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RAUB/1088: Gabriels Schmierenkommödie in Sachen Freihandel (SB)



Wollte man allen Ernstes fragen, ob die Sozialdemokraten als Seniorpartner oder Juniorpartner in Regierungsverantwortung unerträglicher seien, bedürfte es keines langen Grübelns: Janusgesicht läßt grüßen! Haben sie Oberwasser, wagen sie mehr Demokratie zur Eindämmung der Linken, lassen das Land im deutschen Herbst erschauern, führen die Bundeswehr in den Krieg und entsorgen den Sozialstaat. Sind sie ein Anhängsel der Union, machen sie uns mit Leidensmiene das kleinere Übel schmackhaft, um dem größeren die Hintertür zu öffnen. Allen voran Sigmar Gabriel, hält der Wirtschaftsminister doch das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA für schlecht, jedoch das in der deutschen Öffentlichkeit nicht minder umstrittene Abkommen CETA zwischen der EU und Kanada für gut. [1] Wer hier einen Fall von gespaltener Persönlichkeit vermutet, liegt falsch. Vielmehr macht der SPD-Vorsitzende genau das, was seine Partei aus ihrer Schrumpfecke in der großen Koalition heraus immer noch am besten kann: Von besseren Zutaten zu schwatzen, während sie denselben Eintopf serviert.

Gabriel, heißt es, hält im Unterschied zur Kanzlerin TTIP in seiner jetzigen Form für gescheitert, da es unmöglich sei, die Verhandlungen in den nächsten Monaten abzuschließen. Er ist keineswegs dagegen, sondern kann sich ein Handelsabkommen mit den USA durchaus vorstellen, es müsse nur ausgewogener, sozialer und gerechter sein. Glücklicherweise hat er auch gleich eine Blaupause zur Hand: Laut einer internen Analyse der Sozialdemokraten, die dem Wirtschaftsminister als Argumentationsgrundlage dient, ist CETA ein ausgewogener Vertrag. Erst CETA im Handstreich unter Dach und Fach bringen, dann sollte es irgendwann auch mit TTIP klappen, so die unausgesprochene, aber offensichtliche Strategie. Dumm wäre es hingegen nach sozialdemokratischer Lesart, jetzt für das Gesamtpaket mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen.

Wer hat besagtes Argumentationspapier verbrochen, das sich wie zufällig mit Gabriels Linie deckt? Der sozialdemokratische Europaabgeordnete Bernd Lange, der den Handelsausschuß im Europäischen Parlament leitet, stellt die Kriterien, die die SPD auf ihrem Konvent im September 2014 und ihrem Parteitag im Dezember 2015 für Handelsabkommen aufgestellt hat, den Inhalten von CETA gegenüber. Und siehe da: Der Vertrag entspricht nach Langes Lesart in fast allen Punkten den Kriterien der SPD. Insgesamt sei es bei CETA gelungen, in vielen Bereichen fortschrittlichere Regeln und Standards zu vereinbaren, als dies in bisherigen europäischen und nationalen Handelsabkommen der Fall war. Schließlich sei Kanada auch ein Partner, der der EU politisch, wirtschaftlich und sozial näher stehe als viele andere Handelspartner in der Welt.

Nun ist natürlich auch die SPD kein Monolith. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, teilt Langes Auffassung nicht. Er hat denselben Abgleich vorgenommen, kommt aber zum gegenteiligen Ergebnis: Als Fazit könne festgehalten werden, daß die von Parteitag und Parteikonvent gezogenen roten Linien in zentralen Bereichen wie Investitionsschutz, öffentliche Daseinsvorsorge und Verbraucherschutz im CETA-Vertragsentwurf nicht eingehalten werden. Aus seiner Sicht könne kein sozialdemokratisches Mitglied eines Parlaments diesem Abkommen in der vorliegenden Fassung zustimmen. [2] Und ganz allein steht Miersch mit dieser Einschätzung in seiner Partei nicht: Nachdem sich bereits die Landesverbände Bayern und Bremen sowie die Jusos gegen CETA ausgesprochen hatten, beschloß mit der SPD Region Hannover einer der größten Unterbezirke, den derzeitigen Vertragsentwurf abzulehnen - laut dessen Vorsitzenden Miersch mit dem Ziel, die Verhandlungen mit Kanada wieder aufzunehmen, um ein faires Handelsabkommen zu erreichen.

