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RAUB/0882: Boykott der UN-Rassismuskonferenz ein Ablenkungsmanöver (SB)



Der Streit um die für den vom 20. bis 24 April in Genf geplante Durban Review Konferenz, auf der die Ergebnisse der UN-Rassismuskonferenz in Südafrika überprüft und weiterentwickelt werden sollen, belegt die Notwendigkeit dieser Konferenz mit dem rassistischen Charakter der im Vorweg verfolgten Strategie, Rassismus nicht zum Thema werden zu lassen. Indem die USA und EU mit einem Boykott drohen, versuchen sie nicht nur, Kritik von der Regierung Israels abzuwenden. Schließlich ist es mit dem angeblichen Negativbeispiel, der Deklaration gegen Rassismus von Durban 2001, nicht so schlecht bestellt wie vielfach behauptet, wird dort doch eindeutig gefordert, daß der Holocaust nicht vergessen werden darf. Auch das im Vorfeld dieser Konferenz mehrfach modifizierte Dokument ist hinsichtlich der Verurteilung Israels, die durch den Krieg gegen Gaza neuen Auftrieb erfahren hatte, bei weitem nicht so einseitig, wie gerne behauptet wird.

Ohnehin stellt das von deutschen Kritikern der Konferenz wie dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke, ins Feld geführte Argument "antiisraelischer" Hetze seinerseits ein problematisches Konstrukt dar, vereinnahmt es doch auch alle Kritiker der israelischen Regierungspolitk und des Zionismus wie die Minderheit arabischer Israelis und jüdischer Antizionisten unter einem Etikett, das nach Sachlage "antizionistisch" lauten müßte. Auf diese Weise wird die israelische Staatsdoktrin, die die jüdischen Bürger des Landes einseitig bevorzugt und sich dadurch des Vorwurfs aussetzt, eine rassistische Mehrklassengesellschaft zu konstituieren, dazu genutzt, zu verteidigen, was im Sinne der Menschenrechte zu verändern wäre.

Die grob gezeichnete Vereinfachung des ideologischen Diskurses, der mit der angeblichen Infragestellung des Existenzrechts Israels gezielt vom Stigma genozidaler Absichten verunstaltet wird, hat Methode. Genauer hinzuschauen und festzustellen, daß tatsächlich einiges an der israelischen Politik gegenüber den eigenen arabischen Bürgern wie den Palästinenser von rassistischen Praktiken bestimmt wird, ist ebenso unerwünscht wie die Frage aufzuwerfen, wie es eigentlich um das Existenzrecht der Palästinenser bestellt ist.

Vor allem jedoch dient die plakative Subsumierung der gesamten Antirassismuskonferenz unter den Vorwurf antisemitischer Demagogie dazu, die westlichen Industriestaaten von jeglicher Kritik freizuhalten. Indem sie sich in die Offensive begeben und den Eindruck erwecken, sie müßten von islamischen Fanatikern verfolgten Juden Schutz gewähren, bemänteln sie den Rassismus ihrer eigenen imperialistischen Weltordnungspolitik. Die Besatzungs- und Kriegspolitik Israels gegen Kritik in Schutz zu nehmen hat zur Folge, daß die gesamte Debatte um die Genfer Konferenz zum Nutzen der EU und USA auf ein Thema eingeengt wird, für das diese nur mittelbar verantwortlich zeichnen. Die Einseitigkeit der angeblichen Israelfeinde korrespondiert mit dem Interesse der angeblichen Israelfreunde, sich selbst unbeeinträchtigt von offenem Widerspruch weißwaschen zu können. Die Konsequenz dieses Ablenkungsmanövers besteht letztlich in einer Belastung Israels, wird dem Land doch die gesamte Bürde aufgelastet, die die weißen Herren in Washington und Brüssel zu schultern hätten, wenn die in Anspruch genommene Menschenrechtsmoral tatsächlich universale Gültigkeit besäße.

Worin diese Bürde besteht, wird gerade zur Zeit auf besonders bezeichnende Weise deutlich. Die mit der Wirtschaftskrise erfolgte Trendumkehr beim Erreichen der UN-Milleniumsziele bedeutet, daß noch mehr Menschen verelenden, hungern, dursten, frieren, ohne Wohnung bleiben und nicht in den Genuß einfachster medizinischer Leistungen gelangen. Bezeichnenderweise lebt das Gros dieser Menschen in den Ländern des Südens und ist nichtweißer Hautfarbe. Die demgegenüber maßlos privilegierten Bevölkerungen der Hemissphäre Nordamerikas und Westeuropas verteidigen ihren Wohlstand nicht nur mit immer tödlicheren Grenzbefestigungen, sondern auch kriegerischen Interventionen, bei denen im Verhältnis zu den Angreifern ein Vielfaches der Menschen umkommt, die in den attackierten und besetzten Ländern leben.

Zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise werden nun wieder die bewährten Agenturen des neoliberalen Strukturwandels, IWF und Weltbank, mit Milliardensummen ausgestattet. Die Länder des Südens sollen ihre Produkte und Ressourcen weiterhin nach Weltmarktbedingungen veräußern, anstatt zuerst die eigene Bevölkerung zu ernähren und zu versorgen. Sie sollen mit ihrem viel geringeren Produktivitätsniveau in direkten Vergleich mit den hochproduktiven Industriestaaten gestellt werden, damit diese die Macht des abstrakten Tauschmittels Geld zu Lasten derer ausnutzen können, die nicht in gleichem Maße darüber verfügen. Anstelle eine solidarische Lösung für die Krise des Kapitalismus anzustreben, die mit großer Wahrscheinlichkeit einer sozialistischen Gesellschaft entspräche, geht es um die Konsolidierung und Fortschreibung der herrschenden Produktions- und Verwertungsbedingungen, sprich die Aufrechterhaltung eines vom transnationalen Finanz- und Industriekapital kontrollierten räuberischen Welthandelssystems.

Hier nicht von Rassismus zu sprechen bedeutet, das Thema zu verfehlen. Eben das soll in Genf geschehen. Indem EU und USA Israel als verfolgte Unschuld vorführen, ziehen sie ihre eigenen Raubzüge und Kriegsverbrechen aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. Indem sie gegen die Teilnahme des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad polemisieren, bedienen sie sich eines zweckdienlichen Buhmanns, um niemanden von Bedeutung nach Genf schicken zu müssen, sondern selbst im Falle einer Teilnahme unbedeutetende Regierungsbeamte aus der dritten Reihe zu entsenden. Wären Recht, Moral und Wahrheit tatsächlich so sonnenklar sortiert, wie es die Menschenrechtler der EU und USA behaupten, dann dürfte es deren Staats- und Regierungschefs sowie Ministern keine Schwierigkeit bereiten, einen Politiker wie Ahmadinejad in die Schranken seiner irreführenden Weltsicht zu weisen.

So wird mit dem angedrohten Boykott der Antirassismuskonferenz vor allem versucht, ein Ergebnis, das dem Problem der Ausplünderung, Unterdrückung und Vernichtung von Menschen aus Gründen ihrer ethnischen, geschlechtlichen oder sozialen Herkunft auch nur annähernd gerecht würde, zu verhindern. Es ginge absehbar zu Lasten der zentralen Profiteure des kapitalistischen Weltsystems, und da ist es nur recht und billig, das Sandkorn im Auge des andern zu suchen.

18. April 2009