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RAUB/1237: COVID-19 - Schlachthauswunden für Mensch und Tier ... (SB)



Und tausend Leiber wiesen ihm ihr Grab Und hunderttausend ihre Folterstätten, Es schwebte keine Taube, ihn zu retten, Kein Lämmlein trug ihm selbst den Hirtenstab.
Gertrud Kolmar - Der Tag der großen Klage (1938) [1]

Wenn 300 ArbeiterInnen eines Schlachthofes an COVID-19 erkranken und 200 davon rumänische Angestellte einer Werkvertragsfirma sind, dann ist leicht ersichtlich, daß schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen die Verbreitung der Krankheit beschleunigen. Über das Elend in Deutschland ausgebeuteter WerkvertragslerInnen wurde in den letzten Jahren ausführlich berichtet [2], nur auf ihrem Rücken lassen sich Fleischpreise erzielen, die weder sozial noch ökologisch vertretbar sind. Die externalisierten, zu Lasten der ArbeiterInnen, der Gewässer, Äcker und anderer Natursysteme, die durch die ressourcenintensive Tierproduktion vergiftet und zerstört werden, gehenden Kosten bleiben unsichtbar.

Nicht nur im baden-württembergischen Birkenfeld [3] werden Schlachthöfe zu Hot Spots der Coronapandemie, das geschieht weltweit und insbesondere in den USA, wo die industrielle Tierproduktion monströse Ausmaße angenommen hat. Nachdem 644 Personen der Belegschaft von 3700 ArbeiterInnen einer Schlachtfabrik in Sioux Falls in South Dakota an COVID-19 erkrankt waren, was zu dem Zeitpunkt 55 Prozent aller in dem Bundesstaat gezählten Fälle ausmachte, verfügten die Behörden am 15. April die Schließung des zu Smithfield Foods gehörenden Betriebes. Die Belegschaft setzt sich zum größten Teil aus niedrig entlohnten ArbeitsmigrantInnen zusammen, wie für diese Branche allgemein üblich, deren schlechte Wohn- und Lebensverhältnisse die Verbreitung der Pandemie begünstigen [4]. Viele hatten erklärtermaßen Angst, zur Arbeit zu gehen und sich dort zu infizieren, konnten sich das aber nicht leisten. Die medizinische Beratung scheiterte häufig schon an den rund 80 unter ihnen gesprochenen Sprachen. Inzwischen sollen rund 1000 ArbeiterInnen der Fabrik in Sioux Falls, in der 5 Prozent der in den USA konsumierten Schweinefleischprodukte in Form von 18 Millionen Einzelportionen täglich hergestellt werden, positiv auf COVID-19 testen.

Nun droht auch die größte Schlachtfabrik von Smithfield Foods in Tar Heel, North Carolina, zu einem Hot Spot der Pandemie zu werden. Eine unbekannte Zahl von ArbeiterInnen, die mit einem "Verantwortungsbonus" von 500 Dollar dazu motiviert wurden, sich im April nicht krankzumelden, hat sich mit COVID-19 angesteckt. Das Unternehmen hat sich mit einer schriftlichen Stellungnahme an die Öffentlichkeit gewandt, in der es erklärt, die Arbeit fortzusetzen, um die Lieferketten der Nahrungsmittelindustrie aufrechtzuerhalten. Zudem soll verhindert werden, daß die Zuchtbetriebe Schweine zu Tausenden töten, weil die frist- und normgerecht produzierten Tiere ab einer bestimmten Größe nicht mehr in die zu ihrer Verarbeitung vorgesehenen Gerätschaften passen.

Die Fabrik in Tar Heel ist mit der Verarbeitung von 35.000 Schweinen täglich der größte Schlachthof der USA und befindet sich mit seinem Standort in North Carolina in derjenigen Region des Landes, die für die intensive Massentierhaltung landesweit bekannt ist. Dort sind rund 9 Millionen Schweine auf engstem Raum in fabrikartigen Zuchtfarmen untergebracht, während sich die 10,2 Millionen Menschen des Staates auf eine Fläche verteilen, die fast doppelt so groß wie das größte deutsche Bundesland NRW ist. Mit dem Bau neuer Schlachtfabriken hat die Zahl der Mastbetriebe, die als Concentrated Animal Feeding Operation (CAFO) gelten, dort erheblich zugenommen. Dem Begriff liegt eine Norm des US-Landwirtschaftsministeriums zugrunde, laut der es sich bei einem Mastbetrieb ab dem Bestand von 1000 Tiereinheiten um eine CAFO handelt. Eine Tiereinheit entspricht 1000 US-amerikanischen Pfund an Lebendgewicht, so daß ein Betrieb mit mindestens 1000 Rindern, 2500 Schweinen oder 125.000 Schlachthähnchen als CAFO geführt wird.

Die Kategorie ist insbesondere unter Umweltgesichtspunkten von Belang, sind diese Ställe doch Quell massiver Kontamination von Grundwasser und Atemluft. Die großen Mengen an tierischen Ausscheidungen enthalten pathogene Keime und Parasiten wie Spulwürmer, sie sind mit Nitraten, Phosphaten, Pestiziden, Hormonen, Antibiotika und Schwermetallen versetzt und stinken mörderisch. Die breiartige Flüssigkeit wird in große, nach unten und zur Seite hin abgedichtete Seen geleitet. Dort lagern sich die festen Bestandteile der Mischung aus Exkrementen, Urin und Blut, aus Tot- und Nachgeburten, aus Medikamenten und anderen Chemikalien ab, während das verbleibende Wasser in Aufbereitungsanlagen geleitet oder über nahegelegenen Feldern versprüht wird. 3300 dieser meist zwei Fußballfelder großen und zehn Meter tiefen Lagunen gibt es in North Carolina. Die nach oben offenen Gülleseen dunsten erhebliche Mengen an Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan als auch an Ammoniak ab, das zusammen mit Stickstoffoxiden für die Bildung von bodennahem Ozon verantwortlich ist. Zudem führt das in der Landwirtschaft durch Düngemittel und Tierverwertung freigesetzte Ammoniak zur Bildung von Feinstaub.

