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PROPAGANDA/1396: Trotz "doppelter Standards" ... Israels PR-Offensive lahmt (SB)



Nicht eben unproblematisch gestaltet sich die PR-Kampagne, mit der die israelische Regierung und ihre Unterstützer versuchen, die Aktivistinnen und Aktivisten der Gaza Freedom-Flottille als antisemitische Provokateure und islamistische Fanatiker zu brandmarken. Zwar haben sich viele westliche Medien auf die Generallinie eingeschossen, laut der das Free Gaza Movement und die türkische Wohltätigkeitsorganisation IHH die humanitäre Hilfe lediglich als Vorwand für eine politische Aktion benutzten, die Israel an den Pranger stellen solle. Allerdings rennen die Kommentatoren und Politiker, die die Ansicht verbreiten, humanitäre Arbeit habe per se unpolitisch zu sein, bei den Blockadebrechern offene Türen ein. Ihnen ging es von Anfang an darum, die internationale Aufmerksamkeit wieder auf die völkerrechtswidrige Abriegelung Gazas zu lenken, und das ist ihnen zweifellos gelungen.

Die argumentative Hauptlinie der israelischen Regierung, sie habe das Recht, nach Gaza fahrende Schiffe auf mögliche Waffenlieferungen hin zu untersuchen, krankt schon daran, daß das Gebiet seit dem Abzug der israelischen Streitkräfte und Siedler aus Gaza 2005 angeblich nicht mehr besetzt ist. Während Israel sich nicht mehr an die Pflichten einer Besatzungsmacht gegenüber der Bevölkerung Gazas gebunden fühlt, beansprucht es doch, hermetische Kontrolle über die Grenzen des kleinen Gebiets auszuüben. Das Ergebnis dieser widersprüchlichen Politik besteht in einer wahlweise je nach Erfordernis zugestandenen und aberkannten Eigenständigkeit der Palästinenser, allerdings unter durchgängiger Weigerung, ihnen den Status der Eigenstaatlichkeit zuzugestehen. Nach Lesart der israelischen Regierung handelt es sich um ein "feindliches Territorium", dessen politische Führung als terroristisch kriminalisiert wird, so daß sich alle Handlungsoptionen auf der Seite der Besatzer respektive Belagerer befinden.

Der legalistischen Willkür, mit der der Bevölkerung Gazas ihre physische, politische und ökonomische Freiheit vorenthalten wird, stehen diverse Artikel des internationalen Rechts und UN-Resolutionen entgegen, so daß eine Debatte um die Illegalität des Angriffs auf die Gaza Freedom-Flottille normalerweise gar nicht erst entstehen könnte. Doch normal ist auf einem Streitfeld, das im Zentrum machtpolitischer Interessen steht, überhaupt nichts. Wenn sogenannte Schurkenstaaten ins Visier westlicher Interessen geraten und mit der Selbstherrlichkeit einer "internationalen Gemeinschaft", die lediglich aus einem Sechstel der politisch und militärisch führenden Weltbevölkerung besteht, mit Krieg bedroht werden, findet auch nichts anderes statt, als daß das Recht durch Macht gebeugt wird. Um so selbstverständlicher schöpft die israelische Regierung aus der Legitimationsressource der vielbeklagten "doppelten Standards". An diese habe man sich laut dem langjährigen sicherheitspolitischen Chefstrategen der EU und Vordenker des "neuen liberalen Imperialismus", Robert Cooper, in der postmodernen Welt zu gewöhnen.

Die Ultima ratio des absolutistischen Souveräns hat heute die Gestalt einer legalistischen Willkür angenommen, derer sich keineswegs nur Israel bedient. Die systematisch erzeugte Indifferenz in Völkerrechtsfragen, mit Hilfe derer sich Angriffskriege in "humanitäre Interventionen" umdeklarieren lassen, verlangt diesem Staat ob des offenkundigen Gewaltverhältnisses seiner Besatzungspolitik dennoch besondere Anstrengungen in der Außendarstellung ab. Rhetorische Apologie wie im Falle des Versuchs, die Wirkung des Goldstone-Reports über israelische Kriegsverbrechen während des Überfalls auf Gaza in Anlehnung an den Begriff "warfare" als "lawfare", also einer mit rechtlichen Mitteln vorgetragenen Kriegführung, zu denunzieren reicht kaum mehr aus. Die Kritiker der israelischen Regierung einer "mißbräuchlichen" Verwendung internationalen Rechts zu bezichtigen wird zwar auch von europäischen Regierungen betrieben, um eine Anklageerhebung gegen israelische Politiker und Militärs vor ihren Gerichten zu verhindern. Die allzu offene Nutzung doppelter Standards in der Anwendung internationalen Rechts läuft aber auch Gefahr, Legitimationsverluste zu erzeugen, die einen enormen Beschwichtigungsaufwand nach sich ziehen. Den höchsten Trumpf ungeschönter Machtwillkür sollte man erst ausspielen, wenn andere Mittel versagt haben.

