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PROPAGANDA/1426: Duisburger Linkspartei im Fadenkreuz des Antisemitismusvorwurfs (SB)



Niemand käme auf den Gedanken, entschiedene Kritik an der Politik der Regierungen in Berlin, Washington, Moskau oder Beijing mit einer rassistischen Diffamierung der jeweiligen Völker gleichzusetzen, sofern die jeweiligen Einlassungen nicht explizit von dieser abzulehnenden Bezichtigung Gebrauch machten. Einzig im Fall israelischer Regierungspolitik und vor allem in Deutschland muß jeder kritische Einwand gegen die fortgesetzte Unterdrückung, Ausgrenzung und Entwürdigung der Palästinenser damit rechnen, als antisemitisch herabgewürdigt und mithin als bösartig und verblendet stigmatisiert zu werden. Kritik aus dem Feld zu schlagen, indem man sie auf diese Weise für unzulässig erklärt und verteufelt, schießt in bedingungsloser Verteidigung Israels mit der Kanone eingleisiger rassistischer Suprematie auf jeden Spatzen kritischen Geistes und menschlicher Ergriffenheit, die gegen das Leiden der Palästinenser zu Felde ziehen.

Es ist nicht notwendig, Israel mit dem früheren Südafrika zu vergleichen, um eine fundierte Analyse der israelischen Gesellschaft zu leisten und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen. Wer behauptet, die Palästinenser in den besetzten Gebieten und in Israel selbst würden gleichberechtigt behandelt, diskreditiert sich selbst als ernsthafter Diskussionspartner. Daher kann man die Auffassung, bei Israel handle es sich um einen Apartheidstaat, durchaus nachvollziehen. Ob man in diesem Zusammenhang einen Boykott israelischer Waren für sinnvoll hält, steht und fällt mit der Einschätzung, in welchem Maße man auf diesem Wege Einfluß auf die Regierung Israels nehmen kann. Wer meint, einen so begründeten Boykottaufruf mit dem "Kauft nicht bei Juden" im nationalsozialistischen Deutschland gleichsetzen zu müssen, kann dies nur unter willkürlicher Ausblendung der jeweils herrschenden Machtverhältnisse tun und stellt sich im aktuellen Konflikt opportunistisch auf die Seite des Stärkeren.

Als Instrument propagandistischer Bezichtigung feiert der Vorwurf des Antisemitismus Urstände in den jüngsten Ausfällen gegen die Linkspartei in Duisburg, die ein derzeit moniertes Flugblatt nicht nur umgehend von ihrer Webseite genommen, sondern inzwischen selbst Strafanzeige gegen einen mutmaßlichen Verdächtigen gestellt hat. Nach Angaben des örtlichen Kreisverbands der Linken hat der Provider auf eine entsprechende Anfrage hin die IP-Adresse mitgeteilt, von der das fragliche Flugblatt am 31. Januar 2011 auf die Internetseite hochgeladen wurde. Man gehe davon aus, daß mit Hilfe der IP-Adresse ermittelt werden kann, wer das Flugblatt ins Netz gesetzt hat. [1]

Das auf der Webseite der Partei verlinkte Flugblatt hatte Empörung wachgerufen, weil es unter dem Schriftzug "Nie wieder Krieg für Israel" ein Symbol mit verbundenem Hakenkreuz und Davidstern zeigt und zum Boykott israelischer Waren aufruft. Erstmals über das Flugblatt berichtet hatte der Internet-Blog Ruhrbarone, ein Journalisten-Netzwerk. Der Autor des dortigen Artikels hat nach eigener Auskunft Strafanzeige gegen Die Linke gestellt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Duisburg wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen die Duisburger Linke-Kreisvorsitzende Ute Abraham.

Vertreter von CDU, SPD und FDP ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, mit heftigen Vorwürfen über die Linke herzufallen. Diese zeige einmal mehr, "dass sie sich nicht an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gebunden fühlt, diese sogar offen missachtet", wetterte Sven Volmering, CDU-Landesvize und Chef der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen. Der Generalsekretär der NRW-FDP, Joachim Stamp, stieß ins selbe Horn: "Die Linkspartei in Duisburg liefert selbst den besten Beweis, warum die Überwachung dieser Partei durch den Verfassungsschutz nach wie vor dringend geboten ist." Für die SPD beteiligte sich Innenminister Ralf Jäger, auch Vorsitzender der Duisburger Sozialdemokraten, an der Hetzjagd, der vom Kreisverband der Linken "eine lückenlose Aufklärung des gesamten Vorgangs" forderte. [2]