Die massenhafte Schweinehaltung gilt auch als Hauptquell für die Bildung antibiotikaresistenter Stämme, die unter anderem mit dem sich über den Güllelagunen bildenden Gasgemisch in die Atemluft gelangen können. Die Menschen, die im näheren Umkreis solcher Anlagen leben, leiden häufig unter chronischen Erkrankungen der Atemorgane, wobei ein kausaler Zusammenhang zu den Gülleseen von den Betreibern der Anlagen meist erfolgreich abgestritten wird. In North Carolina leben überproportional viele AfroamerikanerInnen im Umkreis der CAFOs. Sie sind meist so arm, daß sie den krankmachenden Bedingungen nicht ausweichen können und nur die Möglichkeit haben, nicht vor die Tür zu gehen, um sich vor dem Gestank und den Giften zu schützen. SozialwissenschaftlerInnen sprechen in solchen Fällen von Environmental Racism.

Bis zu einem Viertel aller Schlachtfabriken in den USA wurde inzwischen mit der Folge geschlossen, daß mehrere Millionen sogenannter Nutztiere bereits in ihren Zuchtbetrieben getötet wurden. Hühner sind besonders stark betroffen, weil ihr bis ins letzte Detail durchkalkuliertes Wachstum auf schnellen Verbrauch ausgelegt ist. Wenn sie nicht nach einer Lebenszeit von 42 bis 47 Tagen geschlachtet werden, sterben sie sowieso, behauptet zumindest eine Vertreterin der Tierschutzorganisation Mercy For Animals [5]. Bei der jetzigen "Depopulation" werden Maßnahmen angewendet, die eigentlich zur Bekämpfung epidemischer Zoonosen wie der Vogelgrippe gedacht sind. Nun werden die Hühner aus ökonomischen Gründen entweder mit einem synthetischen Schaum bedeckt, unter dem sie in einem mehrere Minuten währenden Prozeß qualvoll ersticken, oder die Ventilation der mehrere tausend Tiere fassenden Ställe wird abgestellt, wodurch die dann schnell ansteigende Temperatur das Weiterleben unmöglich macht.

Um mit dem verbliebenen Personal so viele Nahrungsmittel wie möglich herzustellen, hat die US-Regierung die Taktrate, in der Hühner in den Schlachtfabriken pro Minute getötet werden können, von 140 auf 175 heraufgesetzt. Obwohl die Gesundheitsgefahren in der Tierproduktion größer geworden sind, müssen mehr Hühner pro Zeiteinheit an den Haken der Laufbänder aufgehängt werden, um von den rotierenden Messern, auf die sie zulaufen, getötet zu werden. Die Monotonie eines Jobs, bei dem im ersten Akt stundenlang am Band Lebewesen umgebracht werden, um deren Leichen in den weiteren Schritten zu zerlegen und in appetitliche Nahrungsmittel zu verwandeln, tötet ihrerseits alles ab, was an Empfindungsfähigkeit gegenüber sogenannten Nutztieren vielleicht noch vorhanden war.

Für menschliche wie nichtmenschliche Tiere erfüllt der Schlachthof alle Kriterien eines Danteschen Pandämoniums, daran ändern höhere Löhne oder hygienischere Arbeitsbedingungen wenig - permanent mit Leichen zu tun zu haben hinterläßt Wunden nicht nur physischer Art. Macht sich in der kaltfeuchten Melange aus Blut, Gewebeflüssigkeit, Schweiß und Atemdunst ein gefährliches Virus breit, drängt sich der Eindruck auf, zwischen der Verletzlichkeit der ArbeiterInnen und ihrer vom Leben in den Tod transportierten "Werkstücke" bestehe ein innerer Zusammenhang. Sie sollen die Sicherheitsregeln strikt beachten, während der Takt der Großen Maschine nichts dergleichen zuläßt, was im Schadensfall bedeuten kann, selbst schuld zu sein und keinerlei finanzielle Unterstützung verlangen zu können. Sie bestimmen über Leben und Tod der Tiere und sind selbst - wie überall in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft - nichts als geldwerte Ware. So erscheint auch der "Werkstoff" nichtmenschlichen Lebens als Betriebsmittel eines in industrielle Dimensionen getriebenen Blutflusses, dessen Anschwellen niemals vollständig verbergen kann, daß der Verstoffwechselung des Lebens die Unteilbarkeit eines Schmerzes zugrunde liegt, den nicht wahrhaben zu müssen das ganze Trachten gilt.


Fußnoten:

[1] https://www.literatisch.de/gertrud-kolmar-tiertraeume.html#großen%20Klage

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0115.html

[3] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/coronavirus-ausbruch-in-baden-wuerttemberg-etwa-300-schlachthof-mitarbeiter-infiziert/25786070.html

[4] https://www.bbc.com/news/world-us-canada-52311877

[5] https://www.theguardian.com/environment/2020/apr/29/millions-of-farm-animals-culled-as-us-food-supply-chain-chokes-up-coronavirus?CMP=share_btn_fb&fbclid=IwAR1EAtFelasJXlhbmxbmQ78mm15w4rNuZ88fT35LElul998iapOBkBCCdBk

30. April 2020


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