Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1210: Condor-Stütze - Wirtschaftsrettung und Menschenverrat ... (SB)



Tausende Touristen an fernen Orten gestrandet, der Ferienflieger Condor in finanzieller Bedrängnis - so schnell die Bundesregierung im Fall der Pleite des Tourismuskonzerns Thomas Cook zur Hilfe eilt, um die deutsche Tochter des britischen Unternehmens zu retten, so absichtsvoll schaut sie weg bei zu finanzierenden Zwecken, die nicht der ökonomischen Expansion oder der Sicherung von Klassenprivilegien dienen. Es ist kein Zufall, sondern demonstrative Absicht, wenn die Krokodilstränen um die Entwicklung des Klimas von den heißen Abgasen jener Passagierjets getrocknet werden, deren zerstörerisches Geschäft die realpolitische Praxis des symbolpolitischen Klimaschutzes der Bundesregierung ist.

Ein staatliches Darlehen an Condor in Höhe von rund 380 Millionen Euro wird quasi auf dem kurzen Dienstweg zugesagt und harrt nur noch der Bestätigung durch die EU-Kommission. Warum sind weit dringlichere Maßnahmen, bei denen Menschen um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen oder gar ihr Leben selbst kämpfen, nicht gleichermaßen schnell und unbürokratisch zu finanzieren? Die Frage ist selbstverständlich rein rhetorischer Art. Investiert wird nur, wenn die betriebswirtschaftliche Logik, mit der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die Kreditierung von Condor begründet, auf den Geschäftsbetrieb der Bundesregierung angewendet werden kann, dessen größtes Gewicht wiederum auf der Förderung in Deutschland angesiedelter Kapitalinteressen liegt. Der Standort Bundesrepublik hat sich, wohl oder übel, auf dem Weltmarkt zu behaupten, das gilt insbesondere für Unternehmen, die so großen energetischen und technologischen Aufwand betreiben, daß der Akkumulationslogik des fossilen Kapitalismus gemäß dementsprechend hohe Gewinne zu erzielen sind.

Das staatliche Interesse betrifft zugleich die Förderung des Flugzeugbaus und das Entfachen eines Innovationsdruckes, der Wachstum und Wettbewerb stimuliert, zumal in einem Bereich, dessen Produktivität immer auch im Dual-Use-Horizont militärischer Bemittelung gesteigert wird. Wiewohl sich die Konkurrenz im Flugzeugbau wie dem Errichten von Großflughäfen und dem Betrieb von Passagier- und Frachtmaschinen auf die hochindustrialisierten Staaten Westeuropas, Nordamerikas und Ostasiens konzentriert, findet bei einer Mobilitätsform, die neben dem motorisierten Individualverkehr zum Kerngeschäft staatlich begünstigter Schlüsselindustrien gehört, ein harter Wettkampf um künftige Anteile am internationalen Flugverkehr statt.

Eben noch im Büßergewand der klimapolitischen Sünderin unterwegs, hat die Bundeskanzlerin kein Problem damit, die pro Personenkilometer mit Abstand klimaschädlichste Mobilitätsform auch dann nicht den Weg alles Zeitlichen segnen zu lassen, wenn Krisen und Pleiten, wie es im Kapitalismus immer wieder geschieht und ganz normal ist, ihren Tribut fordern. Die notwendige Debatte um die weitgehende Abwicklung des Flugverkehrs findet nicht statt, ganz im Gegenteil. Die Wachstumsraten der Luftfahrtindustrie steigen mindestens so steil in den Himmel wie die Passagiermaschinen, die minütlich von ihrerseits als verbrauchsintensive Betonwüsten lebensfeindlichen Mega-Airports abheben. Sie mit alternativen Treibstoffen zu befeuern ist zwar geplant, dies aber in einem Zeithorizont, in dem die wesentlichen klimapolitischen Weichenstellungen längst hätten erfolgt sein müssen [1].

Jede technologische Lösung im Bereich der Mobilität steht ohnehin vor dem Problem, daß die dort in Anspruch genommene Antriebsenergie an anderer Stelle fehlt respektive die Klimabilanz durch energetischen Überaufwand verschlechtert wird. Doch das so schnelle wie in Hinsicht auf Gefahren, die am Boden drohen können, sichere Fliegen ist auch aus einem anderen Grund sakrosankt. Wenn die Flugpreise aus Klimaschutzgründen deutlich teuerer als bisher werden, entsteht ein Mobilitätsprivileg, das der zwangsverordneten Immobilität flüchtender Menschen diametral gegenübersteht. Während diese zusehends vom Zutritt in gutversorgte Regionen abgehalten werden, können die Krisenzonen, aus denen sie geflüchtet sind, mit Passagiermaschinen sicher angesteuert oder überflogen werden. Werden in einer Welt der fortgeschrittenen Klimakatastrophe die Überlebenschancen sozialräumlich zwischen gut abgesicherten und versorgten Regionen im globalen Norden und Wüsten und Einöden überall sonst aufgeteilt, dann kann der Flugverkehr den Transport zwischen den Inseln des Wohlstandes gewährleisten, während die Menschen auf dem ausgedörrten Boden dazwischen verdursten und verhungern.

Die Freiheit, auf Kosten der großen Mehrheit der Menschen zu überleben, wird verteidigt, wenn heute PolitikerInnen auf Abstand zu Greta Thunberg gehen. Nicht nur der Ton ihrer Rede auf dem U.N. Climate Action Summit [2] hat ihnen nicht gefallen, sie können es auch nicht ertragen, mit der gut begründeten Dringlichkeit des Treffens alternativloser Entscheidungen konfrontiert zu werden. Da sagen sie der jungen Frau lieber alles mögliche nach. Für den CDU-Politiker Friedrich Merz ist sie schlicht "krank", der Rechtsausleger der Grünen Boris Palmer hält ihre Behauptung für überzogen, daß ihre Jugend durch die Untätigkeit der Politik zerstört worden sei, Emmanuel Macron fühlt sich in seiner Eigenschaft als Frankreichs Präsident zu Unrecht angegriffen, um nur drei Stimmen von vielen zu nennen.

Gemeinsam ist ihnen der paternalistische Tenor, mit dem jungen Menschen schlichtweg unterstellt wird, im Grunde genommen nicht zu wissen, wovon sie reden, weshalb sie die zu treffenden Entscheidungen denjenigen überlassen sollten, die dafür zuständig sind. Der Honeymoon zwischen administrativer Entscheidungsgewalt und deliberativer Einmischung ist vorbei. Die Zukunft zu erkämpfen heißt Gegenposition zu den herrschenden Interessen zu beziehen und nicht auf deren Verständnis zu hoffen. Das hat nur den einen Zweck, wie die AktivistInnen der Klimagerechtigkeitsbewegung allmählich erkennen. Sie sollen in ihrem berechtigten Aufbegehren beschwichtigt und eingebunden werden in das, was es zu überwinden gilt.


Fußnoten:

[1] https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1205.html

[2] https://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1209.html

26. September 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang