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RAUB/1029: Kaltes Herz der FDP - Parcour der Doppelzüngigkeit (SB)




Die Funktion des Staates als ideeller Gesamtkapitalist, mithin vorgeblicher Fels in der Brandung konkurrenzbefeuerter Partialinteressen, entlarvt sich inmitten der eskalierenden Systemkrise als ideologisches Konstrukt zur Regulation und Verschleierung der gesellschaftlichen Widerspruchslage. Das drohende Ende kapitalistischer Verwertung, die in der Vergangenheit zur bestmöglichen und notwendig siegreichen Gesellschaftsordnung überhöht wurde, hinauszuzögern, erfordert interventionistische Eingriffe unter Preisgabe traditioneller marktwirtschaftlicher Postulate. Mobilisiert der Staat zur Rettung des für systemrelevant erklärten Bankensektors Milliarden an Steuergeldern bis an die Grenzen seiner finanzpolitischen Manöverräume, ruft er zwangsläufig die Forderung auf den Plan, diese Intervention unter Bruch der eigenen Doktrin zu generalisieren. In dem daraus resultierenden erbitterten Streit um die schwindenden Restbestände generierbarer finanzieller Sourcen feiert parteipolitisches Kalkül Urstände, verhöhnt und bezichtigt man einander in beispielloser Scheinheiligkeit und Doppelzüngigkeit.

Die FDP, mit einem Bein im Grab ihrer Existenz als Partei, versucht das Ruder inmitten dramatisch erodierender Wählergunst mit Gewaltakten herumzureißen. Wer soll sie retten, wenn nicht ihre angestammte Klientel, entledigen sich die Freidemokraten der ohnehin gescheiterten Avancen an Sozialstaatlichkeit und jene wachsenden Teile der Bevölkerung, die ins Elend getrieben mit dem Blau-gelb vor Augen allenfalls rotsehen. Daß diese Farbe des Zorns nicht in Aufbegehren münde, tragen allen voran die Sozialdemokraten Sorge, die sie zum Zweck ihrer Reintegration in die herrschenden Verhältnisse seit jeher okkupieren. Aber auch Grüne und Schwarze werfen sich in die Brust allenthalben beschworener Empathie, bedarf das Los der Ausgebeuteten, Gefeuerten und Ausgegrenzten bisweilen doch trostreicher Worte und Krokodilstränen, damit man nicht am Ende in die Pflicht genommen wird, es zu beheben.

Nachdem die Freidemokraten die Schlecker-Transfergesellschaft vorsätzlich zu Fall gebracht haben, um mit demonstrativer Gnadenlosigkeit bei den sogenannten Leistungsträgern zu punkten, die im Versagen der Habenichtse die Quelle wirtschaftlichen Niedergangs verorten, setzt es Prügel. Sozialdemokraten, Grüne und Christdemokraten nutzen die Gunst der Stunde, der darniederliegenden FDP den letzten Tritt zu verpassen, um ein Herz zur Schau zu tragen, das sich womöglich in Wählerstimmen ummünzen läßt. "Ich war selten auf Politik so wütend wie gestern", echauffierte sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Kurt Beck. "Das wird ein x-faches kosten an Sozialleistungen" [1], beschwor er die Ratio eines effektiven Sozialabbaus, den durchzustrukturieren und administrativ zu erzwingen sich seine Partei allen voran ans Revers heften kann.

Ein "ganz kaltes Herz" in der Debatte um die Zukunft der Mitarbeiter der insolventen Drogeriekette Schlecker wirft die Opposition Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler vor. Dieser sei nicht einmal in der Lage, direkt mit den gekündigten Mitarbeiterinnen über deren individuelles Schicksal zu sprechen, rügte SPD-Wirtschaftsexperte Garrelt Duin im Bundestag. Vor laufenden Kameras Mitgefühl zu heucheln, um womöglich in die Abendnachrichten zu kommen, war noch immer die Ultima ratio parteipolitischer Volkstümlichkeit, auf die zu verzichten man den FDP-Oberen nun um so genüßlicher unter die Nase reibt. Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andreae warf Rösler mangelnde Empathie für die Sorgen der Schlecker-Frauen vor, wenn er davon spreche, daß sie schnellstmöglich selber "Anschlußverwendung" finden sollten. Die FDP habe den Mitarbeiterinnen "die kalte Schulter" gezeigt, befand Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die "ordnungspolitischen Dogmatiker" seien schuld, daß den Frauen nun die Arbeitslosigkeit drohe. "Es liegt jetzt bei der Wählerschaft, darüber zu entscheiden, was sie von solch einer Partei hält." [2]

Nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, läßt sich gut reden, wie glänzend alles ohne den Querschuß der FDP gelaufen wäre. Diese habe mit ihrer Ablehnung "alles kaputt gemacht", stellt der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid (SPD) das rosige Licht seines Einsatzes nicht unter den Scheffel. "Wenn ich nicht die Federführung übernommen hätte, wäre gar keine Lösung für die Finanzierung der Transfergesellschaft angestrebt worden." Daß das Problem so gut wie aus der Welt geschafft gewesen wäre, behauptet auch der Handelsverband Deutschland (HDE). "Wir suchen in der Tat Fachkräfte", so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Schlecker-Verkäuferinnen hätten gute Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz, natürlich nur unter gewissen Bedingungen: "Wenn jemand flexibel ist - das kann man sich natürlich nicht immer aussuchen, wenn kleine Kinder zu Hause sind, ist das ein Problem - flexibel und mobil, dann wird man möglicherweise auch relativ schnell einen neuen Job finden", bedient er die sattsam bekannte Klaviatur der Bezichtigung, daß selber schuld sei, wer sich nicht dem Diktat absoluter Verfügung über seine Arbeitskraft unterwerfe.

Die FDP, diesmal grundehrlich in ihrem Bekenntnis zu neoliberaler Staatlichkeit, schießt zurück. "Wenn das Unternehmen groß genug ist, wenn das Unternehmen Propaganda für die SPD verspricht, dann stehen sie vor den Werkstoren", so der FDP-Wirtschaftsexperte Martin Lindner. 2011 seien rund 30.000 Unternehmen mit 150.000 Mitarbeitern in die Insolvenz gegangen, ohne daß ein Hahn danach gekräht habe. Es sei nicht die Aufgabe des Steuerzahlers, die "Verantwortung für jahrelange Fehlentscheidungen im Management" zu übernehmen, stößt der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil ins selbe Horn. "Der Staat kann nicht einem einzelnen Unternehmen zu Hilfe eilen", warnt der designierte FDP-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner. Die Situation erinnere ihn an die Diskussion um Opel und den Baukonzern Holzmann: "Meine These ist, dass wir über Schlecker deshalb so intensiv diskutieren, weil es einmal 11.000 Mitarbeiter sind. Wären es elf mal tausend, würde kein Mensch diesen Unternehmen zu Hilfe eilen." Diese Argumente sind nicht von der Hand zu weisen - sofern man die FDP nicht nach ihrem Beitrag zur Bankenrettung fragt oder eine Grundsatzentscheidung wie die Verstaatlichung des Bankensektors fordert, wie das Die Linke als einsame Ruferin in der hiesigen Parteienlandschaft tut.

In einer Sozialen Marktwirtschaft dürfe der Staat den Wettbewerb nicht aushebeln, mahnt FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle die Rückkehr zur reinen Lehre an. Soziale Grausamkeiten im Einzelfall interventionistisch zu mildern, ist ihm ein Greuel, könnte angesichts einer solchen Schleusenöffnung doch jemand auf den Gedanken kommen, Sozialstaatlichkeit ernsthaft und progressiv einzufordern. "Geld für etwas auszugeben, dass nach gutachterlicher Einschätzung nicht funktioniert, macht keinen Sinn", fügte Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode hinzu. Mit dieser Einschätzung bezog er sich offenbar auf kursierende Studien, die Transfergesellschaften keine nennenswerte langfristige Wirkung attestieren.

Davon abgesehen, daß staatliches Handeln die Elendsfolgen kapitalistischer Profitmaximierung nicht reparieren, sondern allenfalls tendentiell kompensieren kann, zeugt Bodes Einwurf doch von einer geradezu sarrazinschen sozialrassistischen Arroganz: Was bringt es, die Schlecker-Mitarbeiterinnen zumindest für eine gewisse Frist über Wasser zu halten, wenn sie danach doch nur wie so viele andere den Bessergestellten zur Last fallen! So wurden nach Angaben von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz am Donnerstag Kündigungsschreiben an etwa 10.000 Schlecker-Beschäftigte verschickt, am Freitag dürften die Betroffenen die Hiobsbotschaft größtenteils in Händen gehalten haben. [3] Wo das Fordern zur unabweislichen Bezichtigung geschmiedet und das Fördern als Karotte vor die Nase gehängt wird, um die Hoffnung als letztgültige Fessel zu befestigen, gerinnt die unerträgliche Lebenswirklichkeit zu einem Verhängnis bar jeden Auswegs.

Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schlecker-transfergesellschaft-gescheitert-fdp-wehrt-sich-gegen-kritik-der-kaltherzigkeit-11702599.html

[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-03/fdp-schlecker-buergschaft

[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/nein-der-liberalen-zur-schlecker-buergschaft-ich-schaeme-mich-fuer-die-fdp-1.1322163

30. März 2012