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RAUB/0949: Kritik am zerstörerischen Charakter der Luftfahrt fällt aus (SB)



Alle reden über das Wetter, nur die Flugzeug- und Airline-Industrie tut so, als ginge sie das nichts an. Seit Tagen wird in den großen Medien an vorderster Stelle über die Einschränkung des Flugverkehrs durch die isländische Vulkanasche lamentiert und gestritten. Bezeichnenderweise verliert in den zahlreichen Berichten und Analysen fast niemand ein Wort über die sozioökonomischen und ökologischen Folgen der Luftfahrt. Statt dessen wird abgehoben auf eine Normalität der Mobilität, in der die Benutzung von Flugzeugen so selbstverständlich wie die des eigenen Autos ist. Eben dies wäre zu hinterfragen, wenn sich die Mehrheitsmedien nicht als Sachwalter herrschender Interessen verstünden.

Diese sind im Fall der zivilen wie militärischen Luftfahrt so überschaubar und eindeutig gelagert, daß die Ausblendung des hochgradigen Kapitalinteresses, das das weitere Wachstum der Flugzeugindustrie und Luftfahrtunternehmen bedingt, vor dem Hintergrund des Klimawandels besonders auffällt. Noch vor wenigen Monaten stand die Frage, wie man den Ausstoß von Klimagasen reduzieren könne, ganz oben auf der Agenda der Politik. Nun, da eine die Umwelt im Vergleich der zurückgelegten Personen- und Frachtkilometer mit anderen Verkehrsmitteln wie insbesondere der Bahn besonders stark zerstörende Branche zusätzlich zur Weltwirtschaftskrise durch ein Naturereignis belastet wird, könnte man ebensogut, wie auf die Wachstumrelevanz der Luftfahrt verwiesen wird, an deren destruktive Auswirkungen erinnern.

Ohnehin erklärt sich die im Verhältnis zum allgemeinen Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten überproportionale Zunahme des Luftverkehrs vor allem dadurch, daß er in erheblichem Ausmaß subventioniert wird. Man kann sich durch die neoliberalen Ansagen deutscher Regierungspolitiker über den leistungsbedingten Charakter der privaten Kapitalakkumulation und die angebliche Ungerechtigkeit von Sozialtransfers an überflüssig gemachte Lohnarbeiter nur verhöhnt fühlen, wenn man bedenkt, daß der Flugverkehr weder von einer Mineralölsteuer noch einer Mehrwertsteuer bei Auslandsflügen betroffen ist. Wenn man die Kosten, die der Allgemeinheit durch den Luftverkehr entstehen, und die durch ihn erzeugte Klimabelastung bedenkt, dann müßte die Kerosinsteuer den Analysen von Klimaschützern zufolge rund drei mal so hoch sein wie die Besteuerung des Fahrzeugbenzins.

Damit wird ein Segment des Verkehrswesen auf Kosten aller Bürger subventioniert, dessen Dienstleistungen nur dem vermögenden oder besserverdienenden Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das gilt nicht nur für den Reise-, sondern auch den Frachtverkehr, dessen Kosten sich nur bei entsprechend teuren Gütern rechnen. Hinsichtlich der durch die kommerzielle Luftfahrt erbrachten Wertschöpfung verhält es sich kaum anders - zwar bietet sie vielen Erwerbstätigen meist relativ gut bezahlte Arbeitsplätze, die geschäftlichen Erträge jedoch kommen allein ihren Eignern zugute, die zusätzlich von der politisch gewollten fiskalischen Entlastung des Luftverkehrs profitieren. Das dafür geltend gemachte Arbeitsplatzargument basiert jedoch auf einem Nullsummenspiel, generierte der Ausbau anderer Transportformen doch in entsprechendem oder sogar größerem Ausmaß neue Lohnarbeit.

Ohnehin läßt sich die Frage einer sinnvoll gestalteten Mobilität im kapitalistischen Weltsystem nicht allein aus dem Blickwinkel deutscher oder europäischer Interessen stellen, will man alle Menschen betreffende Probleme wie das des Klimawandel oder der endlichen fossilen Brennstoffe lösen. Die moderne Luftfahrt ist als Mittel des massenhaften Transports von Personen und Gütern integraler Bestandteil der internationalen Arbeitsteilung, die ausschließlich über Rentabilitätskalkulationen organisiert wird. Wenn per Luftfracht leicht verderbliche Landwirtschaftsprodukte wie Obst und Blumen aus Ländern um die halbe Erde geflogen werden, in denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung hungert, während die einheimische Agrarproduktion zwecks Erwirtschaftung von Devisen auf den Export ausgerichtet ist, dann entstehen dabei in doppelter Weise Verluste. Zum einen entfallen Anbauflächen für den einheimischen Konsum, zum andern werden Klimagase produziert, um Waren in ferne Länder zu transportieren, die für die Ernährung der dort lebenden Menschen ohne weiteres durch einheimische Produkte zu ersetzen wären.

