Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


PROPAGANDA/1497: Medien - Im Flutlicht der Interessen ... (SB)



Die auf den ersten Blick einleuchtende Kritik, das Höhlendrama in Thailand werde im Vergleich zum alltäglichen Flüchtlingstod im Mittelmeer über Gebühr in den Medien präsentiert, wird weder den jungen Fußballspielern, deren Ausflug sich tatsächlich als Abenteuer erwies, noch den Flüchtenden gerecht, die vielen Menschen zum Ärgernis unausgegorener Schuldgefühle oder gar zum Anlaß offener Aggression geworden sind. Als sei das Spektakel um die Jugendmannschaft eigens zur Fußball-WM der Männer bestellt worden, wurden die von Unwetter eingeschlossenen Höhlentouristen auf eine Weise vermarktet, bei der alle Register eines Abenteuerfilms Marke Indiana Jones gezogen werden. Der Medienkonsument wird mit erwartbaren und vertrauten Sichtweisen abgefüttert, und nur das Wissen darum, daß es sich um ein reales Ereignis handelt, unterscheidet es vom fiktiven Geschehen im Kino.

Den meisten LeserInnen und ZuschauerInnen dürfte ohnehin bewußt sein, daß das Geschehen in Thailand zum Zwecke angenehmen Verbrauchs zum Unterhaltungsevent aufgebauscht wurde. Schließlich glauben nicht alle Menschen alles, was im Fernsehen gezeigt wird und in der Zeitung steht, sondern beteiligen sich einfach angeregt an den darüber entstehenden Gesprächen und Spekulationen. So etwas wie genuine Betroffenheit zu erwarten, die beim Endlosdrama um ertrinkende Flüchtlinge längst aufgebraucht zu sein scheint, reflektiert nicht zuletzt das Entsetzen über den Eventcharakter lebensbedrohlicher Ereignisse und die Angst, selbst einmal unter das schnell rotierende Rad flüchtigsten Infotainments zu geraten. Gefühle werden produziert und stimuliert, um Abwechslung und Ablenkung in den grauen Alltag zu bringen, das gilt für reale Ereignisse ebenso wie für fiktive Produktionen. Dementsprechend durchlässig ist die Grenze zwischen beiden. Ein guter Journalist ist kein Bürokrat, der die Welt eins zu eins abbildet, um mit einem moralinsauren Kommentar die Bestätigung eigener Ohnmacht zu erwirtschaften. Anstatt mit der Lebenswürze hausieren zu gehen, daß es anderen noch schlechter als einem selbst ergeht, erzählt ein guter Autor Geschichten, die über sich selbst hinausweisen und kognitive Erregungszustände für individuelle wie kollektive Handlungsfähigkeit produktiv machen.

Die anwachsende Zustimmung zur staatlichen Flüchtlingsabwehr auch mit Hilfe von Internierungslagern nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn" ist die eigentlich interessante Geschichte, die sich dem medialen Scheinwiderspruch entzieht. Das tägliche vermeidbare Sterben vor der eigenen Haustür in Kauf zu nehmen, um sich in der Mangelordnung einen aussichtsreicheren Platz an den Fleischtöpfen zu sichern, läßt sich mit dem an die Medien erhobenen Anspruch, per se Gleichheits-, Wahrheits- und Neutralitätsidealen unterworfen zu sein, nicht in Übereinstimmung bringen. Der Appell an diese von Herrschaftsinteressen durchdrungene Instanz, die Welt doch so zu schildern, wie sie ist, damit alles wieder in Ordnung kommt, entspringt der infantilen Weigerung, einen Blick auf die Knochenmühle zu werfen, von der alle leben und an die sie zugleich gefesselt sind.

Auf eine Menschen und den sie betreffenden Verhältnissen angemessene Art und Weise über all die Ausbeutung und Unterdrückung in der Welt zu berichten, mit der die große Maschine am Laufen gehalten wird, verlangte nicht nur ein herrschaftstechnisch kontraproduktives Ausmaß an Selbstkritik, für das in der gesellschaftlichen Anerkennungs- und Erfolgsordnung kein Platz ist. Es setzte ohne Umstände die völlige Umwälzung herrschender Verhältnisse auf die Tagesordnung. Warum akzeptieren, daß nur ein Mensch mehr ohnmächtig und alleingelassen an Bedingungen stirbt, die von seinen Artgenossen als zivilisatorischer Fortschritt gefeiert werden? Warum die Trennung, Teilung, Spaltung akzeptieren, die Lebewesen als Beute des jeweils anderen zum Objekt schmerzerfüllten Konsums machen? Da ist es doch viel einfacher, in die zivilreligiöse Beschwörung einer Hoffnung einzustimmen, die ein gutes Ende wider besseren Wissens um die Ohnmacht, die sie beschönigt, suggeriert.

12. Juli 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang