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PROPAGANDA/1398: "Linker Patriotismus" ... neokonservativer Schleichweg für Grüne (SB)



"Patriotismus ist demokratisches Pathos", stellt der Grünen-Politiker Robert Habeck im Interview mit der taz (14.06.2010) fest und propagiert einen "linken Patriotismus", um "Antworten auf eine auseinanderfallende Gesellschaft" geben zu können. Antworten, die darin bestehen, "Ziele anzugeben, mit denen man ein Wir-Gefühl erzeugen kann", ersetzen die vorgängige Frage durch die beschriebene Aufgabenstellung. Gesellschaftliche Kohäsion zu schaffen, ohne zuerst zu fragen, wie die Gesellschaft beschaffen sein sollte, in der man leben möchte, läuft auf jene affirmative Legitimationsstrategie hinaus, die dem Patriotismus seit jeher zugrundeliegt. Ihn als eine von chauvinistischen Motiven bereinigte Version des Nationalismus auszuweisen ist Bestandteil dieser Rechtfertigungsabsicht, wie etwa das Schüren patriotischer Gefühle nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA zu dem Zweck, sich Rückendeckung für imperialistische Kriege in der Bevölkerung zu verschaffen, belegt.

Wie schon bei der Fußball-WM 2006 ist auch diese Weltmeisterschaft Anlaß, einen vermeintlichen harmlosen Patriotismus zu befürworten, dessen rituelles und symbolisches Zeremoniell in der politischen und gesellschaftlichen Praxis folgenlos bliebe. Nicht nur bei der aggressiven Herabwürdigung der griechischen Bevölkerung, deren angeblicher Schlendrian die fleißigen Bundesbürger auf geradezu parasitäre Weise in Zahlungspflicht nähme, erhebt dieser angeblich positive Patriotismus sein destruktives und feindseliges Haupt. Einen kritischen Umgang mit dem nationalistischen Ressentiment durch patriotische Gefühle zu ersetzen kann nur als gesellschaftlicher Rückschritt begriffen werden, zumal diese Entwicklung von einer Krise des Kapitalismus vorangetrieben wird, die die Nation immer schon als Substitut der anstehenden Klassenauseinandersetzung einsetzte.

Diesen Patriotismus mit dem Attribut "links" zu versehen und zu behaupten, daß er "nicht mit nationalstaatlichen, geografischen Grenzen zusammenfallen muss", wirft die Frage auf, auf welchen emanzipatorischen und aufklärerischen Grundlagen er dann beruhen soll. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein behauptet, ein "linker Patriotismus braucht keine festen Symbole, er kann frei mit ihnen hantieren. Man muss den Reichstag weder meiden als Zentrum der Macht, noch muss man vor ihm erschauern. Man kann barfuß davorsitzen und ihn als netten Platz nutzen." Habecks kontingenter Umgang mit diesem hochsymbolischen Bauwerk enthebt den ideologisch eindeutig verorteten Begriff des Patriotismus keineswegs seiner einschließenden und ausgrenzenden Wirkung, bleibt er doch, wie an diesem Beispiel vorexerziert, zwangsläufig auf spezifische Nationalsymbole bezogen. Anders wäre mit ihm auch kein Staat zu machen, und ohne diese Aufgabe verlöre er jede Bedeutung.

Um zu erklären, warum man überhaupt ein Ideologem wie dieses ins Gespräch bringt, bedarf es eines Minimums an positiver Bestimmung seines Zwecks. Die von Habeck angeführte Notwendigkeit eines über Patriotismus bewerkstelligten Zusammenhalts der Gesellschaft soll linke Systemkritik delegitimieren, gerade weil diese darauf abzielt, Kohäsion nicht über Klassenwidersprüche hinweg zu schaffen, sondern diese zugunsten einer solidarischen Praxis aufzuheben. Ein in sozialen Kämpfen geschmiedeter Zusammenhalt weist, wenn das ursprüngliche Anliegen aufrechterhalten wird, sehr viel mehr Haltbarkeit auf als ein nationales Raubprojekt, das mit dem Erfolg oder dem Scheitern des Beutemachens steht und fällt.

Da linke Kollektivität individuelles Karrierestreben und kapitalistischen Sozialdarwinismus ausschließt, produziert die Abkehr von diesem Ideal neokonservative Ideologie. Der 1969 geborene Habeck macht denn auch für die "Enttäuschung, dass politischer Idealismus nicht mehr möglich war", die 68er-Generation verantwortlich: "Freie Liebe endet im großen Unglück, freie Drogen in der Abhängigkeit und politischer Aufruhr im Terrorismus". Ein Idealismus, der nicht einer politischen Praxis entspringt, die in der Lage ist, Irrtümer dialektisch zu entwickeln, so daß der idealistische Anspruch in einem materialistischen Fundament verankert wird, war stets das Merkmal derjenigen, die sich linken Bewegungen aus eigennützigen Motiven heraus angeschlossen haben. Wenn es nicht funktioniert, dann geht man wieder und macht diejenigen Aktivisten für das Scheitern verantwortlich, die alles in die Waagschale eines unmöglich erscheinenden Unterfangens geworfen haben. Hauptsache, man bleibt in den Augen der Welt, der Herrschenden und der Moral unschuldig. Wer nicht bereit ist, sich schuldig zu machen, hat nicht vor, Ausbeutung und Unterdrückung zu beseitigen.

Wie locker er sich auch immer machen und seine Subjektivität postmodern dekonstruieren mag, ein patriotischer Linker ist ein verkappter Rechter, weil er auf die sinnstiftende Wirkung der Nation nicht verzichten will. Warum bedarf jemand des Patriotismus, der erklärtermaßen die Verwirklichung humanistischer, emanzipatorischer und sozialistischer Werte vorantreibt? Die dadurch bestimmten Ziele antikapitalistischer, antimilitaristischer und antiimperialistischer Art sind als Fundament der politischen Praxis nicht nur allemal ausreichend, sie stehen zur nationalen Identität in einem antagonistischen Verhältnis. Warum Deutschland hochleben lassen, und sei es in selbstironischer Pose, apparativer Absicht und performativer Distanz, wenn jeder unter einer anderen Fahne geborene Mensch in den Genuß einer Lebensfülle und Unabhängigkeit gelangen sollte, die ihm unter anderem durch den nationalen Standortwettbewerb vorenthalten wird? Fragen wie diese bedürfen keiner Antwort, sondern werden mit ihrer Präzisierung zu Instrumenten einer Erkenntnis, die sich mit privatem Glück und gefühlsgeladenen Kurzschlüssen nicht bescheidet.

16. Juni 2010