Dabei konnte nur Böswilligkeit unterstellen, daß die Linke dieses Flugblatt wissentlich auf ihrer Webseite plaziert hatte. Der Kreisverband bezeichnete dessen Inhalt, der definitiv nichts mit der Politik der Linken zu tun habe, als "abscheulich". Auch die Bundestagsfraktion distanzierte sich eilig und sprach von einer Hetzschrift, die "absolut verabscheuungswürdig und widerwärtig" sei. Wie aus der Berliner Parteizentrale verlautete, habe man die Duisburger Genossen nach Bekanntwerden aufgefordert, das Angebot zum Download sofort zu löschen, was der Kreisverband auch getan habe. [3]

Die Kreisvorsitzende Ute Abraham unterstrich, daß das Flugblatt in keiner Weise die Position der Partei wiedergebe. Man versuche derzeit zu klären, wie es auf die Internetseite des Kreisverbandes gelangen konnte. Offenbar haben in Duisburg alle Ortsverbände die Möglichkeit, den Internetauftritt mitzugestalten, daneben etwa auch die Jugend- und die Studentenorganisation. [4] In einer Pressemitteilung der Linken hieß es, das Flugblatt sei "auf der Unterseite des parteiunabhängigen Jugendverbandes [solid] unter einem weitergehenden Link zu finden" gewesen. Wie es dorthin gekommen ist, bedarf noch der Klärung, wie beispielsweise auch ein Hackerangriff nicht auszuschließen ist.

Wenngleich es ein Gebot der angemessenen Zurückhaltung gewesen wäre, die Aufklärung vor die Bezichtigung zu setzen, stürzten sich die Mainstreammedien auf die Linkspartei, um ihr unter grober Mißachtung journalistischer Sorgfaltspflicht ans Leder zu gehen. Der Kreisverband der Duisburger Linken sorge "mit unappetitlicher Anti-Israel-Hetze für Empörung - nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch in den eigenen Reihen", behauptete der Spiegel unter der Überschrift "Duisburger Linke verbreitet Hetze gegen Israel". "Nazi-Flugblatt auf Homepage der Linken" titelte der Focus und verwies genüßlich darauf, daß man nach Auskunft des Netzwerks Ruhrbarone über die Linke-Homepage sogar auf eine Seite gekommen sei, auf der Hitlers "Mein Kampf" heruntergeladen werden konnte. Und natürlich durfte der Hinweis nicht fehlen, daß die Duisburger Linke nicht zum ersten Mal "mit antisemitischen Ausfällen" auffalle.

Bekanntlich hatte der damalige Fraktionschef im Stadtrat und Oberbürgermeister-Kandidat, Hermann Dierkes, 2009 einen Boykottaufruf gegen Israel unterstützt und dies unter anderem mit dem Krieg im Gazastreifen begründet. Diese Aktion hatte für erhebliche Auseinandersetzungen in der Bundespartei gesorgt. Eine Gruppe um den damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch erklärte damals: "Äußerungen, die antisemitisch sind oder wirken, sind für uns gänzlich inakzeptabel." Dierkes sah sich unter dem Druck veranlaßt, zunächst seinen Rücktritt als Fraktionschef zu erklären. Der damalige NRW-Landesvorsitzende Wolfgang Zimmermann stand ihm mit der Erklärung zur Seite, man könne doch niemand den Mund verbieten. Es sei "Unsinn", Dierkes als Antisemiten zu bezeichnen. Dierkes warf der Berliner Parteiführung damals "Zweideutigkeiten" in Sachen Menschen- und Völkerrecht vor: "Sollte sich die Position von Fraktionschef Gregor Gysi durchsetzen, daß Israel aus Gründen der Staatsdoktrin nicht kritisiert werden darf, wäre die Linke nicht mehr meine Partei."

Wie in der aktuellen Kontroverse aus dem Kreisverband verlautete, stehe Dierkes nicht im Verdacht, das Flugblatt auf der Webseite der Linken plaziert zu haben. Diese Einlassung unterstreicht einmal mehr, in welchem Ausmaß der Antisemitismusvorwurf verbrannte Erde schafft und wie notwendig es zugleich ist, sich nicht vor ihm zu ducken, sondern ihm in aller Entschiedenheit entgegenzutreten.

Siehe dazu auch:

PROPAGANDA/1382: Am Beispiel Hermann Dierkes ... Gesinnungsverdacht als politische Waffe (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1382.html

Anmerkungen:

[1] http://www.rp-online.de/niederrheinnord/duisburg/nachrichten/Flugblatt-Linke-erstattet-selbst-Strafanzeige_aid_992549.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,759367,00.html

[3] http://www.focus.de/politik/deutschland/anzeige-gegen-unbekannt-nazi-flugblatt-auf-homepage-der-linken_aid_622010.html

[4] http://www.tagesspiegel.de/politik/antisemitische-aktivitaeten-bei-duisburger-linken/4105220.html

29. April 2011