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RAUB/1198: Wald - ein Greenwash-Schildbürgerstreich ... (SB)



Das Kohle- und Holzkraftwerk Drax in North Yorkshire im Osten Englands setzt die meisten CO2-Emissionen von allen einzelnen Kraftwerken und Industriebetrieben im United Kingdom frei. Ein Schornstein mit einem Durchmesser von 26 Metern, der 260 Meter in die Höhe ragt, sorgt dafür, daß die bei der Verbrennung von Holz und Kohle ausgestoßenen Luftschadstoffe möglichst weit verteilt werden. 12 Kühltürme mit einem Querschnitt von 92 und einer Höhe von 112 Metern heizen die Atmosphäre direkt mit der Abwärme der sechs Kraftwerksblöcke auf. Sie produzieren 3,9 Gigawatt Strom, wobei vier Blöcke Biomasse und zwei Blöcke Steinkohle verfeuern. Nach jüngsten Planungen sollen letztere auf Gas umgestellt werden, was die Drax Group, der Betreiber des Kraftwerkes, aufgrund der Aufgabe der Kohleverstromung zur Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel berechtigt.

Weil mit Holz ein Brennstoff für erneuerbare Energie verfeuert wird, subventioniert die britische Regierung den Betrieb der Drax Power Station mit zwei Millionen Pfund täglich. Anders als mit dem Argument, es handle sich bei dieser Form von Energieerzeugung um eine Klimaschutzmaßnahme, ließen sich die Kosten für die Produktion und den Transport von 13,5 Millionen Tonnen Holzpellets, die zur Zeit allein in Drax verbrannt werden und die gesamte Holzproduktion von 11 Millionen Tonnen im Vereinigten Königreich im Jahr deutlich übersteigen, kaum profitabel stemmen.

Holz ist zwar keine fossile Energie in dem Sinne, daß sich aus den Abbauprodukten des bioorganischen Lebens vor Jahrmillionen unter Luftabschluß und Druck in der Erde hochverdichtete Kohlenwasserstoffe bildeten. Sein ökologischer Vorteil besteht lediglich darin, daß es sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt, der nicht aus fossilen Lagerstätten stammt, die gar nicht mehr angetastet werden dürften. Seine Nutzung legitimiert sich ökologisch dadurch, daß die bei seiner Verbrennung freigesetzten Treibhausgase in einigen Jahrzehnten wieder in biorganischem Material gebunden sein werden. In der kritischen Phase, in der es um die Begrenzung des Klimawandels unter allen Umständen geht, hilft die Aussicht darauf, daß die jetzt freigesetzten Treibhausgase später einmal kompensiert werden, allerdings niemandem.

Zudem ist die Umweltbelastung, die aus der Verfeuerung von Holz resultiert, aufgrund der höheren Freisetzung von CO2, Kohlenmonoxid, rußigem Feinstaub und Polycyclischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) größer als bei der Erzeugung der gleichen Menge von Energie durch Öl oder Gas. Gleiches gilt für den Aufwand, entsprechende Filteranlagen und Entsorgungssysteme zu installieren. Darüber hinaus werden ökologische Qualitäten des verheizten Waldes wie seine Fähigkeit, Wasser zu binden und Bränden zu widerstehen, durch die an seiner Stelle angepflanzten Plantagenwälder nicht annähernd erreicht. Aufgrund ihrer hohen Biodiversität sind die küstennahen Wälder im Südosten der USA, wo das in Drax verfeuerte Holz zu 60 Prozent gewonnen wird, ein ökologischer Hot Spot, vergleichbar nur mit den verbliebenen Regenwäldern Amazoniens, Südostasiens und Afrikas. Der großflächige Austausch dieser wertvollen alten Wälder durch kurzlebige Forste kann in keiner Weise ersetzen, was zuvor zerstört wurde.

Da das United Kingdom gar nicht über die Landfläche verfügt, um das Kraftwerk Drax und weitere geplante Biomassekraftwerke zu unterhalten, handelt es sich bei der dadurch angestrebten Dekarbonisierung um ein reines Rechenexempel. Die Gleichung fällt noch ungünstiger aus, wenn man bedenkt, daß die Produktion von Pellets vom maschinellen Abholzen der Bäume beziehungsweise dem Einbringen von Totholz wie der Aufbereitung zum eigentlichen Brennstoff unter erheblichem Energieeinsatz stattfindet als auch deren Verschiffung über den Atlantik nach England alles andere als ökologisch sinnvoll ist. Da das Vereinigte Königreich bei der Biomasseverstromung auch in Zukunft importabhängig bleiben wird, handelt es sich um einen Schildbürgerstreich der üblen Sorte, wird doch die energetische Entsorgungsproblematik des UK praktisch in die Vereinigten Staaten exportiert und der dort lebenden Bevölkerung aufgelastet. Erschwerend kommt hinzu, daß die Produktion von Biomasse in prinzipieller Flächenkonkurrenz zur Erzeugung von Nahrungsmitteln steht.

Da es sich bei der vom Lärm, Gestank, Feinstaub und LKW-Verkehr der Pelletfabriken im Südwesten der USA betroffenen Bevölkerung vorwiegend um afroamerikanische und indigene, häufig prekär lebende Menschen handelt, kann hier auch von einer Form von Umweltrassismus gesprochen werden. Die Betroffenen protestieren seit langem vergeblich gegen diese Praxis der Naturzerstörung. Zum einen, weil ihre Gesundheit und Lebensqualität direkt betroffen ist, zum andern, weil die alten küstennahen Wälder im Südosten der Vereinigten Staaten ein Naturreservoir ersten Ranges sind, das zudem eine Einkommensquelle durch den Tourismus und seine nachhaltige Bewirtschaftung darstellt.

In Mississippi soll nun die größte Pellet-Fabrik der Welt gebaut werden. Sie nimmt nicht nur eine ganze Region transport- und emissionstechnisch in ihren gesundheitsgefährdenden Griff, sondern würde allein bei der Herstellung des "grünen" Brennstoffes soviel CO2-Emissionen wie ein 500 Megawatt-Kohlekraftwerk freisetzen. Zum Widerstand gegen die neue Einrichtung des Konzerns Enviva, der weitere Pellet-Fabriken in Florida, North Carolina, South Carolina und Virginia betreibt, mobilisieren die NGO Dogwood Alliance [1] und indigene Initiativen. Auf der anderen Seite des Atlantiks wird schon seit 2006, als das erste Klimacamp in England vor Drax abgehalten wurde, gegen das Kraftwerk und die auf fossile Energieträger setzende Politik der britischen Regierung gekämpft [2]. Weil die Energieerzeugung aus Biomasse, die auch bei Treibstoffen für Autos und Flugzeuge als ökologische Lösung gepriesen wird, ein Paradebeispiel für Greenwashing ist und das höchst fragwürdige Verfahren zur CO2-Bindung BECCS (bioenergy with carbon capture and storage) legitimiert, könnte dies ein weiterer Schwerpunkt des in der EU anwachsenden Protestes gegen den Ausverkauf des Planeten und seiner BewohnerInnen sein.


Fußnoten:

[1] https://www.dogwoodalliance.org/

[2] https://www.biofuelwatch.org.uk/axedrax-campaign/

26. Mai 2019


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