Wenngleich eine grundsätzliche Ablehnung der Freihandelsabkommen ohne Wenn und Aber offenbar auch mit der SPD-Linken nicht zu haben ist, steht doch jedenfalls für den am 19. September einberufenen Parteikonvent zu CETA ein Hauen und Stechen zu erwarten. In der Hoffnung, die Positionierung der Partei möglichst unauffällig über die Bühne zu bringen, werden die Delegieren nicht in der Hauptstadt, sondern in Wolfsburg zusammengerufen und Journalisten nicht zugelassen. Die Heimlichtuerei dürfte jedoch nicht funktionieren, zumal der diesbezügliche Widerstand gegen Gabriel in den eigenen Reihen wächst. Dessen Devise, daß in Anbetracht der erfolgreich verhandelten Änderungen im Vertrag eigentlich niemand ernsthaft gegen die Verabschiedung sein könne, erntet heftigen Widerspruch. Wenngleich Bernd Lange abwiegelnd von noch offenen Fragen spricht, die im parlamentarischen Ratifizierungsprozeß geklärt werden müßten, oder Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel den Köder auswirft, daß CETA insgesamt in die richtige Richtung weise, aber beim Konvent noch über einzelne Punkte gesprochen werden müsse, ist der Ausgang ungewiß, die Lage also heikel. Doch vielleicht halten es die Genossen ja mehrheitlich mit ihrem Fraktionsvize Karl Lauterbach: "Ich glaube, dass Ceta in seiner Wirkung überbewertet wird. Das ist eine Zerreißprobe auf dem Parteikonvent nicht wert" [3], setzt er die Brechstange der Parteiräson an.

Warum überhaupt der kleine SPD-Parteitag zum Thema CETA? Die EU-Kommission wollte das Handelsabkommen ursprünglich im Handstreich durchsetzen, mußte sich aber angesichts wachsenden Protests in diversen Mitgliedsländern deren Forderung beugen, daß CETA von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden müsse. Gabriel braucht eine Zustimmung des Parteikonvents, zumal sich Ende September die EU-Handelsminister informell mit CETA befassen und Ende Oktober entscheiden wollen, ob der Vertrag weiter ans Europäische Parlament und in die Parlamente der Mitgliedsstaaten geleitet wird. Damit alles nach Plan verläuft, benötigt der Vorsitzende grünes Licht der Parteibasis, worauf, wie Bernd Lange hofft, das EU-Parlament den Vertrag im Frühjahr 2017 ratifiziert.

Bei einem Ja im EU-Parlament könne sich die anschließende nationale Ratifizierung über mehrere Jahre erstrecken, so Lange, und erst danach werde das CETA-Abkommen vollständig in Kraft treten können. Was der sozialdemokratische Europaabgeordnete scheinheilig in die ferne Zukunft verlegt, hat allerdings einen Pferdefuß. Bemerkenswerterweise hat er in seiner immerhin 28seitigen Synopse zwischen SPD-Kriterien und CETA-Inhalten mit keinem Wort die gängige Praxis erwähnt, Handelsverträge schon vorläufig anzuwenden. Wenngleich sich daher die Ratifizierung in den Mitgliedsländern noch lange hinziehen kann, drohen zentrale Elemente auf Beschluß des EU-Parlaments sofort in Kraft zu treten. Daß Bernd Lange dies in seinem Argumentationspapier wohlweislich verschweigt, dürfte der Absicht geschuldet sein, den Widerstand in der eigenen Partei auf eine falsche Fährte zu lenken.

Um CETA, TTIP und TiSA zu verhindern, genügt es keineswegs, sich auf künftige Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundestag zu fokussieren. Würde CETA auf europäischer Ebene vorläufig in Kraft gesetzt, käme dies einem Dammbruch in der Verteidigung gegen die Freihandelsabkommen gleich, deren Protagonisten hinterrücks vollendete Tatsachen zu schaffen versuchen. Dem SPD-Konvent kommt insofern eine wegweisende Bedeutung zu, als die Delegierten Sigmar Gabriel in die Pflicht nehmen könnten, sein doppeltes Spiel zu beenden und als Parteivorsitzender wie auch als Wirtschaftsminister auf EU-Ebene gegen CETA zu votieren.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandel-gabriel-zweifelt-an-ttip-und-lobt-ceta-1.3117469

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/ceta-abkommen-spd-linke-will-sigmar-gabriel-nicht-folgen/14024850.html

[3] http://www.fr-online.de/politik/handelsabkommen-ceta-gabriel-will-durch-die-wand,1472596,34643724.html

20. August 2016


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