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RAUB/1191: Berlin - bezahlbaren Wohnraum den Spekulanten geopfert ... (SB)



Was es im börsennotierten Segment gar nicht gibt, ist ein selbstbezügliches Unternehmen, welches ganz konservativ seinen vorhandenen Wohnungsbestand pflegt und optimiert. Das Investitionsverhalten eines typischen öffentlichen Wohnungsunternehmens an einem nicht angespannten Markt wird also von keinem der börsennotierten Konkurrenten an den Tag gelegt.
Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung [1]

Die jüngst durch die Kampagne "Deutsche Wohnen & Co enteignen" [2] ins Gespräch gebrachte börsennotierte Wohnungsgesellschaft mit Sitz in Berlin verfügt über etwa 163.000 Wohnungen und 2.600 Gewerbeimmobilien, wovon sich fast 112.000 Wohnungen in der Hauptstadt befinden. Zum Immobilienbestand gehören auch Gebäude mit rund 6.700 Pflegeplätzen und Appartements für betreutes Wohnen. Die Bochumer Vonovia und Deutsche Wohnen führen nach vielen Aufkäufen und Übernahmen kleinerer Konkurrenten im Zuge erbitterter Konkurrenzkämpfe die Rangliste einheimischer Unternehmen dieser Branche an. Vor kurzem meldete Deutsche Wohnen fast eine halbe Milliarde Euro Gewinn aus dem operativen Geschäft und ein Ergebnis nach Steuern von rund 1,8 Milliarden Euro, fast doppelt soviel wie noch 2010. Die Gewinne aus der Wohnungsbewirtschaftung haben sich seit 2012 sogar von 194 Millionen auf 656 Millionen Euro mehr als verdreifacht. Zwar bewirtschaftet das Unternehmen heute doppelt so viele Wohnungen wie damals, doch stiegen die Mieteinnahmen stärker, als der Bestand wächst.

Zu wessen Lasten dieser Zugewinn erwirtschaftet wird, liegt auf der Hand. Wenngleich sich Deutsche Wohnen darin prinzipiell nicht von anderen Wohnungsunternehmen unterscheidet, werden ihr doch besonders rabiate Geschäftspraktiken nachgesagt. Die Aktionäre wollen Renditen sehen, und so sind die Erfolge am Kapitalmarkt das Resultat eines aggressiven Verdrängungswettbewerbs wie auch harter Bandagen im Umgang mit den Mieterinnen und Mietern. Das ruft spürbaren Gegenwind auf den Plan, denn binnen kurzer Frist haben bereits 20.000 Menschen ein Volksbegehren unterschrieben, das eine Enteignung von Konzernen wie Deutsche Wohnen anstrebt. "Wir lassen uns nicht enteignen. Wir werden nicht enteignet", wies Deutsche-Wohnen-Chef Michael Zahn dieses Ansinnen auf einer Podiumsveranstaltung entrüstet zurück.

Wie er argumentiert, halte sich sein Unternehmen an Recht und Gesetz. Er zeigt kein Verständnis für die Wut der Bewohner oder gar einen Volksentscheid, könne er doch selbst "bei viel Fantasie keinen Grund für Enteignungen sehen bei einem Unternehmen, dessen Wohnungen im Schnitt 60 Quadratmeter groß sind und für 580 Euro warm vermietet werden". Auf den ersten Blick muten die Durchschnittsmieten in den Berliner Wohnungen des Konzerns von 6,71 Euro tatsächlich recht harmlos an. Das hängt jedoch in erster Linie damit zusammen, daß sich im Bestand des Unternehmens viele aktuelle oder frühere Sozialwohnungen zumeist in eher schlechten Lagen wie etwa an großen Straßen befinden.

Etwa jeder zehnte Hauptstadthaushalt wohnt im Bestand des Unternehmens, wobei es sich zumeist um Geringverdiener handelt, denen es um so schwerer fällt, mit den Mietsteigerungen Schritt zu halten. Man kann davon ausgehen, daß die Einkommen dieser Haushalte seit 2010 nicht in gleichem Maße zugelegt haben wie die Mieterhöhungen. In der Tat belegen Publikationen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wie auch Angaben des Unternehmens selbst, daß Deutsche Wohnen die Mieten ihrer Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren sehr stark angehoben hat. Die Durchschnittsmiete lag im Jahr 2009 noch bei 5,29 Euro, so daß ein Anstieg um 27 Prozent in zehn Jahren zu verzeichnen ist, während die Inflation im selben Zeitraum nur um rund 13 Prozent und damit etwa halb so stark stieg.

Ein Unternehmenssprecher versucht dies mit dem Hinweis zu relativieren, daß Berlin von einem "unfassbar niedrigen Niveau" komme und mit seinen Mieten zuvor auf dem Niveau von Bielefeld gelegen habe. Wohl trifft es zu, daß die Mietpreise in Berlin insgesamt noch viel stärker als in Wohnungen des Konzerns gestiegen sind und sich in den vergangenen zehn Jahren auf das Niveau von Düsseldorf verdoppelt haben. Bei Neuverträgen liegen sie inzwischen häufig bei zwölf Euro pro Quadratmeter. Während aber die landeseigenen Wohnungsgesellschaften die Teuerung in den letzten Jahren zurückhaltender betrieben haben, legte Deutsche Wohnen seit 2014 um rund 3,7 Prozent pro Jahr bei den Mieten zu.

Um statistische Winkelzüge nicht verlegen, weist das Unternehmen die These zurück, wonach die Berliner Mieten stärker steigen als die Einkommen der Bewohner. Wie dessen Sprecher erklärt, habe Berlin auch bei den Einkommen einen absoluten Boom hingelegt. Diese Behauptung ist unsachgemäß und übertrieben, wenn nicht gar unzutreffend. Denn laut Daten der Arbeitsagentur und des Berliner Statistikamtes wuchsen die Gehälter zuletzt zwar geringfügig stärker als die der Bundesbürger, doch liegen die Bruttoeinkünfte nach wie vor unter dem Bundesschnitt. Zudem treiben in Großstädten die vielen Akademiker den Schnitt nach oben, die gerade nicht für Immobilien der Deutsche Wohnen relevant sind. Nimmt man nur die Beschäftigten mit Berufsausbildung oder ohne Ausbildung, verdienen sie in Berlin deutlich weniger als im deutschlandweiten Schnitt.

Was den Druck der Miete auf die Haushalte angeht, ist die Wohnkostenbelastungsquote eine aussagekräftige Größe. Sie liegt in Berlin inzwischen bei durchschnittlich 35 Prozent, so daß also mehr als ein Drittel des verfügbaren Nettoeinkommens allein fürs Wohnen aufgewendet werden muß. Auch dies belastet gerade ärmere Menschen in besonders hohem Maße, die sich deshalb gezwungen sehen, vor allem beim Essen oder bei Kultur und Bildung rigoros zu sparen, um ihre inzwischen viel zu teuren Wohnungen nicht zu verlieren. Im Falle von Altersarmut aufgrund niedriger Renten sind es mitunter sogar bis zu 80 Prozent der Einkünfte, die aufgewendet werden müssen, um die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden.

Eine 94jährige Mieterin am Strausberger Platz nahe der Karl-Marx-Allee bringt die Sorgen um die Zukunft in einem Schreiben an den Mieterbeirat folgendermaßen zum Ausdruck: "Ich wohne seit 1953 in dieser Wohnung, habe dafür in den Trümmerbergen von Berlin viele Steine abgeklopft." Die Entwicklung nach der Wende mit Verkauf und Weiterverkauf zeige, daß es "nur ums Geld" gehe. Drei Wohnungsbesichtigungen habe sie zuletzt innerhalb eines Jahres dulden müssen. "Jeder kam mit einem Gutachter, der die gesamte Wohnung fotografiert und vermessen hat", so die Frau. "Man lebt hier nur noch in Angst, ob man sein Dach überm Kopf behalten und bezahlen kann, solange man noch lebt." [3]

