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RAUB/1120: Brüsseler Wiederholungstäter - Freihandelsabkommen EU-Japan in Arbeit (SB)



Lernfähigkeit scheint nicht gerade die Stärke der europäischen Administration in Brüssel zu sein, wenn es um Freihandelsabkommen geht. DGB-Chef Rainer Hoffmann hat jedenfalls nach der Veröffentlichung von Verhandlungsdokumenten zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan die EU-Kommission wegen deren "Geheimniskrämerei" harsch kritisiert. Es sei "ein Witz, wenn die Zivilgesellschaft bei jedem Abkommen aufs Neue um die banalsten Informationen betteln muss", erklärte Hoffmann in Berlin. So werde die Akzeptanz der europäischen Institutionen und der Handelspolitik nicht gesteigert. [1] Wenngleich sich der deutsche Gewerkschaftsboß angesichts dieser Aussage den Einwand gefallen lassen muß, daß nicht das mißratene Akzeptanzmanagement der EU-Führungsebene, sondern deren Politik das Problem ist, spricht er doch zumindest die unverfrorene Penetranz der Brüsseler Wiederholungstäter an.

Was ist passiert? Wie die Süddeutsche Zeitung sowie der NDR und der WDR unter Berufung auf geheime Verhandlungsdokumente berichtet haben, die ihnen demnach von Greenpeace und anderen Quellen zur Verfügung gestellt worden sind, hat es die EU-Kommission schon wieder getan: Die EU und Japan verhandeln weitgehend ohne Kenntnis der Öffentlichkeit über ein Freihandelsabkommen namens EPA oder auch JEFTA, das noch verheerender als das nur unwesentlich entschärfte Abkommen CETA mit Kanada auszufallen droht. Die Partner drängen als Zeichen gegen den US-amerikanischen Protektionismus auf einen baldigen Abschluß der Verhandlungen, laut EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker soll das Abkommen noch in diesem Jahr geschlossen werden. Nach Angaben des japanischen Außenministeriums geht es dabei insbesondere um den Wegfall europäischer Importzölle für Autos und elektrische Geräte, während die EU einen günstigeren Absatz landwirtschaftlicher Produkte in Japan und die Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen, etwa bei Eisenbahnprojekten, anstrebe.

Nach der sattsam bekannten Devise, geheim zu verhandeln, die Bevölkerung hinters Licht zu führen und sie schließlich mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren, treibt die EU-Kommission hinterrücks den nächsten Coup voran, damit ihr nicht wachsender Widerstand einen Strich durch die Rechnung macht. Was von den Gegnern der Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA wie auch der EPAs mit Ländern Afrikas kritisiert wird, gilt für JEFTA nicht minder. Bei dem zuletzt öffentlich vieldiskutierten Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) hatte die EU-Kommission für Streitfragen öffentliche Investitionsgerichtshöfe vorgesehen, deren Richter nicht die Kläger, sondern die Regierungen ernennen. Dagegen sperren sich die Japaner offenbar, die auf privaten Schiedsgerichten beharren, die hinter verschlossenen Türen verhandeln. Dazu Markus Krajewski, Professor für Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg: "Im momentanen Verhandlungsstand sehen wir einige Klauseln, die bei CETA sehr viel strikter waren und die in dem Japan-Abkommen weicher sind. Das heißt, dass sich Investoren möglicherweise doch auf weitere Standards berufen können. Die strikten Standards die bei CETA eingeführt wurden, die sehen wir jedenfalls jetzt in dem Abkommen mit Japan noch nicht." [2]

Ein weiterer wesentlicher Streitpunkt betrifft demnach das sogenannte Vorsorgeprinzip, das im Entwurf des Japan-Vertrages bisher kaum vorkommt. Ohne dieses Prinzip könnte die EU die Einfuhr etwa von hormonbehandeltem Fleisch oder genetisch veränderten Lebensmitteln nur noch dann verbieten, wenn deren Gesundheitsgefahren wissenschaftlich erwiesen sind. Bisher genügen entsprechende Anhaltspunkte für ein Verbot. Daß mit einer solchen Umkehrung der Verbotsmöglichkeiten europäische Verbraucherschutzrechte ausgehebelt würden, liegt auf der Hand.

Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen mit Japan kommt auch aus der Opposition. Katharina Dröge, Sprecherin für Wettbewerbspolitik der Bundesfraktion der Grünen, nannte es "unverständlich", daß das neue Abkommen Konzernschiedsgerichte enthalten soll. Die EU, so Dröge, habe hier eine große Chance verpaßt. Weiter sagte sie: "Hinzu kommt, dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass auch beim Japan-Abkommen wieder Umwelt- und Sozialstandards missachtet werden - so wie bei TTIP und CETA auch."

Die EU-Kommission wollte das Handelsabkommen CETA ursprünglich im Handstreich durchsetzen, mußte sich aber angesichts wachsenden Protests in diversen Mitgliedsländern deren Forderung beugen, daß CETA von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden müsse. Die Bewegung gegen die Freihandelsabkommen, zu der sich Umwelt- und Sozialverbände, Teile der Gewerkschaften wie auch zahlreiche weitere engagierte Menschen zusammengeschlossen hatten, war in Deutschland stärker als irgendwo sonst in der EU. Auf die große bundesweite Demonstration am 10. Oktober 2015 mit 250.000 Menschen in Berlin folgten eine Demonstration mit 90.000 Menschen in Hannover anläßlich des Treffens zwischen Obama und Merkel am 23. April 2016 und schließlich zeitgleiche Proteste in sieben deutschen Großstädten, bei denen am 17. September mehr als 300.000 Menschen dem Aufruf eines Bündnisses von über 30 Organisationen gefolgt waren.

Dieses eindrucksvolle Votum der gesellschaftlichen Basis gegen TTIP, CETA und Konsorten zeigte insofern Wirkung auf höchster Ebene, als der Europäische Gerichtshof urteilte, daß nationale Parlamente ein Veto gegen Freihandelsabkommen einlegen dürfen. Die Richter in Luxemburg entschieden, daß Verträge wie der mit Singapur nicht in die alleinige Zuständigkeit der EU-Institutionen fallen, wobei diese Einschätzung des Gerichtshofs auch für alle anderen Abkommen gilt. Die Entscheidung der EU-Richter war insofern ein Rückschlag für die EU-Kommission Jean-Claude Junckers, als die Brüsseler Behörde die Position vertreten hatte, daß nach EU-Recht lediglich eine Mitwirkung des Europaparlaments und der Regierungen der Mitgliedsstaaten am Abschluß der Freihandelsabkommen vorgesehen sei.

Die EU-Kommission befürchtet nicht zu Unrecht, daß die europäische Politik der Freihandelsabkommen lahmgelegt werden könnte, wenn nicht nur das Europaparlament, sondern auch Parlamente in Mitgliedsstaaten zustimmen müssen. Theoretisch würde nämlich bereits das Nein eines nationalen Parlaments genügen, um ein Freihandelsprojekt zu stoppen. Als Paradebeispiel gilt die Kontroverse um das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA, welches die EU-Kommission auf politischen Druck hin als ein solches eingestuft hatte, das der Zustimmung nationaler Parlamente bedarf. Der Vertrag konnte im vergangenen Herbst erst nach einer Hängepartie unterzeichnet werden, weil die Führung der belgischen Wallonie die Signatur des Abkommens zeitweise blockierte.

Demgegenüber wollen sich die Parlamente der Mitgliedsstaaten aus politischen Gründen die Möglichkeit der Mitbestimmung bei derart weitreichenden Entscheidungen offenhalten. Sie verweisen vor allem auf die scharfe Kritik in der Bevölkerung an großen Freihandelsprojekten wie dem europäisch-kanadischen Abkommen CETA oder den Plänen für das amerikanisch-europäische Abkommen TTIP. Wie die Positionen im deutschen Bundestag zeigen, lehnen die dort vertretenen Parteien mehrheitlich die Freihandelsabkommen als solche keineswegs ab, versuchen aber den Protest dagegen mittels einer stärkeren Mitwirkung der Parlamente und Scheinkompromissen einzubinden und zu neutralisieren.

So behauptete Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister, CETA sei im Unterschied zu TTIP ein gutes Abkommen, da darin die Einwände der Kritiker berücksichtigt worden seien. Deutschland setze sich als exportorientierte Nation für Freihandel ein, der jedoch fair gestaltet werden müsse. Bei seiner Spiegelfechterei ging es dem damaligen SPD-Parteivorsitzenden offensichtlich darum, das Abkommen mit Kanada zu retten, um den USA und TTIP eine Hintertür zu öffnen. Ist CETA in Kraft getreten, können US-Konzerne über kanadische Tochterunternehmen beispielsweise EU-Mitgliedsstaaten auf Schadenersatz verklagen, sollten ihren Geschäftserwartungen durch Gesetzesänderungen ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Zudem galt CETA damals noch als ein Eisbrecher für TTIP, das zu einem späteren Zeitpunkt mit einigen kosmetischen Änderungen leichter als bis dahin nachgeschoben werden könnte. Gabriel brachte jedenfalls die Kritiker in den eigenen Reihen zum Schweigen und die Partei zur Räson, indem er die Sozialdemokraten auf die angeblichen Segnungen des Freihandels einschwor.

Damit trug die SPD ihren Teil zu dem ambitionierten Vorhaben bei, die handelspolitischen Großmachtambitionen der EU unter deutscher Führung zu beflügeln. Die Logik deutscher Stärke beschwört die Unterwerfung einer Bevölkerung, die jegliche sozialen Grausamkeiten einschließlich jener, die ihr die Freihandelsabkommen bescheren würden, duldsam ertragen soll, gehe es doch anderen noch viel schlechter. Der freie Handel ist das zentrale Thema der Exportwirtschaft, mehr als 15 Millionen und damit fast die Hälfte aller Arbeitsplätze hängen in Deutschland direkt oder indirekt vom Außenhandel ab. In diesem Jahr werden deutsche Waren für rund 1220 Milliarden Euro in alle Welt verkauft.

Als habe der zumeist erzwungene freie Handel höchst ungleicher Partner weltweit nicht Existenzen millionenfach ruiniert, das Elend vervielfacht und den Vorsprung der führenden Industriestaaten vorangetrieben, rezitieren die Protagonisten des angeblich freien Handels den Katechismus der neoreligiösen Marktdoktrin, die vom Raub nichts wissen will, wo sie himmlisches Manna für alle in Aussicht stellt. Im Ringen um die Freihandelsabkommen steht nichts weniger auf dem Spiel, als die Gestaltungsmacht beim künftigen Welthandel. Werden solche Abkommen durchgesetzt, schafft dies nahezu unumkehrbare Zugriffsmöglichkeiten auf die Bevölkerungen der Mitgliedsländer und ein innovatives Regime fortgesetzter Ausplünderung schwächerer Staaten in der globalen Konkurrenz.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/news/2017-06/24/deutschland-dgb-kritisiert-geheimniskraemerei-um-geplantes-eu-japan-handelsabkommen-24113202

[2] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/verbraucherschutz-gefaehrdet-warnungen-vor-freihandelsabkommen-mit-japan-15075209.html

25. Juni 2017


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