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REPRESSION/1392: Rassistische Verfolgung der Roma durch Regierungen der "Wertegemeinschaft" EU (SB)



Der Umgang mit nicht nur ethnisch, sondern sozial stigmatisierten Minderheiten sagt mehr aus über politische Systeme als alle ihre humanitären Konventionen und Werte zusammen. Wenn Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy aufgrund eines Vorfalls ankündigt, er wolle alle Roma, die ohne gültige Papiere in Frankreich lebten, des Landes verweisen, wenn er zudem die in Frankreich behördlich als Landfahrer geführten Menschen kollektiv der Ausbeutung von Kindern, der illegalen Prostitution und der Steuerhinterziehung bezichtigt, dann bestätigt er die Normalität der regierungsamtlichen Praxis, ganze Gruppen von Menschen zu diskriminieren.

Wegen eines Vorfalls im Loire-Tal, bei dem ein junger Roma nach dem Durchbrechen einer Verkehrskontrolle von Polizisten erschossen wurde, woraufhin das örtliche Polizeirevier von einer Gruppe Roma angegriffen wurde, alle offiziell 400.000 "gens de voyage" zu verunglimpfen und mit behördlichen Zwangsmaßnahmen zu bedrohen ist nichts anderes als durch den Staat praktizierter Rassismus. Populistische Aktionen dieser Art haben bei Sarkozy Tradition, wartete er doch schon als Innenminister 2002 mit einem Maßnahmekatalog auf, der sich insbesondere gegen sozial deklassierte Menschen richtete. Bettler, Obdachlose, Prostituierte, Hausbesetzer, Drogensüchtige, Roma und Migranten insbesondere aus der islamischen Welt wurden von ihm zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt und mit harten Maßnahmen belegt. Sein besonderes Augenmerk galt dabei nomadischen Lebensformen. Wer auf Privatgrund campierte oder mit einem Fahrzeug Eigentumsrechte verletzen, sollte laut Sarkozy mit Beschlagnahmung des Wagens und Führerscheinentzug bis zu drei Jahren bestraft werden.

Die von Frankreichs Präsident geforderte Änderung der Einwanderungsgesetze zugunsten der erleichterten Ausweisung "aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" hängt das angebliche Problem vor allem aus Rumänien stammender Roma besonders hoch, um auf der Basis eingefleischter Feindbilder Stimmung letztlich gegen alle Menschen zu machen, die nicht so bodenständig wie die meisten Franzosen sind und die aufgrund ihrer Armut illegaler Erwerbspraktiken verdächtigt werden. Dabei handelt es sich beim Gros der in Frankreich lebenden Roma um Staatsbürger des Landes, die, da man sie nicht abschieben kann, nun gruppenbezogener Repression ausgesetzt werden sollen. Das gegen den Vorwurf des Rassismus gerichtete Dementi des Regierungssprechers Luc Chatel könnte diesen nicht besser dokumentieren: "Der Präsident will keine Gruppe stigmatisieren, sondern ein Problem unter dem fahrenden Volk, den Zigeunern, den Roma lösen, die manchmal sogar Franzosen sind." [1]

Am Beispiel der Roma und der vor allem in Deutschland lebenden Sinti tritt die Verlogenheit der Wertegemeinschaft EU auf frappante Weise hervor. Die in den mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten diskriminierte Minderheit der Roma leidet besonders unter der dort überproportional verbreiteten Armut. In Roma-Siedlungen der Slowakei kam es bereits zu regelrechten Hungeraufständen, und die rechtspopulistischen Parteien in Ungarn und Rumänien hetzen auf eine Weise gegen Roma, daß sie allen Grund haben, in westeuropäische EU-Staaten auszuweichen. Anstatt das steile Wohlstandsgefälle innerhalb der EU für diese Entwicklung verantwortlich zu machen und seine Einebnung zu fordern, werden Roma auch in den reichen EU-Staaten zum Objekt rassistischer Nachstellungen. Dies mündet in administrative Maßnahmen wie eigens auf Roma zugeschnittene Abschiebeverordnungen oder ihre Ghettoisierung in verödeten Randbereichen der Städte. Der Erhalt des inneren Friedens, mit dem derartige Maßnahme begründet werden, ist ein Euphemismus für den Versuch, die soziale Widerspruchslage zu Lasten Dritter so zu kanalisieren, daß die eigentlichen Urheber des Problems unbehelligt bleiben.

