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REPRESSION/1404: Abstrakte Gefahr ganz real ... Angst macht Untertanen (SB)



Der Schritt von der abstrakten zur realen Terrorgefahr bringt Thomas De Maizière viel Lob von interessierter Seite her ein. Endlich gebe der Bundesinnnenminister seine zögerliche Haltung auf, wüßten doch alle Experten, daß die Gefahr terroristischer Anschläge sich verdichtet habe, meint etwa Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei [1]. Konkreteres läßt er ebensowenig verlauten wie De Maizière selbst. So behaupten Journalisten und Politiker, auch ohne daß ihnen genauere Informationen vorlägen, die Bedrohung gehe von einigen Islamisten aus, die aus Deutschland nach Pakistan gereist seien, um sich dort für die Durchführung terroristischer Anschläge ausbilden zu lassen. Die trüben Quellen, aus denen diese Informationen stammen, sind stets die gleichen. Es handelt sich um die Nachrichtendienste der NATO-Staaten und dabei insbesondere die der USA.

Dazu gibt es eine längere, in der Eindeutigkeit der Gefahrenlage keineswegs unumstrittene Vorgeschichte. Keineswegs ausgeschlossen werden kann die Möglichkeit, daß die Unterstellung, aus Deutschland stammende Islamisten bereiteten sich in sogenannten Terrorlagern in Pakistan darauf vor, Anschläge in der Bundesrepublik zu begehen, vor allem der Legitimation des von den USA in diesem Land geführten Drohnenkriegs dient [2]. Betrachtet man die Rolle der Bundesregierung in dieser mit Hilfe von Mutmaßungen und Behauptungen aufgebauten Drohkulisse, so wirkt sie nicht eben so, als sei sie im Vollbesitz ihrer Handlungsfähigkeit.

Schlimmer noch, bei der Affäre um in Pakistan bei einem Drohnenangriff angeblich ums Leben gekommene Bundesbürger, die von der US-Regierung als Terrorverdächtige eingestuft werden, legt die Bundesregierung eine Passivität an den Tag, die ihrerseits auf hochgradige Aktivität im Bereich geheimer Kriegführung schließen lassen könnte. Ob sie den Drohnenkrieg der USA in Pakistan lediglich akzeptiert oder ob sie auf diese oder jene Weise an ihm teilhat, auf jeden Fall ist ihr Interesse daran, zwischen Duldung und Kollaboration unsichtbar zu werden, unübersehbar. Das geht auch daraus hervor, daß der Bundesregierung über die deutschen Opfer der "gezielten Tötungen", die am 4. Oktober in Pakistan bei einem US-Drohnenangriff ums Leben gekommen sein sollen, bis heute keine näheren Informationen vorliegen. Dieses dürftige Ergebnis einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei demonstriert, daß sie auch nicht daran interessiert zu sein scheint [3].

Währenddessen hat sich herausgestellt, daß ein V-Mann der Polizei bei der Produktion eines Drohvideos mitgearbeitet hat, in dem die Freilassung eines Mitglieds der sogenannten Sauerland-Zelle gefordert wurde. Der zuständige Generalstaatsanwalt Ralph-Dieter Sahm hat den Vorwurf des Verteidigers Christian Kessler, der V-Mann habe seinen Mandanten als Lockspitzel angestiftet, terroristische Drohvideos ins Netz zu stellen, mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Einsatz von Informanten und Vertrauenspersonen ein von der Rechtsprechung "anerkanntes und zulässiges Mittel der Strafverfolgung" sei [4]. Schon die Ermittlungen gegen die Sauerland-Zelle waren von Widersprüchen und Ungereimtheiten beeinträchtigt, die diesen angeblich großen Coup der Sicherheitsbehörden bei näherer Betrachtung als zu einem Gutteil inszeniert erscheinen lassen.

Gesetzt den Fall, es befänden sich tatsächlich Terroristen auf dem Weg nach Deutschland, um dort gegen Ende des Monats Anschläge zu begehen, dann kann der nun initiierte Alarmismus angesichts der vielen offenen Fragen, mit denen die Bürger alleingelassen werden, eigentlich nur den Zweck verfolgen, ihnen auch diese Fragen auszutreiben. Alles im Dunkeln lassen und dennoch davon auszugehen, daß öffentliche Terrorwarnungen irgendeinen Nutzen haben, läuft auf das indifferente Schüren von Ängsten hinaus, die ganz anderen Zwecken als der Gefahrenabwehr dienen können. So besteht stets Legitimationsbedarf für die Kriegführung in Afghanistan, die angeblich der offensiven Verteidigung der Bundesrepublik gegen den Terrorismus gewidmet ist. Der damit aufgetane Widersinn, mit Tod und Zerstörung Rachegelüste zu wecken und zu behaupten, man verringere damit die Gefahr terroristischer Anschläge, wurde häufig kritisiert, ohne daß dies die Wirkung bei den damit befaßten Staatsorganen zu haben scheint.

Wenn Freiberg das Publikum des NDR auffordert, die Augen offen zu halten und verdächtige Personen der Polizei zu melden, um nur ein Beispiel für die Folgen der aktuellen Terrorwarnung zu nennen, dann wird ein Klima des Mißtrauens erzeugt, das inbesondere Muslime meint. Anstatt der Erzeugung des rassistischen Feindbilds entgegenzuwirken, mit dem neue Volkstribune seit längerem Furore machen, wird es in seiner doppelten Bedeutung als Symbol für die unterstellte Notwendigkeit eines globalen Kulturkampfes wie der Ausgrenzung der "Unproduktiven" für Zwecke der inneren Aufrüstung instrumentalisiert. Terroralarm im unmittelbaren Vorfeld der Herbstkonferenz der Innenminister in Hamburg wie des NATO-Gipfels in Lissabon zu geben scheint allemal zweckdienlich zu sein. Zudem wird von sozialpolitischen Einschnitten abgelenkt, die in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gehörten, dort aber auch Gefahr liefen, wie in Frankreich Proteste großen Stils wachzurufen. Die dem Bürger abverlangte Wachsamkeit sollte sich folgerichtigerweise auf die bekannten Produzenten der terroristischen Bedrohung richten, anstatt daß er sich ins Bockshorn einer geheimen Kriegführung jagen läßt, die weit mehr bedroht als das Leben möglicher Anschlagsopfer.

Fußnoten:

[1] http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/interviews/interview1893.html

[2] KRIEG/1456: Mit Terroralarm völkerrechtswidrige Drohnenangriffe legitimieren (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1456.html

[3] http://www.jungewelt.de/2010/11-16/041.php

[4] http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufmacher/Neunkirchen-Vertrauenspersonen-Polizei-Strafverfolgung-Generalstaatsanwalt-Ralph-Dieter-Sahm-Verteidiger-Terrorverdaechtiger-Kevin-S-;art27856,3503475

17. November 2010