Eleganter ist da schon die breit orchestrierte Mobilisierung vermeintlich unabhängiger Stimmen in aller Welt. So betreiben Regierungsbehörden und regierungsnahe Institutionen einigen Aufwand, um mit gezielten Manipulationen Einfluß auf die internationale Meinungsbildung zu erlangen. Die Webseite GIYUS.ORG (Give Israel Your United Support) bietet ein Programm zum Herunterladen an, das das Internet automatisch nach Israel betreffenden Beiträgen untersucht, um seine Nutzer zu veranlassen, diese zugunsten Israels zu kommentieren oder etwa die Redaktionen von Zeitungen, in denen israelkritische Beiträge erscheinen, mit Beschwerde-Mails zu überfluten. Zudem werden die Nutzer aufgefordert, "relevante Artikel und Umfragen bei GIYUS.ORG zu melden und Israel zu helfen, an der Front der öffentlichen Meinung zu siegen" [1].

Der auf der Webseite getroffenen Forderung, daß es "jetzt an der Zeit ist, aktiv zu werden und Israels Seite in der Welt eine Stimme zu geben", sind laut User Count bislang 40.000 Personen gefolgt [2]. Angestrebt wird die Zahl von 100.000 Unterstützern, was in Anbetracht der langen Liste renommierter internationaler Partner der Webseite wie der World Jewish Congress, The Jewish agency for Israel oder der World Zionist Organization [3] durchaus zu erreichen sein dürfte.

Das ist in Anbetracht erster Rückschläge allerdings auch erforderlich, mußte die israelische Regierung sich doch von einem auf YouTube verfügbaren Videoclip distanzieren, auf dem als Araber verkleidete Israelis zur Melodie des Urahns aller karitativen Popsongs "We Are the World" singen: "Wir betrügen die Welt, wir betrügen die Menschen." Da die Presseabteilung der israelischen Regierung den Link zu diesem auch auf GIYUS.ORG angebotenen Clip an ausländische Journalisten versandt hat und dem Machwerk damit praktisch offizielle Weihen verlieh, mußte Regierungssprecher Mark Regev dementieren, daß seine Administration etwas damit zu tun habe [4].

Was Regev für so unterhaltsam hält, daß er es eigens seinen Kindern vorführte, und was seiner Aussage nach die Gefühle der Israelis widerspiegelt, erscheint in Anbetracht der Toten und Verletzten an Bord der Mavi Marmara als zynischer Kommentar von Menschen, denen nicht nur die Einsicht in die eigene Kolonisatorenmentalität fehlt, sondern die gegenüber Arabern einer rassistischen Suprematie frönen, die hinzunehmen sie im Falle antisemitischer Anwürfe aus gutem Grund keineswegs bereit sind. Wer sich über eine vor zwei Wochen ebenfalls von dieser Presseabteilung an Journalisten versandte E-Mail, in der ein Feinschmeckerrestaurant in Gaza empfohlen wurde, um zu belegen, daß dort keine humanitäre Krise herrschen kann, beschwert, dem wird postwendend beschieden, keinen Spaß zu verstehen [4].

Sich über Schwächere lustig zu machen, um den Betroffenen vorzuwerfen, sie hätten keinen Humor, wenn sie nicht pflichtschuldigst mitlachten, ist eine bewährte Strategie, Unterlegene so zu provozieren, daß sie sich zu Taten hinreißen lassen, die sie noch tiefer in ihre Ohnmacht treiben. Die PR-Methoden der israelischen Regierung unterscheiden sich von daher kaum von einer Kriegführung, bei der kleine Versuche, Widerstand zu leisten, mit vernichtender Gewalt niedergemacht werden, um nicht von der Generalausrede der "Reaktion" zu sprechen.

Doch nicht alles wird demonstrativ auf die leichte Schulter genommen, um den Eindruck zu erwecken, man sei unberührbar und unbesiegbar. Wie die britische Tageszeitung The Guardian (06.06.2010) des weiteren berichtet, mußte die Führung der Israelischen Streitkräfte (IDF) zu dem Mitschnitt eines Funkgesprächs zwischen israelischen Marineoffizieren und der Mavi Marmara, aus dem angeblich hervorgeht, daß einer der Aktivisten die israelischen Soldaten mit den Worten geschmäht habe, sie sollten "nach Auschwitz zurückkehren", eine "Klarstellung/Korrektur" veröffentlichen, laut der man nicht wisse, wer dies gesagt habe [4]. In der jungen Welt (07.06.2010] wird Denis Healey, Kapitän des Free-Gaza-Bootes Challenger 1, mit der Aussage zitiert, daß der Funkverkehr von allen Kapitänen der Gaza Freedom-Flottille zu hören und jeder Sprecher identifizierbar war. Er habe diese Äußerungen nicht vernommen, als er das Boot steuerte [5].

