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RAUB/0892: Bauern ruiniert, Investoren greifen nach Agrarland (SB)



Unverständnis äußert der Kommentator der Tageszeitung Die Welt (26.05.2009) über das Zugeständnis der Bundesregierung an die Milchbauern, die Steuer für Agrardiesel zu senken. Er moniert, daß die Bundesregierung "mitten in der größten Weltrezession seit Menschengedenken, in der Weltkonzerne zu Boden gehen und Zukunftsindustrien beschworen werden", ausgerechnet einer Branche unter die Arme greife, "deren existenzielle Bedeutung für den Wirtschaftsstandort vermutlich geringer ist als der Bestand mancher Großbank." Dies ausgerechnet in einem wirtschaftsliberalen Blatt zu lesen zeugt nicht eben von der Kompetenz des Urhebers dieser Zeilen. So erfreuen sich landwirtschaftliche Rohstoffe an den Warenterminbörsen wachsender Beliebtheit, verspricht die Spekulation mit knappen Gütern doch sichere Gewinne, die sich mit reinen Finanzgeschäften zur Zeit immer weniger machen lassen.

Die strategische Bedeutung von Agrarrohstoffen ist gerade in einem Land wie der Bundesrepublik, die trotz der landwirtschaftlichen Nutzung fast der Hälfte ihres Territoriums Nettoimporteur für Lebensmittel ist, nicht zu unterschätzen. Daß dies bei makroökonomischen Vergleichen mit am Finanzmarkt erzielten Gewinnen und angesichts eines Beschäftigtenanteils in der Landwirtschaft von nur 2 Prozent aller Erwerbstätigen der Bundesrepublik dennoch geschieht, ist der beliebigen Austauschbarkeit aller Güter gegenüber dem Wertäquivalent des Geldes geschuldet. Mit welchen Produkten, Geschäften oder Dienstleistungen Kapital verwertet wird, ist den Eignern gleichgültig, so lange es überhaupt erfolgt. Der Gedanke, daß die unter Einsatz ihres Kapitals produzierten und gehandelten Güter von essentieller Bedeutung für Millionen von Menschen sein könnten, ist ihnen schon deshalb fremd, weil sie sich nicht in Probleme anderer Menschen hineinversetzen möchten, die aufgrund ihrer Geschäfte in Not geraten.

Die Gleichgültigkeit des Kapitalismus gegenüber den Objekten der Verwertung hört allerdings dort auf, wo die unmittelbaren Lebensinteressen der Investoren berührt sind. Auch wenn es abwegig erscheint, daß ein milliardenschwerer Hedge Fonds-Manager eines Tages nichts zu essen auf dem Teller haben könnte, so dokumentiert dieses Bild doch die unauflösbare Interdependenz von Real- und Finanzwirtschaft. Auch eine florierende Landwirtschaft ist von Kapitalinvestitionen abhängig, und das desto mehr, je abstrakter die Produktionsverhältnisse im Sinne ihrer Mechanisierung und Industrialisierung sowie der Ablösung klassischer Familienbetriebe durch auf Lohnarbeit angewiesene Großbetriebe sind. Die Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft, die dafür gesorgt haben, daß aus Ländern, in denen die Mehrheit der Bevölkerung mit der Erzeugung des täglichen Essens befaßt war, Industriestaaten mit einer im Bruttosozialprodukt marginalen Agrarproduktion wurden, sind ein Ergebnis kapitalistischer Mehrwertproduktion, auch wenn das nicht notwendigerweise so sein müßte, wie Produktivitätszuwächse in kollektiv organisierten Genossenschaften zeigen.

Mit dem synchronen Verlauf der Wirtschaftskrise, des Klimawandels, der Ressourcenverknappung und der Nahrungsmittelverteuerung hat sich die Aufmerksamkeit der Investoren wieder verstärkt auf den primären Produktionsfaktor des Bodens gerichtet. Laut einem aktuellen Bericht der Financial Times Deutschland (25.05.2009) haben etwa die ehemaligen Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley große Investitionen in Geflügel- und Schweinefarmen in China und landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine getätigt. Neben staatlichen Aufkäufern aus China, Südkorea oder Saudi-Arabien, die riesige Flächen Agrarlands in Entwicklungsländern pachten oder kaufen, um die Ernährung ihrer Bevölkerungen zu sichern, greifen auch private Investoren in Hoffnung auf große Gewinnzuwächse nach den globalen Landressourcen. Zudem würden damit Informationen über Angebot und Nachfrage auf dem Agrarmarkt erlangte, die den Wert dieses "strategischen Investments" zusätzlich steigern könnten, so FTD.

Die britische Regierung hat vor wenigen Monaten davor gewarnt, die eigene Landwirtschaft zu vernachlässigen, müsse man doch gut die Hälfte aller im Vereinigten Königreich verbrauchten Nahrungsmittel importieren. Den Prognosen der Experten der Welternährungsorganisation FAO und anderer mit der Welternährungslage befaßter Institutionen zu einer weiteren Verschärfung des Versorgungslage wird die Logik des Kapitals, Gewinne mit der Not zu machen, durchaus gerecht, wenn in immer größerem Ausmaß in Landwirtschaft und Lebensmittelhandel investiert wird. Was bei der Landnahme in afrikanischen Elendsregionen durch kapitalkräftige Volkswirtschaften und Investoren ganz direkt auf kolonialistische Weise umgesetzt wird, findet in den hochentwickelten Industriestaaten, durch die Bemessung aller wirtschaftlichen Produktivität am Ertrag des Kapitaleinsatzes gefiltert, auf im Endergebnis ähnliche Weise statt.

Der Preisrückgang, den die Milchbauern erleiden, entspricht dem Lohndruck, dem der Industriearbeiter ausgesetzt ist. Beide sollen die Bedingungen der Kapitalverwertung zu eigenen Lasten verbessern, um im Endeffekt Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer zu fallen, die ihnen auch noch die Möglichkeit nehmen, die Produkte ihrer Arbeit selbst zu nutzen. Daß der Verbilligung der Arbeit ein Run auf knapper werdende Ressourcen gegenübersteht, liegt auf der Linie der Kommodifizierung des materiellen Überlebens. Stößt der Kapitalismus an die Grenze einer Überakkumulation, da das für die akkumulierten Geldbeträge verfügbare Sozialprodukt überproportional abgenommen hat, so daß sich das Kapital nicht mehr nach Maßgabe des ihm immanenten Profitinteresses verwerten läßt, dann rücken diejenigen Dinge, die man für Geld nicht mehr kaufen kann, weil es weit mehr Guthaben gibt als die seinem nominellen Wert entsprechende Produkte, in den Mittelpunkt des Interesses. Dies ist die Gelegenheit für die Produzenten knapper Güter, das Kapitalverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern. Da dies nicht ohne direkte Einflußnahme auf die politische Entscheidungsebene möglich ist, ist die Mobilisierung der europäischen Bauern für grenzüberschreitende Kampfmaßnahmen unerläßlich.

26. Mai 2009