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RAUB/0921: "Leistungsträger" vom Staat gebeutelt? Ein Häretiker widerspricht (SB)



Diejenigen, die den volkswirtschaftlichen Karren ziehen, sollen durch Steuersenkungen für diese Leistung belohnt werden. In der Debatte um die Steuerpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung geizt die FDP nicht mit moralischen Argumenten. Die Glaubwürdigkeit des kalten Kalküls bekennender Marktfundamentalisten hat unter der Wirtschaftskrise arg gelitten, so daß die nächste Runde im finanzkapitalistischen Wertschöpfungskarussell von vornherein mit inquisitorischem Druck eingeläutet wird. Leistung soll sich wieder lohnen, steht auf den Fahnen der Liberalen, nur wird die Frage, worum genau es sich bei Leistung im eigentlichen handelt, wie ein Staatsgeheimnis behandelt.

Die naheliegende Annahme, hier ginge es um den Lohn für das Produkt anstrengender, entbehrungsreicher Arbeit, trifft nicht zu. Wäre es so, dann forderten die Liberalen die Beendigung der Lohnzurückhaltung, die die abhängig Beschäftigten allein von 2005 bis 2008 vier Prozent ihres Einkommens kostete. Auch tritt die FDP nicht für einen angemessenen Mindestlohn ein, um den etwa ein Drittel der Beschäftigten betreffenden, nach den USA zweitgrößten Niedriglohnsektor der westlichen Industriestaaten wieder abzubauen. Nein, die FDP kämpft für Kapitaleigner in der vorgeblichen Hoffnung, daß es sich bei ihnen um Investoren handelt, deren Geld sich direkt in Arbeitsplätze und darüber ein höheres Steueraufkommen verwandelt. Die FDP hofft darauf, daß die von ihr hofierten "Leistungsträger" das ihnen inmitten der Weltwirtschaftskrise zugeschanzte Geld wenn schon nicht investieren, dann zumindest beim Einkauf ausgeben und nicht etwa auf ein Konto tragen, das sich womöglich auch noch im Ausland befindet.

Die Liberalen sind also eine Kirche der besonders bigotten Art. Ihre Glaubenshoffnung basiert nicht nur auf einem veritablen Etikettenschwindel, indem sie den üblicherweise mit Kraftanstrengung und Verschleiß in Verbindung gebrachten Begriff der Leistung auf Menschen anwenden, die der Empfehlung der Finanzwirtschaft folgen, ihr Geld für sie arbeiten zu lassen, sprich von der produktiven Leistung Lohnabhängiger zu leben, die ihren Körper zu desto schlechteren Bedingungen verkaufen müssen, als die von ihnen nicht verschuldete Krise den Verkauf von Lohnarbeit erschwert. Die Liberalen schützen auch die fromme Hoffnung vor, daß der bedingungslos gewährte Steuernachlaß nicht für Zwecke verwendet wird, die das vorgebliche Ziel steigender Steuererträge sabotiert. Da das zentrale Credo der liberalen Weltanschauung im unbedingten Eigennutz besteht und in einer Krise keineswegs gewährleistet ist, daß diesem am meisten durch langfristige Investitionen in den Aufbau konventioneller Formen der Wertschöpfung gedient ist, wird beten allein nicht helfen, um dieses Ziel zu erreichen.

Selbst in der Klasse der "Leistungsträger" gibt es Menschen, die den Glauben an die alles heilende Wirkung des Eigennutzes nicht zu dem ihren machen. Im Deutschlandfunk (02.11.2009) berichtet Peter Vollmer, Mitglied der Initiative "Appell für eine Vermögenssteuer", über die Realität des die Reichen angeblich unsäglich schröpfenden deutschen Steuerstaaats:

"Ich zahle eben immer weniger Steuern. Das ist die Frage. Ich habe angefangen mit einer Einkommenssteuer von 56 Prozent. Die wurde dann runtergesetzt auf 53 Prozent, dann wurde sie runtergesetzt auf 48 Prozent, dann auf 45 Prozent und dann auf 42 Prozent. Jetzt sind noch mal wieder drei Prozent oben draufgekommen. Das heißt, die Versteuerung von hohen Einkommen wird immer mehr reduziert. Und nun ist jetzt noch oben draufgekommen seit 1. Januar dieses Jahres, dass im Falle von Einkommen aus fest verzinslichen Papieren oder aus Sparguthaben und so weiter eine einheitliche Steuer eingeführt worden ist von 25 Prozent. Das heißt, auf diesen Teil zahle ich nicht mal mehr 45 Prozent, sondern nur noch 25 Prozent. Das ist fast noch mal eine Steuersenkung von 50 Prozent. Insofern verstehe ich fast gar nicht die Frage, warum Deutschland ein Hochsteuerland sein sollte. Es ist in Wirklichkeit ein Niedersteuerland."
(Deutschlandfunk, 02.11.2009)

Peter Vollmer ist über seine Frau, die als Lehrerin in Berlin-Neukölln arbeitet, mit den Abgründen konfrontiert, die sich in dieser Gesellschaft zwischen arm und reich auftun. Mit der Initiative, der er angehört, tritt er dafür ein, diese Kluft durch aktive Umverteilung von oben nach unten wieder etwas schmaler zu machen. Einem Erfolgsprediger wie Guido Westerwelle, der mit dem öligen Schmalz des alle Menschen liebenden Wohltäters behauptet, die FDP sei mit der Erhöhung des Schonvermögens für Hartz IV-Empfänger, eine vor allem der Versicherungsindustrie nützende, nur sehr wenige Leistungsempfänger, die überhaupt noch Vermögen haben, betreffende symbolpolitische Maßnahme, sozialer als alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien, müssen Menschen wie Vollmer wie vom Bösen verblendete Häretiker vorkommen. Wohlhabende Bürger wollen ohne Not etwas abgeben, weil sie wissen, daß der Nutzen ihres Geldes auf der Funktionsfähigkeit einer ansonsten in ihrer Kohäsion gefährdeten Gesellschaft beruht. Hätten solche "Leistungsträger" das Sagen, dann litten weder der Kapitalismus noch die freiheitlich-demokratische Grundordnung unter einer Legitimationskrise.

2. November 2009