Wenn es um die Durchsetzung von Mieterhöhungen geht, zeigt sich die Deutsche Wohnen konfrontativer als andere Unternehmen und erstreitet diese häufiger vor Gericht als etwa der Konkurrent Vonovia. Die BBSR-Studie faßt die Befragung der Mietervereine dahingehend zusammen, daß das Verhältnis der börsennotierten Wohnungsanbieter zu ihren Mietern häufig als gespannt und konfliktbeladen bezeichnet werden kann und insbesondere "die Streitanfälligkeit bei Mieterhöhungen" bei den verschiedenen Unternehmen unterschiedlich hoch sei - bei Deutsche Wohnen offenbar ganz besonders. Diese hat sich vor wenigen Tagen vor dem Berliner Landgericht mit der Auffassung durchgesetzt, daß für sie die ortsübliche Miete nicht mehr gilt. Als "Schlag ins Gesicht der Mieter" bewerten Mietervertreter das Urteil, das die Tochterfirma Gehag zur Durchsetzung einer Mieterhöhung erstritten hat.

Die Deutsche Wohnen hatte wiederholt erklärt, daß der Berliner Mietspiegel angreifbar und nicht rechtssicher sei. Deshalb seien "für einige wenige Wohnungen" vor Jahren "Vergleichswohnungen statt Mietspiegel" herangezogen worden, um "Mieterhöhungsverlangen" zu begründen. Das Gericht schenkte, kurz gesagt, einem Gutachter mehr Vertrauen als dem Mietspiegel 2015, der keine geeignete Schätzgrundlage darstelle. Die Deutsche Wohnen erkennt zwar den Mietspiegel 2017 an, doch ist mit dem Urteil erstmals eine Bresche in den bis dahin allgemein anerkannten Mietspiegel und damit das geltende Mietrecht geschlagen worden, was gravierende Konsequenzen haben könnte. [4]

Die BBSR-Studie führt aus, nach welchem Muster der Verdrängungsprozeß durchgesetzt wird: "Auf der Einnahmenseite nutzen alle börsennotierten Wohnungsunternehmen Mieterhöhungsspielräume weitestgehend aus. Außerdem nutzen sie die Mieterfluktuation und Modernisierungen als zusätzliche Mieterhöhungskanäle." Die Deutsche Wohnen wendet 30 Euro pro Quadratmeter für Modernisierungen auf, während es bei kommunalen Wohnungsgesellschaften aktuell rund zehn Euro sind. Im Unternehmen ist man angeblich stolz darauf, daß ein Großteil des operativen Gewinns für solche Zwecke eingesetzt wird. Denn wie Michael Zahn verkündet, lasse sich sein Unternehmen eben aktiven Klimaschutz einiges kosten.

Warum ein profitgetriebenes Unternehmen wie Deutsche Wohnen seine Modernisierungsausgaben pro Quadratmeter seit 2015 verdreifacht hat, zeigt ein Blick hinter die Kulissen. So können die Kosten zu rund 70 Prozent über höhere Mieten auf die Bewohner abgewälzt werden, die nach der Sanierung zwar Heizkosten sparen, aber die Zeche für den angeblichen Klimaschutz zahlen, dessen Maßnahmen zudem in der Regel nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern auch gesamtgesellschaftlich ineffizient sind. Für börsennotierte Unternehmen geht es vor allem darum, die Bestandsmieten maximal zu erhöhen und einkommensschwache Mieter zu verdrängen, so daß insbesondere im unteren Preissegment immer mehr Wohnungen wegfallen.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/wirtschaft/2019-04/deutsche-wohnen-berlin-wohnungsgesellschaft-mieterhoehung-sozialbauten/komplettansicht

[2] www.dwenteignen.de/warum-enteignen/

[3] www.berliner-zeitung.de/berlin/neuer-vorstoss-zur-karl-marx-allee-senat-will-alle-umstrittenen-bloecke-erwerben-32388654

[4] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/berlin-landgericht-kippt-mietspiegel-erfolg-fuer-deutsche-wohnen-a-1262475.html#ref=rss

18. April 2019


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