Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

RAUB/1077: "Selbstoptimierung" - Chiffre optimierter Fremdverfügung (SB)




Der Primat der Selbstoptimierung unterstellt, daß es dem Menschen an Interesse, seine Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erweitern, mangelt. Er kann nur verbessern, was unzureichend ist und daher keinen Bestand hat. So setzt die vermeintlich positive Forderung, etwas für sich zu tun, die Bezichtigung voraus, darin zu versagen. Das Schwingen der Peitsche, und sei es noch so versüßt mit dem Zuckerbrot des das Eigene mehrenden Investments in sich selbst, taucht die Aussicht auf eine güldene Zukunft in den Schmerz, dafür aufgeben und vergessen zu müssen, was mit Überwindung der Bescheidenheit bloßer Unterwerfung noch gar nicht in Angriff genommen wurde.

Vor der Folie eines allgemeinen, durch die Konkurrenz anderer unternehmerischer und staatlicher Akteure permanent in Frage gestellten Nutzens entkommt der Bürger der Pflicht, sich als produktives Mitglied des Gemeinwesens zu bewähren, nicht. Von daher wird keineswegs beklagt, daß der Mensch nicht nach Wissen und Erkenntnis zum Zwecke der Verbesserung seiner Lage strebt. Gerade weil er dies mit revolutionärer Konsequenz tun könnte, muß dieser Nutzen als einzig mögliche Wirklichkeit vorweggenommen werden. Wo der Horizont kapitalistischer Vergesellschaftung überschritten und damit gegenstandslos gemacht werden könnte, da erweisen sich die Innovationspredigten der Unternehmensstrategen und der Zukunftspathos der Trendberater als intellektuell tieffliegende und menschlich regressive Reproduktionen alter Erfolgsrezepturen im neuen Wortgewand.

Um Selbstoptimierung als Voraussetzung beruflicher Karriere unumgänglich zu machen, wird die spezifische Zurichtung des einzelnen auf die Erfordernisse der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft unter der Prämisse des "lebenslangen Lernens", sprich der paßförmigen instrumentellen Konditionierung des Menschen auf die Belange seiner Verwertung, zum Gebot der Epoche erhoben. In der flexibilisierten, informellen und projektbezogenen Jobkultur ist "Dienst nach Vorschrift" ein Kündigungsgrund. Die Erwirtschaftung geschäftlicher Vorteile auf der Basis einer immer weniger rentablen Produktion von Gütern und Dienstleistungen bedarf eines so kostengünstigen wie leistungsstarken Einsatzes des Faktors Arbeitskraft, daß das Mehrprodukt nicht nur aus unentgeltlich zu verrichtender Arbeit, sondern auch der stetigen Verdichtung der Arbeitsintensität geschöpft wird.

Um dem Käufer der Ware Arbeit noch nicht verfügbar gemachte Reserven der Kreativität und des Interesses, der Empathie und Kommunikation zu erschließen, bedarf es der gezielten Mobilisierung erwerbsabhängiger Menschen. Selbstoptimierung suggeriert, daß die Bereitstellung dieser Reserven freiwillig erfolgt. Sie zutage zu fördern, ohne an dem Vorbehalt des Verkäufers seiner Lebenszeit und -kraft zu scheitern, ihm werde etwas vom Kernbestand seiner Person weggenommen, setzt seine Einbindung in das vermeintlich gemeinsame Interesse, mit der Verfügbarkeit von Lohnarbeit das Leben aller Beteiligten zu sichern, voraus. Dies funktioniert desto besser, je mehr sich der individuelle Erwerb neuer Fähigkeiten in Deckung mit dem gesellschaftlichen Interesse an ihrer Nutzung in Übereinstimmung bringen läßt. So durchdringen die Leistungsparameter der Arbeitswelt zusehends die Lebenswelten der Menschen etwa in Form der Einschränkung vermeintlich schädlichen Konsums, der medizinischen Disziplinierung ihrer Lebensweise, der Einübung konfliktarmer Kommunikation oder der Affirmation herrschender Ideologie etwa beim gemeinsamen Ziehen an einem Strang, der im Zweifelsfall die eigene Kehle zuschnürt.

Das Gebot der Selbstoptimierung verschleiert, daß der an das "Selbst" adressierte Nutzen des Zugewinns an eigener Befähigung stets deren Überantwortung an fremde Interessen markiert. "Selbst ist der Mann", wenn er den Maßgaben physischer und kognitiver Anforderung dadurch entspricht, daß er den Eigensinn seines Tuns zugunsten der Einspeisung seiner Lebenszeit und -kraft in die Maschine gesellschaftlicher Produktivität aufgibt. Ihn im Jargon betriebswirtschaftlicher Zurichtung als "Unternehmer seiner selbst" oder "Ich AG" zu bezeichnen, läßt an die Karikatur eines Sklaven denken, der seiner Gefangenschaft dadurch zu entkommen versucht, daß er sich freiwillig in enge Fesseln legen läßt, damit der Sklavenhalter den dagegen gerichteten Widerstand in produktive Bahnen lenken kann.

Wo immer das Streben nach Erkenntnis und Wissen die Befreiung von der Gewalt des Überlebens zu Lasten des anderen Lebewesens ermöglichte, verstößt es gegen die Maßgabe der Selbstoptimierung. Diese bewegt sich dem reflexiven Charakter des Begriffs "Selbst" gemäß im engen Zirkelschluß des Versuchs, die Schuldhaftigkeit eigenen Daseins, dessen theologische Begründung in der ökonomischen Bringschuld des vergesellschafteten Menschen seine moderne Entsprechung findet, durch tätige Buße in Form fremdbestimmter Arbeit zu sühnen. Das "Selbst" tritt mithin als Lehen einer Verfügungsgewalt hervor, der die Befreiung des Menschen von Zwängen und Nöten nicht fremder sein könnte, beendete sie doch ihre Herrschaft unwiderbringlich.

30. April 2014