus den Charakter einer Zivilreligion an, die Zustimmung einfordert und Abweichung bestraft. Verboten sei nicht nur der kritische Einwurf, man möge doch einmal die reale Bedrohung, die der Terrorismus darstellt, an den zerstörerischen Folgen abgleichen, die der krisenhaft zugespitzte ökonomische Verteilungskampf zeitigt. Bei Strafe der Ausgrenzung aus dem Kreis anerkannter Demokraten untersagt ist jeder Versuch, die herrschenden Verhältnisse auf eine Weise zu transzendieren, die ihren interessengebundenen Charakter offenlegt.

Der vergesellschaftete Mensch sei Produkt seiner biologischen Ausstattung, seines familiären Hintergrunds und seiner Leistungs- und Anpassungsbereitschaft, steht ganz oben im Katechismus der neokonservativen Gesellschaftsdoktrin. Sich davon zu emanzipieren, per zum Naturzwang verdichteter Klassenzugehörigkeit auf den Platz festgelegt zu sein, der einem in der sozialen Hackordnung zugewiesen wird, war einmal ein aufklärerisches Ansinnen erster Güte. Heute stellt dieser Akt der Befreiung, wenn man ihn nur wirksam genug vollzieht, ein Gesinnungsvergehen besonders verwerflicher Art dar. Darüber im Land- oder Bundestag zu debattieren sprengte nicht nur das enge Maß der parlamentarischen Konvention, sondern übersteigt vor allem die Bereitschaft der politischen Funktionselite, die eigenen Standesinteressen hinter das gesamtgesellschaftliche Wohl zu stellen.

10. März 2010