Verändern mußten die IDF auch einen Artikel auf ihrer Webseite, in dessen Überschrift unterstellt wurde: "Angreifer der IDF-Soldaten haben sich als Al Qaida-Söldner erwiesen". Später lautete die Überschrift: "Angreifer der IDF-Soldaten ohne Personaldokumente vorgefunden" [4]. Es kommt selten genug vor, daß israelische Regierungsbehörden bei der inflationäre Verwendung des Terrorismusvorwurfs einen Rückzieher machen. Dafür wird an anderer Stelle um so heftiger in die Vollen gegriffen, wie die Rufe "Terroristin, Terroristin" belegen, die die palästinensische Knesset-Abgeordnete Haneen Zoubi während ihrer Stellungnahme vor dem israelischen Parlament nach Rückkehr von Bord der Mavi Marmara über sich ergehen lassen mußte. Zu sehen, wie diese mutige Bürgerin Israels von einem fast ausschließlich männlichen Mob israelischer Parlamentarier niedergebrüllt wird, trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit dieser "einzigen Demokratie im Nahen Osten" bei.

Einige Rückschläge in der PR-Offensive Israels werden jedoch kaum dazu ausreichen, dem Spin in der Berichterstattung über den Angriff auf die Gaza Freedom-Flottille entgegenzutreten und den Einsatz der Aktivistinnen und Aktivisten auf breiter Ebene als engagiertes und mutiges Eintreten für die Sache unterdrückter Menschen zu vermitteln. Der Kampf an der PR-Front wird mit der Schlagkraft eines kulturindustriellen Komplexes geführt, der nicht nur im Nahostkonflikt, sondern allen Widersprüchen, die sich am zentralen sozialen Konflikt des kapitalistischen Weltsystems entzünden, höchst parteilich positioniert ist. Und das nicht nur, weil globale Medienkonzerne als Teilhaber und Sachwalter der transnationalen Kapitalmacht fungieren. Deren Hegemonialanspruch wird mit einer krisenadäquaten Qualifikation administrativer Verfügungsgewalt durchgesetzt, der der Anspruch der Bevölkerungen auf basisdemokratische Autonomie und der Erhalt der Staatenordnung nach Maßgabe der UN-Charta zu überwindende Anachronismen sind.

Wie Robert Cooper in seinem Plädoyer für den Interventionismus einer postmodernen, das nationalstaatliche Souveränitätsprimat durch supranationale Gouvernementalität aufhebenden Ordnung erklärte, ist es innerhalb der EU durchaus integer, miteinander auf rechtstaatlicher und sicherheitspolitisch kooperativer Basis zu agieren. Hat man es jedoch mit "altmodischen Arten von Staaten" zu tun, dann gilt es, auf "die rauheren Methoden einer früheren Ära zurückzugreifen - Gewalt, präemptive Angriffe, Täuschung, was auch immer für diejenigen notwendig ist, die immer noch in der Welt des 19. Jahrhunderts für sich selbst existierender Staaten leben" [6].

Die Delegitimierung jeglichen dezentralen Autonomiestrebens und einer multipolaren Staatenordnung trifft in der Lesart des "neuen liberalen Imperialismus" auf Palästinenser, die mit der Gewähr der Eigenstaatlichkeit erst die Voraussetzung zur Erlangung jener politischen und zivilgesellschaftlichen Privilegien erhielten, die Israelis für selbstverständlich erachten, in besonderem Maße zu. Um so ungeschützter fallen sie und ihre Unterstützer Methoden der Diffamierung und Repression zum Opfer, die Robert Cooper, dem auch im neuen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) der EU ein hochrangiger Posten sicher ist, zu legitimen Mitteln westlicher Machtpolitik erklärt.

Fußnoten:

[1] http://www.giyus.org/report.html

[2] http://www.giyus.org/

[3] http://www.giyus.org/partners.html

[4] http://www.guardian.co.uk/world/2010/jun/06/israel-youtube-gaza-flotilla

[5] http://www.jungewelt.de/2010/06-07/061.php

[6] The Post-Modern State and the World Order (Demos, 2000)

8. Juni 2010