Die Bundesregierung versucht derweil, die über 10.000 in der Bundesrepublik lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge der Roma in den Kosovo abzuschieben. Dort wurden sie zumeist nach der Eroberung der serbischen Provinz durch die NATO durch die kosovoalbanische UCK vertrieben. Die Roma gehörten zu den loyalsten Bürgern des multiethnischen Jugoslawien, weil sie dort großzügige Minderheitenrechte genossen. Auch deshalb wurden sie nach dem Überfall der NATO auf das Land zum Ziel rassistischer Nachstellungen. Sie wurden unter den Augen auch deutscher NATO-Truppen im Kosovo vertrieben, ohne daß diese sich ihrer erklärten Absicht gemäß, den multiethnischen Charakter des Kosovo zu erhalten, für ihren Schutz einsetzten. Über zehn Jahre später, nachdem die heranwachsenden Generationen der Roma in der Bundesrepublik heimisch geworden sind, sollen sie im Kosovo gegen ihren Willen einer ökonomisch aussichtslosen und eventuell durch neuerliche rassistische Verfolgung bestimmten Zukunft ausgesetzt werden.

Die kollektive Stigmatisierung einer Gruppe von Menschen, die keine gemeinsame Identität reklamieren muß, um diese dennoch zwecks Erwirtschaftung gegen sie gerichteter Maßnahmen aufgedrückt zu bekommen, ist in jedem Fall inakzeptabel. Anstatt Straftaten wie bei jedem anderen EU-Bürger auch ohne Ansehen von Herkunft und Hautfarbe individuell nach geltendem Recht zu verfolgen, werden Roma wider den Gleichheitsgrundsatz als separates Kollektiv vereinnahmt. Bei dem in Deutschland wie in ganz Europa zur Mahnung gegen jegliche Form des Rassismus praktizierten Holocaustgedenken muß diese Opfergruppe, die mit 220.000 bis 500.000 Toten bei einer europäischen Bevölkerung von damals rund einer Millionen Sinti und Roma besonders hart von der NS-Vernichtungspolitik getroffen wurde, erleben, daß die gleichen Regierungen, die den Kampf gegen eine Wiederholung des Holocaust zur Staatsdoktrin erklärt haben, keine Rücksicht auf ihre besondere Schutzwürdigkeit nehmen.

Die pogromartigen Nachstellungen, denen Roma vor zwei Jahren in Italien ausgesetzt waren, wurden in großen europäischen Medien rundheraus verharmlost oder gar mit Verständnis für den Mob quittiert, der die Lager der Roma angriff. Heute rechtfertigt eine Überschrift wie "Sarkozy knöpft sich kriminelle Roma vor" (Welt Online, 29.07.2010) implizit die Forderung nach Sondergesetzen gegen diese Minderheit, und auch andere Gazetten signalisieren Verständnis für die offen rassistische Politik des französischen Präsidenten. Im Gewand bewährter Feindbilder wird zu einer sozialen Repression aufgerüstet, die sich gegen alle Formen nichtseßhafter und daher nur eingeschränkt kontrollierbarer Lebensweise richtet. Auch in diesem Fall gilt das Wort Martin Niemöllers, der am Beispiel bürgerlichen Heraushaltens bei der Verfolgung der linken Opposition im NS-Staat darstellte, daß dann, wenn alle abgeholt wurden und man selbst an der Reihe ist, niemand mehr da ist, der sich für einen verwendet.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/1234840/

29. Juli 2010