Wie im Falle der durch Echtzeitinformationsaustausch auf dem Finanzmarkt weit über den Wert erzeugter Güter und Dienstleistungen hinausgetriebenen globalen Kapitalakkumulation ist das Wachstum des Flugverkehrs ein Beschleunigungsphänomen, dem die effiziente Ausbeutung regionaler Produktivitätsunterschiede zugrundeliegt. Das gilt nicht nur für den Warenhandel, der sich bei einem Großteil der per Luftfracht beförderten Güter nur rechnet, wenn die hohen Transportkosten durch geringe Herstellungskosten kompensiert werden, sondern auch für den Personenverkehr. So sind Geschäftsreisen im heutigen Ausmaß ebenfalls Folge einer Globalisierung, bei der es um die Ausbeutung standortbedingter Kostenfaktoren geht, wie der Massentourismus für viele Flugreisende nur deshalb erschwinglich ist, weil ihnen an den Zielorten weit geringere Kosten entstehen, als wenn sie den Urlaub in ihren Herkunftsländern verbrächten. Shoppingausflüge nach London oder New York, wie zur Zeit eines günstigen Wechselkursverhältnisses für Kunden aus den Eurostaaten en vogue, sind Ausdruck einer bourgeoisen Bedenkenlosigkeit, mit der durch die Verachtung der Nöte erwerbsloser Menschen Zeugnis eines alltäglichen Raubes abgelegt wird, dessen man sich desto weniger zu schämen hat, als der sozialdarwinistische Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung zum alleinigen Paradigma bürgerlicher Existenz wird.

Ohne die Einschrumpfung der Welt auf die Zeitdistanz etwa eines Tages, an dem sich zumindest die urbanen Zentren des Planeten erreichen lassen, könnte das Kapital nicht so erfolgreich auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten um den Erdball vagabundieren. Im Getriebe eines Weltenbrandes, an dem die Menschheit zu ersticken droht, erfüllt die moderne Luftfahrt die Funktion eines Transmissionsriemens, der die Hitze des gesamten Systems weiter anfacht, weil sich eine kleine Minderheit von Nutznießern an seinem wohldosierten Heizwert erwärmt, während das Gros der Weltbevölkerung Gefahr läuft, in den Flammen dieses kannibalistischen Prozesses umzukommen. Besonders drastisch zeigt sich dies am Beispiel der militärischen Luftfahrt, sichert diese doch insbesondere den USA, die bereits für die Hälfte des globalen zivilen Personentransports in der Luft innerhalb des eigenen Landes verantwortlich zeichnen, die weltweite Projektionsfähigkeit ihrer Zerstörungsgewalt. Ohne die schnelle Verlegbarkeit von Truppen in aller Herren Länder, ohne die Bomberflotten, die Städte in Schutt und Asche legen, um Regierungen zu stürzen, die sich dem Vormachtanspruch des westlichen Zivilisationsmodells nicht unterordnen wollen, ließen sich die herrschenden Konsumdifferenzen nicht auf eine Weise organisieren, bei der das Gros des Ressourcenverbrauchs und der Produktion von Klimagasen auf imperialistisch agierende Staaten entfällt.

Für die Verfechter eines unbeschränkten Wachstums dieser Form von Mobilität ist die Entwicklung dezentraler Produktions- und Verbrauchssphären, einer Nahrungsmittelerzeugung, die zuerst die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherstellt, eines umweltfreundlichen Strukturwandels des Verkehrswesens, der das Gros der zu transportierenden Personen und Güter auf die Schiene legt, und einer allgemeinen Entschleunigung des Zeittakts der Verwertung, die den Menschen vom Primat der Ökonomie befreite, kein Thema. Allein das Problem versiegender Erdölquellen, die eine Ressource hervorbringen, die für viele chemische Produkte essentiell ist, wäre Anlaß genug, über eine allen Menschen zugute kommende Einschränkung des Luftverkehrs nachzudenken. Die Frage, wie man gegenüber Bevölkerungen, deren Verbrauch notgedrungen so gering ist, daß sie für die Erzeugung von Klimagasen kaum ins Gewicht fällt, die pro Personenkilometer aufwendigste und zerstörerischste Verkehrsform rechtfertigen soll, stellt sich offensichtlich nicht. Man hält fest am unbeirrten Marsch in die ökologische und damit soziale Katastrophe, die die schon jetzt massiv benachteiligten Bevölkerungen der Länder des Südens absehbar weit härter treffen wird als die Sachwalter eines globalisierten Kapitalismus, dessen Agenten und Maschinen einfach weiterziehen, wenn die von ihnen verödeten Landschaften keinen Ertrag mehr abwerfen.

20. April 2010