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RAUB/0917: Innovative kommerzielle Wasserdistribution in Dürregebieten Kenias (SB)



Zu den wesentlichen Dingen, die man zum Leben benötigt, gehören Essen und Trinken. Dies in Anspruch zu nehmen ist für Millionen Menschen nicht selbstverständlich, und das nicht aufgrund eines absoluten Mangels an essentiellen Ressourcen, sondern des Gewaltverhältnisses zwischen denjenigen, die über sie verfügen, und denjenigen, die ihrer bedürfen. Daß ein Lebensmittel wie Trinkwasser überhaupt Objekt kapitalistischer Verwertung ist, ist in einer Welt, in der die Frage, ob man lebensbedrohlichen Mangel erleidet oder mit verschwenderischem Überfluß praßt, über Herkunft und Zugehörigkeit beantwortet wird, Ausdruck nicht nur massiven Unrechts, sondern krasser ökonomischer Gewalt. Dies anders zu sehen und angesichts aktueller Hungerkatastrophen fatalistisch mit den Schultern zu zucken kann sich nur derjenige leisten, der bereits satt ist, so daß es hier nicht um eine Frage der Wahrheit, sondern der Position geht.

Wer die massenhafte materielle Not für inakzeptabel hält, der kann technische Innovationen wie den Aufbau solarbetriebener kommerzieller Wasserstationen in Kenia, bei denen die Menschen ihren Durst nur auf bargeldlose Weise stillen können, nicht vorbehaltlos begrüßen. Zwar soll die Maßnahme, über die Heise Online (03.10.2009) berichtet, zur Sicherung der Grundversorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser dienen, indem sie verhindert, daß diese korrupten Politikern und Geschäftsleuten zum Opfer fallen. Dennoch wäre es zweifellos besser, die bettelarme Bevölkerung gar nicht erst mit einem elektronischen Bezahlsystem zu belasten, für das sie ein Mobiltelefon unterhalten und sogenannte Wassercredits bei einem Bezahldienst kaufen muß, die anschließend auf einem zentralen Server abgerufen werden. Meldet sich der Käufer bei der Wasserstation mit einer Smartcard an, dann werden die vorab bezahlten Wassercredits in deren RFID-Chip eingelesen. Nach Einbringen der Smartcard ins Lesegerät der Zapfstation wird automatisch ein Hahn geöffnet, aus dem so lange Wasser fließt, bis die Credits erschöpft sind.

Mit diesen Pay-per-Use-Wasserstationen wird aus gutem Grund erheblicher logistischer Aufwand betrieben. Auf diese Weise kann die Zuteilung des Wassers rationalisiert und die Kontrolle über die notleidende Bevölkerung intensiviert werden. Mit der Einführung einer datenelektronisch zentral verwalteten Wasserdistribution wird die Grundlage für ein Zuteilungssystem geschaffen, mit dem sich Menschen aus Gründen ihrer Armut, ihres angeblichen Mißverhaltens oder zum Zwecke politischer Disziplinierung vom Wassernachschub abschneiden lassen. Des weiteren läßt sich ihr Verbrauch bis auf den Deziliter überwachen und im Zweifelsfall unter dem Vorwand reduzieren, daß das Wasser für angeblich nicht überlebenswichtige Zwecke wie etwa die Bewässerung eines Ackers mißbraucht werde. Das Ersetzen von Bargeld durch elektronische Bezahleinheiten geht stets mit einem Zuwachs an administrativer Verfügungsgewalt einher, und da diese in den Elendsgebieten dieser Welt keineswegs nur humanitären Zielen folgt, steckt in jeder Beschneidung souveräner Handlungsfähigkeit der Keim von Ausbeutung und Unterdrückung.

Die Einführung einer Technologie, die im bei Heise Online beschriebenen Fall in Dänemark organisiert wird und die die Verfügbarkeit eines unentbehrlichen Lebensmittels in die Hände kommerzieller Anbieter legt, die nicht einmal in Kenia, geschweige denn in der von Wassermangel betroffenen Region leben, ist ein Merkmal globalistischer Arbeitsteilung, mit dem die Menschen gezielt davon abgekoppelt werden, ihre Not aus eigener Kraft oder mit uneigennütziger Hilfe beheben zu können. In einer mit Dürre geschlagenen Landschaft vor einer Wasserstation zu stehen und dort nichts zu trinken zu erhalten, weil man keine Credits eingekauft hat, die das vollständig automatisierte System zur Abgabe von Wasser veranlassen, verdeutlicht den Zynismus eines Verwertungsinteresses, dem gleichgültig ist, über welche Leichen es bei der Profitmaximierung geht.

Wie bei Heise Online erwähnt geht die Welthungerhilfe einen anderen Weg und stellt Geld für den Bau von Brunnen zur Verfügung, für deren Wasser die Bevölkerung nicht bezahlen muß. Was sonst sollte in Katastrophenregionen wie in den Dürregebieten Kenias getan werden, um den Menschen das bloße Überleben zu ermöglichen? Die Einführung eines hypermodernen Bezahl- und automatisierten Distributionssystems in einem Land, in dem die Bevölkerung nicht einmal genug zu essen hat, repräsentiert die menschenfeindliche Logik des herrschenden Systems aufs Deutlichste. Von dominantem Interesse ist die Sicherung einer Herrschaft, die sich ideologisch über ein vor das Recht auf Leben gehendes Recht auf Eigentum, politisch über die gewaltsame Ausgrenzung aller Menschen, die nichts als ihr Leben zu verlieren haben, und technisch über die unbestechliche Anonymität elektronischer Systeme der Gratifikation und Sanktion artikuliert.

8. Oktober 2009