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RAUB/1023: Am Beispiel Griechenlands - EU-weite Verallgemeinerung des Mangelregimes (SB)



Die objektiven Umstände massiver Verarmung sind in Griechenland so drückend, daß selbst die rechtsradikale Regierungspartei Laos die Sparpläne nicht mehr mittragen will. Sie setzt die Regierungskoalition aufs Spiel, weil sie weiß, daß alle nationalistischen Parolen ins Leere laufen, wenn in ihrem Namen Elend und Hunger verstärkt werden. Vor allem fürchtet sie eine Stärkung der linken Parteien und Organisationen, die das Mangelregime der EU, EZB und IWF frontal angreifen und dabei immer mehr Unterstützung aus der Bevölkerung erhalten. Nachdem alle bereits erfolgten Ausgabenkürzungen das Gegenteil der angeblich angestrebten Krisenlösung bewirkt haben, soll nun mit einer Kürzung des Mindestlohns und der damit einhergehenden Zerschlagung des Tarifrechts in der Privatwirtschaft der Deckel auf dem Topf des "Krisenlabors Griechenland" [1] verschlossen werden.

Die von Detlef Hartmann am griechischen Beispiel exemplarisch analysierte Transformationslogik des kapitalistischen Verwertungsregimes tritt angesichts einer Sparpolitik, die dem behaupteten Ziel der Rückkehr zu positiven Wachstumsraten demonstrativ entgegenläuft, immer unverhohlener hervor. Wo Privatisierungspolitik, Lohnkürzungen und Sozialabbau nichts anderes bewirken als den Absturz der griechischen Nationalökonomie ins Bodenlose zu beschleunigen, da klingt die ostentative Forderung, die griechische Regierung müsse endlich einlösen, wozu sie eingesetzt wurde, keinesfalls hohl. Ihre politische Substanz liegt in der Durchsetzung eines Arbeitsregimes, dessen Entlohnung nicht mehr über den Rand existentieller Bedürftigkeit auf das Versprechen irgendwann einmal zu erlangender Prosperität hinausweist, sondern das das Diktat der Mehrwertabschöpfung auf der Gewährleistung bloßen Überlebens in Konkurrenz zu allen anderen Hungerleidern errichtet.

Wo der Ratschluß der Marktökonomen die zu geringe Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands moniert, verkommt die damit gemeinte Belebung privatwirtschaftlicher Produktivkraftentwicklung zur durchsichtigen Fassade eines die Handlungsfähigkeit jedes einzelnen durch Angst vor dem Absturz ins Nichts lähmenden Sozialdarwinismus. Der soziale Krieg soll in der kleinsten Einheit noch nicht von Staat und Kapital aufgehobener Verbindlichkeit ausbrechen, um das atomisierte Subjekt dem an ihm exekutierten Nützlichkeitsprimat so effizient zu unterwerfen, wie es die Logik nach unten offener Ausbeutbarkeit gebietet. Hier geht es nicht nur um die Durchsetzung des deutschen Imperialismus in der Peripherie der westeuropäischen Metropolengesellschaften, wie nun auch die griechische Rechte entdeckt zu haben meint. Hier geht es um die europaweite Verallgemeinerung der Unterwerfung des Menschen unter ein Mangelregime, dem zu entkommen die Bereitschaft voraussetzt, jegliche Solidarität dem anderen Menschen gegenüber aufzukündigen.

Dies wird die griechische Bevölkerung nicht mit sich machen lassen, das wissen auch die für diese Politik verantwortlichen Entscheidungsträger und Meinungsführer. Das Raunen über mögliche Aufstände in diesem Land verrät ihre Sorge darüber, einer Bevölkerung nicht mehr Herr zu werden, der tief ins Fleisch verbliebener Lebesmöglichkeiten geschnitten wird. Die Gefahr eines Bürgerkriegs steht im Raum, doch anstatt zu überlegen, wie man die soziale Not lindern könnte, wird der Chor der Stimmen, die sich über die mangelnde Bereitschaft der Athener Regierung beklagen, das Austeritätsregime der Troika durchzusetzen, nur noch lauter. Man spielt nicht etwa mit der Verwandlung des informellen in einen administrativen Ausnahmezustand, sondern plant den Staatsnotstand als Erzwingungsinstrument in den Katalog zu ergreifender Maßnahmen ein. Anders ist die Rigorosität, mit der am eingeschlagenen Weg neoliberaler Refinanzierung festgehalten wird, nicht zu verstehen.

Vor einem Jahr noch erklärte der deutsche Nationalchauvinismus mit dem Schmähwort von den "Pleitegriechen", die sich an sonnigen Stränden die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, die eigene Bevölkerung zu mittelbaren Gewinnern in der europäischen Staatenkonkurrenz. Heute scheint die massenmedial propagierte Behauptung, die griechische Arbeiterin und der griechische Arbeiter hätten die Misere des Landes verursacht, dem kühlen Kalkül, die Bevölkerung als nationales Raubkollektiv vereinnahmen zu können, gewichen zu sein. Nur so läßt sich noch legitimieren, daß der angeblich Wohlstand verallgemeinernde Kapitalismus trotz zunehmender Produktivkraftentwicklung das Gegenteil dessen erzeugt. Anstatt mit der Propaganda, die griechische Bevölkerung arbeite nicht genug und vor allem weniger als die angeblich so fleißigen Bundesbürger, Schiffbruch zu erleiden, geht man zur direkteren Form der Herrschaftsicherung über. Erfolgreich zu rauben wird immer ungeschminkter zur Leitkultur nationalstaatlich organisierter Politik erhoben. Indem der Mensch am nackten Überlebensinteresse gepackt wird, meint man den Mangel zum zentralen Produktivfaktor gesellschaftlicher Kohäsion erheben und die nächsthöhere Ebene kapitalistischer Ordnung erreichen zu können.

Auf ihr kann vollends auf jedes Versprechen, das über die eigene Misere hinausweist, verzichtet und damit die Akkumulation von Elend zur Lektionierung all derjenigen, die immer noch meinen, die Verbesserung menschlicher Existenz stehe im Mittelpunkt seiner Vergesellschaftung, aktualisiert werden. Nur wenn es gelingt, jeden sozialen Zusammenhalt, in dem das eigene Überleben nicht in Vergleich zu dem des anderen gestellt, mithin die Vergleichbarkeit der Arbeit und die Teilbarkeit des Menschen grundsätzlich bestritten wird, kann die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus als legalistische Verabsolutierung sozialer Unterdrückung fortgeschrieben werden. Wenn Griechenland das Labor ist, in dem diese Form der Qualifizierung von Verfügungsgewalt erprobt wird, dann ist es auch der Ort, an dem dieser Angriff gegen sich selbst gekehrt werden kann. Wer hierzulande nicht mit den Lemmingen laufen will, tut gut daran, den Widerstand der Griechen als seinen eigenen zu begreifen.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar565.html

10. Februar 2012