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PROPAGANDA/1466: Damals wie heute ... Kriege wollen glaubwürdig vorbereitet (SB)




Was heute allgemeiner Konsens ist, war am 5. Februar 2003 keineswegs mehrheitsfähig. Die mit großem multimedialen Aufwand im UN-Sicherheitsrat inszenierte Präsentation, in der der damalige US-Außenminister Colin Powell den Irak des Besitzes von Massenvernichtungswaffen bezichtigte, bestand aus einem Lügengeflecht, das den sechs Wochen später erfolgenden völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak legitimieren sollte. Obwohl die von ihm präsentierten "Beweise" für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen so fadenscheinig waren, daß sich ein Lügenbaron ihrer hätte schämen müssen, und antimilitaristische Medien die gegen den Irak gerichtete Kampagne schon im Vorfeld dieses Schlußsteins propagandistischer Kriegsvorbereitung inhaltlich dekonstruiert und völkerrechtlich widerlegt hatten, nahm das Gros deutscher Medien die angeblichen Beweise für bare Münze.

Wer zwischen Dias, Videos, Mitschnitten von Telefongesprächen und Powells Worten einmal die Orientierung verlieren sollte, der wurde durch den immer wieder auf der großen Projektionswand im Rücken des Conferenciers eingeblendeten Schriftzug "Iraq: Failing To Disarm - Denial and Deception" daran erinnert, welche Wahrheit hier zur Begründung eines vernichtenden Krieges erwirtschaftet werden sollte. Das war auch nötig, denn Powells Versuch, Saddam Hussein eine Jahrzehnte währende Verbindung mit Al Qaida anzulasten, lief auf ein Eigentor hinaus, wurde diese Organisation doch erst Mitte der neunziger Jahre von einem Mann aus Saudi-Arabien ins Leben gerufen, der in Afghanistan eng mit der CIA zusammengearbeitet hatte und sich als erklärter Feind Saddam Husseins am Angriff auf den Irak 1990/1991 beteiligen wollte. Von einem Killerkommando in Pakistan beseitigt ist Osama bin Laden heute nicht mehr in der Lage, die ehemaligen Partner in Washington mit seiner Version der Geschichte zu belasten.

Der US-Außenminister behauptete vor zehn Jahren des weiteren, der Irak habe zwei Al Qaida-Mitglieder für die Produktion biologischer und chemischer Waffen ausgebildet, nachdem die Führung der Organisation in Afghanistan zu der Erkenntnis gelangt sei, derartige Waffen nicht aus eigener Kraft herstellen zu können. Zudem habe Al Qaida mehrmals einen Emissär in den Irak geschickt, um dort Hilfe beim Beschaffen von Giften und Gasen zu erhalten. Dieser Mann, der später in amerikanische Hände gefallen sei, hätte ausgesagt, daß seine Reisen erfolgreich verlaufen seien. US-Präsident George W. Bush griff diese Behauptung einen Tag nach Powells Auftritt in einer Rede auf und komplettierte damit das durch Mitglieder seiner Regierung gestreute Gerücht, Saddam Hussein sei für die Anschläge des 11. September 2001 verantwortlich. Umfragen zufolge glaubten viele US-Bürger vor dem Krieg an eine direkte Verbindung zwischen Al Qaida und dem irakischen Präsidenten, und vermutlich tun sie dies heute noch, gibt es bei so nützlichen Gerüchten doch keinen Bedarf an Aufklärung.

Als Powell einen Teelöffel hervorzauberte, um darzustellen, wie gefährlich schon eine kleine Menge des Anthrax-Erregers sein könnte, konnte der unbefangene Zuschauer den Eindruck gewinnen, auf einem Jahrmarkt mit einem Taschenspielertrick unterhalten zu werden. Dennoch konnte der damit unterstellte Zusammenhang zu den Anthrax-Briefen, die die US-Bevölkerung 2001 wochenlang in Panik versetzt hatten, nicht darüber hinwegtäuschen, daß die dabei verwendeten Anthrax-Sporen aus einem US-Labor stammten.

Schon Tage zuvor hatte das Magazin Focus über Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) berichtet, demzufolge der Irak über als gewöhnliche Lastwagen getarnte Kampfstofflaboratorien verfüge. Diese Behauptung Powells sollte der zentrale Beweggrund dafür sein, den Irak bald darauf von der sogenannten Coalition of the Willing unter Führung der USA anzugreifen. Powell gab sich alle Mühe, die LKWs durch spektakuläre Bezeichnungen wie "Winnebagos of Death" zu einer hollywoodesken Nemesis aufzublasen, doch für Mikrobiologen war die Geschichte von Anfang an unglaubwürdig.

