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REPRESSION/1370: Scheindebatte macht politischen Mord von Dubai salonfähig (SB)



Man stelle sich vor, der iranische Geheimdienst hätte Agenten unter Verwendung gefälschter europäischer und australischer Pässe ins Ausland entsandt, um einen politischen Gegner zu ermorden. Die westlichen Hauptstädte würden vom Aufschrei der Empörung widerhallen, und augenblicklich wären schärfste Sanktionen bis hin zum Angriffskrieg im Gespräch, um die "Terroristen" abzustrafen. Anders im Fall der Liquidierung des hochrangigen Hamas-Vertreters Mahmoud Al Mabhouh in Dubai. Obgleich die Indizien auf den Mossad hinweisen, klopft man Israel allenfalls milde auf die Finger, wobei sich der verhaltene Ärger, zu dem unter anderem die Bundesregierung erst getragen werden mußte, mit klammheimlicher bis unverhohlener Begeisterung über die Abgebrühtheit des israelischen Auslandsgeheimdienstes mischt.

Die offiziellen Reaktionen auf die Mordtat in Dubai ließen klar erkennen, wes Geistes Kind die internationale Riege der "Antiterrorkrieger" ist. Regierungen, Parteien und Medien rümpfen die Nase über die leidige Paßgeschichte, mit der Israel seine Verbündeten insofern verärgert hat, als diese nun vor den Bürgern tadelnde Töne anschlagen müssen. Bezeichnenderweise rügt man ausschließlich die Paßfälschungen, während die Mordtat als solche konstatiert, aber keineswegs entschieden verurteilt wird. Schließlich handelt es sich bei dem Opfer um einen "Hamas-Terroristen", einen Waffenbeschaffer noch dazu, den umzubringen Israel diese Logik zufolge allen Grund und jedes Recht hatte. Wer käme in diesem Zusammenhang schon auf die Idee, die deutsche Waffenbeschaffung für die israelischen Streitkräfte wie etwa die geschenkten oder zum Vorzugspreis gelieferten U-Boote, die atomare Zweitschlagkapazität möglich machen, mit Mahmoud Al Mabhouh in einen Topf zu werfen.

Die völlige Entkopplung derartiger Parallelen im Denken und Handeln zählt zu den fundamentalen Errungenschaften des "Antiterrorkriegs" im Dienst einer neuen Weltordnung, die dem zum "Terroristen" erklärten Feind die Menschlichkeit und damit jeden Anspruch auf menschliche Behandlung abspricht. Vorgetragen von eben jenen Mächten, welche den Gipfel von Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit für sich reklamieren, stellt diese Legalisierung der Entmenschlichung eine innovative Zuspitzung der Verfügungsgewalt nach außen und innen dar.

Für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ist die Ermordung von Zielpersonen an jedem beliebigen Ort der Welt inzwischen ein so alltägliches Geschäft, daß man am Mossad allenfalls noch dessen umfassende staatliche Rückendeckung zu beneiden hat. Wenn selbst der israelische Außenminister kaltschnäuzig vertreten kann, man werde wie üblich nicht das Geringste zugeben oder bestreiten, muß das aus Sicht hiesiger Militärs und Geheimdienste nach wie vor paradiesisch anmuten, die sich nach Massakern und anderen Kollateralschäden ihrer Kriegsführung mit lästigen Restbeständen parlamentarischer Kontrolle, juristischer Einwände und humanitärer Skrupel herumschlagen müssen.

Die zählebige Bewunderung des Mossad, wie man sie niemals der CIA und schon gar nicht dem BND entgegenbringen würde, die man automatisch mit finsteren Machenschaften in Verbindung bringt, repräsentiert in ihrer Verquickung von vermeintlicher Allmacht und uneingeschränkter Rechtfertigung den letztgültigen Wunschtraum absoluter Zugriffsgewalt. Jeden Gegner aufzuspüren und umzubringen, danach ungeschoren davonzukommen und dafür auch noch gerühmt zu werden, schmiedet einen Mythos handwerklicher Unfehlbarkeit und moralischer Integrität fern aller realen Fehlschläge und störenden Gewissensbisse.

Ob Dubai tatsächlich als Debakel des Mossad in die Geschichte eingehen und die Aktivitäten der westlichen Geheimdienste für eine gewisse Zeit beeinträchtigen wird, ist keineswegs entschieden. Worüber man sich heute im Brustton der Überzeugung empört, kann morgen gerade deswegen schon gängige Praxis sein, weil es nicht zuletzt dem Zweck dient, die Maßstäbe unablässig zu verschieben. Die Mißachtung fundamentaler Prinzipien internationalen Rechts im Fall der Ermordung Mahmoud Al Mabhouhs wird im Zuge der aktuellen Debatte so nachhaltig ausgeblendet, daß man weit eher eine noch engere Zusammenarbeit der Geheimdienste fordern, als deren gezielten politischen Mord verurteilen wird.

Der Staat Israel hat bekanntlich bereits wenige Jahre nach seiner Gründung begonnen, Jagd auf seine Feinde in aller Welt zu machen, um sie zu entführen oder umzubringen. In jüngerer Zeit wüten Geheimdienst und Streitkräfte unter der palästinensischen Führung im Gazastreifen und Westjordanland. In Washington wird man sich darüber kaum beklagen, sind die mörderischen Aktivitäten der CIA doch nicht minder berüchtigt. Namentlich Briten, Australier und Deutsche mischen längst kräftig mit, wenn es gilt, "Terroristen" im Irak oder "Taliban" in Afghanistan zu töten und dabei reichlich Zivilisten abzuschlachten, die sich am Ort des Anschlags aufhalten.

Einig ist man sich mit dem Mossad zweifellos, daß man bei dieser Praxis auf keinerlei Schranken Rücksicht zu nehmen braucht. Als innovativ könnte sich die Scheinkontroverse um den Mord in Dubai jedoch erweisen, indem sie von jeder ernsthaften Sanktion absieht und damit de facto legitimiert, was bislang vorzugsweise im Geheimen erledigt wurde. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Kürzlich erst hat der US-Geheimdienstdirektor Dennis Blair die Existenz politischer und juristischer Prozeduren offengelegt, die es gestatten, die Liquidierung amerikanischer Staatsbürger in aller Welt anzuordnen. Der Mord an Mahmoud Al Mabhouh steht mithin für eine Bedrohung jeglicher Form des Widerstands, die ins Visier der international operierenden Geheimdienste gerät.

4. März 2010