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REPRESSION/1345: Disziplinierungsinstrument Internet (SB)



Das Ergebnis der Studie der Bundesregierung, laut der viele Firmen das Internet nach persönlichen Informationen über Personen absuchen, die sich bei ihnen um einen Job bewerben, kann schlechterdings nicht überraschen. Überrascht hätte lediglich das Gegenteil, daß nämlich die Personalabteilungen auf diese leicht zugängliche und billige Informationsressource aus ethischen Gründen verzichteten. Allerdings krankt die Darstellung des Problems daran, daß vor allem die Verfügbarkeit sogenannter Partyfotos oder Illustrationen, in denen der Bewerber in kompromittierenden Situationen zu sehen ist, problematisiert wird.

So gibt zum Beispiel der Personalberater Patric Heberlein (Merkur-online 22.08.2009) an, daß seine Firma bisher noch in keinem Fall einen Bewerber aussortiert hat, weil er in betrunkenem Zustand im Internet abgebildet worden wäre. Er führt das zwar darauf zurück, daß das Unternehmen, in dem er arbeitet, vor allem hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte vermittelt, die ohnehin keine privaten Fotos im Netz verbreiten. Was seiner Aussage nach eher ein Problem der Jüngeren ist, läßt sich jedoch schnell aus der Welt schaffen, indem den Betroffenen bewußt gemacht wird, daß ihre Neigung zum Exhibitionismus inkompatibel mit ihren Karriereambitionen ist.

Viel schwerwiegender allerdings ist, wie Heberlein bestätigt, die abträgliche Wirkung, die kritische Bemerkungen über frühere oder potentielle Arbeitgeber auf die Chancen von Jobsuchenden haben können. Laut der Studie, die das Bundesministerium für Verbraucherschutz beim Dimap-Institut in Auftrag gegeben hat, gaben 76 Prozent der 500 befragten Firmen an, daß sich dies schlecht auf das Bild auswirkt, das sie sich von einem Bewerber machten. Das bedeutet im Klartext, daß das Internet kein Ort ist, an dem Arbeiter und Angestellte mit Klarnamen offen Kritik an den Bedingungen äußern können, unter denen sie ihren Lebenserwerb bestreiten müssen. Der demokratiefördernde Charakter des Netzes, in jüngster Zeit exemplifiziert an der iranischen Oppositionsbewegung, erweist sich ausgerechnet in Ländern, die aus ihrer demokratischen Verfaßtheit das Vorrecht ableiten, über die Staatsformen anderer Länder zu befinden, als Suggestion einer Freiheit, mit der im Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital vornehmlich die Handlungsfreiheit gemeint ist, die gesellschaftlichen Bedingungen der Kapitalverwertung zu bestimmen.

Dementsprechend ist politisches Engagement in antikapitalistischen Parteien oder Organisationen Gift für die Chancen eines Lohnabhängigen, eine Stelle zu erhalten, die über das Niveau eines Niedriglohnjobs hinausgeht. Das einst im Radikalenerlaß gegen Kommunisten gerichtete Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat sich längst zur informellen Diskriminierung herrschafts- und kapitalismuskritischer Bürger verallgemeinert. In der sozialen Marktwirtschaft wird ein Anpassungsdruck vorgehalten, der sich nicht grundsätzlich von der beruflichen Benachteiligung politisch dissidenter Personen in der DDR unterscheidet. Die Gesinnungsselektion im neoliberalen Kapitalismus ist auf jeden Fall folgenreich für die Betroffenen, da ihre Überlebensmöglichkeiten eingeschränkt sind, wenn sie einmal als Kritiker der Kapitalmacht stigmatisiert wurden.

Die Warnung von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner vor einem zu freizügigen Umgang mit persönlichen Daten im Internet übersetzt sich denn auch als Aufforderung, immer schön brav zu sein und sich niemals mit Kräften anzulegen, denen man als Einzelperson, die darauf angewiesen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weit unterlegen ist. Große Unternehmen und Konzerne haben, wie in den Datenschutzaffären der letzten zwei Jahre deutlich geworden ist, die Neigung, nachrichtendienstliche Strukturen aufzubauen, um ihre Angestellten zu überwachen. Angesichts der Entwicklung, die kapitalistische Vergesellschaftung immer mehr mit informationstechnischen Mitteln zu dynamisieren, ist es nur eine Frage der Zeit, wann Unternehmen etwa Zugriff auf die Daten erhalten, die bei Suchmaschinen akkumuliert werden und viel über die Interessen und Neigungen ihrer Benutzer aussagen. Allein der apparative Aufwand, den Personal- und Sicherheitsabteilungen großer Firmen betreiben können, benachteiligt Lohnabhängige auf eine Weise, die verständlich macht, warum deren Anpassungsbereitschaft stetig zunimmt.

Die Studie des Bundesverbraucherschutzministeriums wie die Berichterstattung über sie tragen jedenfalls nicht dazu bei, die Rechte und Freiheiten von Arbeitern und Angestellten zu stärken. Ganz im Gegenteil wird mit der Warnung vor dem freizügigen Umgang mit Angaben zur Person konformes Verhalten eingeübt, um die Verfügbarkeit von Lohnarbeit zu verbessern. Letzten Endes wird die Recherchepraxis der Unternehmen direkt in die Bezichtigung der Arbeitsuchenden umgemünzt. Wer immer wieder Ablehnungen erhält, weil er sich im Internet auf angeblich unvorteilhafte Weise exponiert hat, könnte der Sabotage am eigenen Erwerbsleben bezichtigt und mit Leistungskürzungen abgestraft werden.

Doch auch die Empfehlung, sich unnötiger Datenspuren zu enthalten, die ihn Anbetracht der unvermeidbaren Nutzung informationstechnischer Systeme bei schwachem Datenschutz ohnehin ein Hohn ist, kann nicht ohne weiteres zum Erfolgsrezept erklärt werden. In vielen Berufsbereichen wird eine einschlägige Präsenz im Internet vorausgesetzt. Trifft man auf keinerlei Zeichen dafür, daß der Bewerber über ein virtuelles Doppelleben verfügt, dann könnte sich das womöglich erst recht negativ auswirken. Von daher wird angesichts des Aufwands, den Arbeitssuchende schon jetzt betreiben, wenn sie sich für viel Geld eigens für das Verhalten beim Bewerbungsgespräch coachen lassen, die Produktion spezifischer Internetprofile zweifellos ein neues Betätigungsfeld für Dienstleister im Internet sein.

22. August 2009