Da man für die Produktion biologischer Agenzien eine permanente Versorgung mit sterilem Wasser, viel Elektrizität verbrauchenden Kühl- und Erhitzungsmöglichkeiten, eine durch Filteranlagen gereinigte Luftversorgung, mikrobiologische Nährlösungen in großer Menge, eine Vielzahl technisch hochentwickelter und erschütterungsresistenter Gerätschaften, mit denen sich Bakterien analysieren, sterilisieren, kultivieren und trocknen lassen, Hunderte von Experten und Laboranten mit entsprechender Schutzkleidung sowie ein System von Abschottungsmöglichkeiten zwecks Vermeidung einer Kontamination benötigt, waren die von Powell gezeigten Zeichnungen einfacher Lastwagen geradezu lächerlich. Daß die Biowaffen nach Aussage des US-Außenministers in einem 24-Stunden-Zyklus hergestellt würden, wurde von den UN-Waffeninspekteuren als viel zu geringe Zeit bezeichnet, da man allein 48 Stunden zur Fermentation einer Kultur mit waffentauglichen Erregern benötige. Die Illustrationen der "rollenden Biowaffenlabors" hätte jeder Nutzer eines Grafikprogramms erstellen können, da sie zu den wesentlichen Fragen, die das komplexe Verfahren zur Herstellung solcher Kampfstoffe aufwerfen, keinerlei Informationen preisgaben. Die umfassenden technischen Probleme mobiler Biowaffenlabors in den Griff zu bekommen, wäre schon unter den weit günstigeren Umständen eines nicht durch ein striktes Embargo wirtschaftlich isolierten und von Zulieferungen dieser Art abgeschnittenen Landes sehr schwierig gewesen.

Ein Jahr später trat der US-Außenminister vor die Presse und rechtfertigte seine inzwischen vollständig als irreführend aufgeflogenen Behauptungen mit der Erklärung, daß sich die Befürchtungen seiner Regierung nicht nur darauf bezogen hätten, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besitze und entsprechende Entwicklungsprogramme habe, sondern auch darauf, daß Saddam Hussein alle Antworten auf Fragen über derartige Aktivitäten verweigert habe. Doch auch dies traf nur sehr bedingt zu, da der Irak die vom UN-Sicherheitsrat geforderte umfangreiche Aufstellung seiner Waffenbestände und -programme den Bedingungen der UN-Resolution 1441 gemäß in Form eines Dossiers abgeliefert hatte. Dieses bereitete der US-Regierung vor allem deshalb Sorge, weil es die eigene Verstrickung in die Aufrüstung des Landes dokumentierte. So ließ die CIA 8000 Seiten aus dem Waffendossier entfernen, bevor sie es den nichtständigen Sicherheitsratsmitgliedern zukommen ließ, und das war nur eine von vielen Manipulationen dieses internationalen Gremiums.

Auch trug die in der Presse verbreitete Information, daß die Angaben zu den mobilen B-Waffenlabors von einem hochrangigen Mitarbeiter des Chefs des Irakischen Nationalkongresses, Ahmed Chalabi, stammten, nicht zur Glaubwürdigkeit des Versuch Powells bei, seinen Ruf zu retten. Chalabi hatte längst eingestanden, wesentliches Belastungmaterial gegen Saddam Hussein erfunden und damit die US-Geheimdienste gefüttert zu haben.

Doch selbst wenn die Vorwürfe an die Adresse der irakischen Regierung stichhaltig gewesen wären, wäre dies nach wortgetreuer Auslegung der UN-Charta keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg gegen ein souveränes Land gewesen. Dieser wurde unter Beteiligung einer mehrheitlich die Sprachregelungen der US-Regierung unkritisch kolportierenden internationalen Presse möglich, indem Washington darauf insistierte, daß die Beweislast beim Irak liege. Doch war es letztlich belanglos, ob man sich in Bagdad Mühe gab, mit den UN-Waffeninspekteuren zu kooperieren oder nicht.

Dieses Konstrukt zur Erwirtschaftung eines Kriegsgrundes war so simpel gestrickt wie unentrinnbar: Hätte die irakische Regierung den Besitz von Massenvernichtungswaffen eingestanden, dann hätte sie den Beweis dafür geliefert, daß alle gegen sie gerichteten Schachzüge der USA objektiv berechtigt gewesen wären. Damit wäre Bagdad in eine Defensive geraten, die nur die Wahl zwischen Kapitulation und militärischer Eroberung gelassen hätte. Da die irakische Regierung jedoch behauptete, keinen positiven Beweis für etwas erbringen zu können, was man nicht besitze, wurde ihr mangelnde Kooperation angelastet, und auch so erhielt die US-Regierung einen Vorwand zur Aggression.

