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PROPAGANDA/1413: Obamas Einvernahme Gandhis irritiert selbst die Inder (SB)



Warum sollte US-Präsident Barack Obama, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, obgleich er zu diesem Zeitpunkt zwei Kriege führte, nicht neben Abraham Lincoln und Martin Luther King auch Mahatma Gandhi zu seinen verehrten persönlichen Vorbildern zählen? Als er den Nobelpreis entgegennahm, bezeichnete er sich als lebendes Zeugnis der moralischen Kraft, die von der gewaltlosen Bewegung ausgehe, die King und Gandhi verkörperten. Als Staatsoberhaupt, so schränkte er damals ein, habe er jedoch geschworen, seine Nation zu schützen und zu verteidigen, weshalb er sich nicht allein von diesen beiden Vorbildern leiten lassen dürfe. Nach dieser Devise verdreifachte er die Truppen in Afghanistan und überzog Pakistan mit dem Drohnenkrieg.

Seit seinem Amtsantritt ist Obama mehrfach mit Premierminister Manmohan Singh und anderen hochrangigen indischen Regierungsvertretern zusammengetroffen, wobei er es selten versäumte, seiner Verehrung Gandhis beredten Ausdruck zu verleihen. Mag er dabei nicht zuletzt die Absicht verfolgt haben, sich als tief verbundener Freund Indiens in Szene zu setzen, so scheint das den Gästen im Laufe der Zeit auf die Nerven gegangen zu sein. Die New York Times (06.11.10) zitiert jedenfalls den Herausgeber des Indian Express, einer führenden englischsprachigen Zeitung des Landes, mit dem kritischen Einwand, man habe auf seiten seiner Landsleute den Eindruck, daß der US-Präsident bei jedem Treffen über Gandhi spreche. Diese ewige Wiederholung rufe bei manchen Mitgliedern der indischen Regierung den Eindruck hervor, es handle sich um bloße Plattitüden.

Bei seinem ersten Staatsbesuch in Indien führte Barack Obamas Weg wie nicht anders zu erwarten unverzüglich in Gandhis bescheidenes Haus in Mumbai, wo er sich im Gästebuch verewigte. Gandhi sei nicht nur ein Held Indiens, sondern der ganzen Welt gewesen, trug der hohe Gast ein, worauf er mit den Worten "pretty cool" den Schriftzug Martin Luther Kings aus dem Jahr 1959 begutachtete, der mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod seines leuchtenden Vorbilds Indien einen in beiden Ländern vielbeachteten Besuch abgestattet hatte. Was die beiderseitige Legendenbildung betrifft, scheinen damals King und Gandhi - letzterer freilich postum - von dieser Reise enorm profitiert zu haben, wobei der Reverend freilich unsanft mit den Grenzen der Wirkung der "großen Seele" auf die Lebenswirklichkeit konfrontiert wurde. Als King in einer Ansprache im indischen Rundfunk das Wettrüsten des kalten Krieges verurteilte und seinen Gastgebern vorschlug, sie sollten im Geiste Gandhis der Abrüstung den Zuschlag geben, hörte man das in Regierungskreisen gar nicht gern. So dürfte sich Reverend King wohl zu der Erkenntnis durchgerungen haben, daß Indien womöglich nie den Spuren Gandhis gefolgt war.

Im Rahmen seines dreitägigen Besuchs, dessen Dauer die Bedeutung der Partnerschaft beider Länder unterstreicht, besucht Obama auch das Mausoleum in Delhi, das an jener Stelle errichtet wurde, an der man Gandhis Leiche nach dessen Ermordung im Jahr 1948 den Flammen übergab. Die Gedenkstätte wird täglich von mehr als 10.000 Touristen überschwemmt und ist für Staatsgäste gewissermaßen Routine des Protokolls bar jeder Kongenialität mit dem Streben und Werk des dort der Form nach gewürdigten Vorläufers der vielgepriesenen indischen Unabhängigkeit und Demokratie. Martin Luther King und der Dalai Lama waren hier, Bill Clinton und George W. Bush, aber auch Wladimir Putin und Hu Jintao, ja selbst General Than Shwe, Chef der Militärjunta von Myanmar. Hätte es sich seinerzeit um ein christliches Begräbnis gehandelt, griffe man an dieser Stelle vielleicht zu der freilich nicht gerade einfallsreichen Floskel, Gandhi hätte sich wohl mehr als einmal im Grabe herumgedreht.

Nach Indien bringt der US-Präsident 200 Geschäftsleute mit und verkauft seinen Gastgebern bei dieser Gelegenheit ein Kontingent Transportflugzeuge für die Streitkräfte. Die beiden Länder vertiefen ihre militärische Zusammenarbeit, während die Amerikaner im nahen Afghanistan Krieg führen und von einer globalen Partnerschaft sprechen, deren Gegner auf der Hand liegt. Einst ein Bündnispartner der Sowjetunion, der die USA eine imperialistische Macht zieh, sucht das aufstrebende Schwellenland längst sein Heil an der Seite der übriggebliebenen Supermacht, ohne sich ihr allzu widerstandslos an die Brust zu werfen. Man liebt George W. Bush noch immer, der Indien den atomaren Freischlag bar jeder Kontrolle verschafft hat. Barack Obama muß seine Tauglichkeit hingegen noch beweisen, zumal seine Äußerung, China solle künftig eine aktive Rolle in Südasien spielen, ebenso schlecht ankam wie seine Unterlassung, den Erzfeind Pakistan als "terroristisch" abzukanzeln.

Schon Martin Luther King scheint Gandhi in Indien nicht gefunden zu haben, was angesichts der Vision einer überwiegend dörflichen Ökonomie und gewaltfreien Politik des Patriarchen schon zu dessen Lebzeiten als romantisierend und kontraproduktiv verworfen wurde, da es den Ambitionen des Aufstiegs zu einer Militär- und Wirtschaftsmacht diametral widersprach. Die Inder drucken das Abbild Gandhis auf ihre Banknoten und wollen ihn als Teil ihres Kulturerbes nicht missen, doch endet damit auch schon ihre Begeisterung, da zumindest den Eliten und aufstrebenden Mittelschichten ein Leben in freiwilliger Genügsamkeit und Friedfertigkeit fremder nicht sein könnte. Ein US-Präsident, der nicht zu begreifen scheint, daß man Gandhi protokollarisch abfeiert und ansonsten ruhen läßt, muß ihnen da entweder wie ein wenig vertrauenswürdiger Schwärmer oder typisch amerikanischer Ignorant vorkommen, dessen Attitüde langsam peinlich wird.

Jedenfalls drängt sich die Frage auf, was Obama denn genau meint, wenn er wie so oft den Einfluß der Kampagne zivilen Ungehorsams im Sinne Gandhis auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA hervorhebt. Was, wenn eine neue Bewegung aufgebrachter Bürger das sofortige Ende des Afghanistankriegs forderte oder sich entschieden gegen eine Gesellschaft zur Wehr setzte, in der die reichsten ein Prozent über fast 24 Prozent der Einkünfte verfügen, womit die USA inzwischen jede Bananenrepublik in den Schatten stellen? Würde der US-Präsident in einem solchen Fall zivilen Ungehorsam immer noch preisen oder auch nur hinnehmen?

7. November 2010