Erschwerend hinzu kam, daß das aktive Ausräumen jeden Verdachts durch den Irak zur Folge gehabt hätte, daß das Land den einzigen Trumpf verloren hätte, den es angesichts der militärischen Drohungen Washingtons besaß, nämlich auf die abschreckende Wirkung von Waffen zu hoffen, von deren Existenz zumindest die US-Regierung behauptete, überzeugt zu sein.

Powell wird heute gerne als Opfer in Geheimdienstkreisen gestrickter Lügen dargestellt, doch er war alles andere als das. Den Job als Außenminister des führenden imperialistischen Staates erhielt er als einflußreiches Mitglied der US-Streitkräfte, das auch gerne zu markigen Sprüchen wie jenem griff, Saddam Hussein sei Müll, der darauf wartet, abgeholt zu werden. Als Generalstabschef des Irakkrieges 1991 prägte er die nach ihm benannte Doktrin, einen Angriff nur mit uneinholbarer militärischer Überlegenheit und dementsprechend vernichtender Feuerkraft zu beginnen. So war Powell einst Schüler des Erfinders der berüchtigten Shock and Awe-Strategie, Harlan Ullman, der seine Studenten am National War College auf die Maxime einschwor, daß man mit skrupelloser und massiver Gewalt am schnellsten zum Ziel gelange.

Auch wenn die führenden Zeitungen und Sender der Bundesrepublik später nicht anders konnten, als über den irreführenden Charakter der am Hudson River dargebotenen Behauptungen zu berichten, läßt eine selbstkritische Aufarbeitung der Rolle, die Journalisten und Kommentatoren bei der Durchsetzung US-amerikanischer Eroberungspläne gespielt haben, bis heute auf sich warten. Es wurde nicht nur kolportiert, was das Weiße Haus und das Pentagon der Presse in die Keyboards diktierte, es wurde regelrecht dadurch Stimmung für den geplanten Regimewechsel in Bagdad gemacht, daß der ehemalige US-Vasall Saddam Hussein, der einst mit CIA-Hilfe im Irak an die Macht gelangte, als das fleischgewordene Böse und Wiedergänger Hitlers überzeichnet wurde. Daß der zehnte Jahrestag dieses Exempels aufwendig inszenierter Propaganda nicht zur Aufarbeitung einer Geschichte massenmedialer Kriegsbeteiligung genutzt wird, die allein im Fall der gegen den Irak geführten Kriege wie der über das Land verhängten Sanktionen ganze Bücher füllt, dürfte nicht zuletzt der Kontinuität dieser gesellschaftlichen Funktion in Vorbereitung neuer Schlachten und Siege geschuldet sein.

Für die Berichterstattung über den am 20. März 2003 begonnenen Aggressionskrieg gingen deutsche Sender Allianzen mit US-Medien ein, deren "patriotische" Gesinnung nicht nur aus Gründen der Einschaltquoten außer Frage stehen mußte. So wurde RTL von CBS beliefert, die ARD hatte sich an ABC gebunden und alle Sender kauften Material von CNN, natürlich inklusive der Berichte "eingebetteter" Kriegsberichterstatter - für die Funktionseliten ein wenig Kritik an der Politik der US-Regierung, um die Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus zu festigen, während das Fernsehpublikum vollauf damit beschäftigt war, den Superstar zu suchen. Der damals bei RTL für die Irak-Berichterstattung zuständige Mathias Wohlhöfer hatte Verständnis dafür, daß Verbrennen und Zerstören kein abendfüllendes Unterhaltungsprogramm sein kann. Er erklärte am 25. Januar 2013 im Deutschlandfunk: "Wenn ich recht informiert bin, wird der Superstar gekürt am 1. März, und bis dahin könnte der Krieg ausgebrochen sein. Wir müssen auch neben der Kriegsberichterstattung ganz normales Programm fahren."

Es war allemal begründet, die in der Eingangshalle des UN-Gebäudes am Hudson River angebrachte Reproduktion des weltberühmten Gemäldes La muerte de Guernica, in dem Pablo Picasso anläßlich der Bombardierung des kleinen baskischen Städtchens durch die deutsche Legion Condor während des Spanischen Bürgerkriegs 1937 die Schrecken des Krieges darstellte, am 27. Januar 2003 mit einem blauen Vorhang zu verhängen. Als Kulisse eines Auftritts des US-Außenministers Colin Powell hätte das epische Werk störende Gedanken provozieren können.

5. Februar 2012