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REPRESSION/1415: Schröders Extremistenhatz läßt Spaltpilze reifen (SB)



Die Systemkrise kapitalistischer Verwertung vor dem Hintergrund dramatisch schwindender Ressourcen und katastrophaler Klimaveränderungen erzwingt aus Perspektive vorausgreifender Herrschaftssicherung innovative und weitreichende Maßnahmen. In Verteidigung elitärer Suprematie an den Fleischtöpfen, die nicht für alle reichen und eben deshalb den wenigen reserviert werden, schmiedet man unermüdlich das administrative Geschirr, widerständige Kräfte zu bändigen, bevor sie ihr Haupt erheben und den Verelendeten eine Stimme geben können.

Die gezielte Ausweitung, Neudefinition und restriktive Inanspruchnahme des Extremismusvorwurfs, wie sie Familienministerin Kristina Schröder derzeit offensiv betreibt, zielt auf den Ausbau eines Regimes von Bezichtigung, Sanktionierung und Spaltung eines breiten Spektrums gesellschaftlicher Kräfte ab, die gegen fundamentalkritische Regungen zu immunisieren man für unerläßlich hält. Nicht weil man die geschrumpfte Linke fürchtet, sondern weil man um die sozialen Grausamkeiten weiß, die der bundesdeutschen Bevölkerungsmehrheit in immer neuen Schüben verabreicht werden sollen, geißelt man präventiv die Kritik von links als extremistisch und bleut damit sozial engagierten Kreisen präventiv ein, die Finger von solcher Gesinnung zu lassen.

Wie tief dieser Vorstoß ins Eingemachte rechtsstaatlicher Überzeugungen und traditioneller demokratischer Tugenden greift, zeigt die empörte Reaktion eines breiten Spektrums von Institutionen, Verbänden und Organisationen, die sich nachdrücklich dagegen verwahren, zu Denunziation und Spitzeldiensten verpflichtet zu werden. Dies unterstreicht, daß sich staatlicherseits vorgetragene Initiativen zur repressiven Verengung geduldeter Ausschwünge im Denken und Handeln zwangsläufig auf dünnes Eis begeben, dessen Tragfähigkeit auszuloten politische Kernkompetenz ausmacht.

Wenngleich der Eindruck, Ministerin Schröder habe auf Granit gebissen, durchaus seine erfreuliche Seite hat, besteht doch kein Anlaß, die Stoßrichtung und Wirkmächtigkeit ihres Angriffs zu unterschätzen, zumal dieser nur eine unter mehreren sukzessive ins Feld geführten Komponenten repräsentiert. Das Familienministerium verlangt Projektträgern gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, die staatliche Unterstützung erhalten wollen, ab, sich zur freiheitlich-demokratischen zu Grundordnung bekennen. Darüber hinaus werden sie verpflichtet, ihre potentiellen Partner auf Verfassungstreue zu überprüfen und hierfür im Zweifel beim Bund oder beim Verfassungsschutz anzufragen.

Die betroffenen Projektträger und Initiativen wehren sich gegen die "Mißtrauensklausel", die das Engagement gegen rechte und reaktionäre Strömungen und Tendenzen unter Generalverdacht stellt. Sie sprechen von einer "Bespitzelungsklausel", da sie aufgefordert werden, ein Klima des Mißtrauens zu schaffen. Diese Verunsicherung ist zweifellos gewollt und mindestens ebenso gefährlich wie die geforderte Ausgrenzung einzelner Personen oder Gruppen. Zudem verwendet die Regierungsinitiative einen Extremismusbegriff, der menschenfeindliche und antidemokratische Einstellungen an den Rändern des politischen Spektrums verortet und damit verschleiert, in welchem Ausmaß diese in der Mitte der Gesellschaft um sich greifen. Verheerend ist nicht zuletzt die Gleichsetzung von linkem und rechtem "Extremismus", der die entscheidenden Unterschiede der beiden Positionen leugnet und damit die Klassenfrage ebenso unterschlägt wie er rassistisches Gedankengut des rechten Lagers zum Zwecke eigener Verwertung okkupiert.

Im Bundestag sind SPD und Grüne mit ihrer Forderung nach einer Streichung der umstrittenen Extremismusklausel vorerst gescheitert. Das Parlament wies nach hitziger Debatte diesen Antrag per Mehrheitsentscheidung zurück. Nach Willen der Regierungskoalition sollen in den Bundesprogrammen mehr als bisher die Gefahren durch "linksextreme Gewalt und Islamismus" betont werden, womit man die zentralen Feindbilder benennt und miteinander verknüpft. "Diese Koalition ist nicht auf einem politischen Auge blind", verteidigte Dorothee Bär (CSU) die umstrittene "Extremismuserklärung". Demgegenüber warfen Vertreter von SPD und Grünen den Regierungsparteien vor, Rechtsextremismus durch die Gleichsetzung mit Linksextremismus und Islamismus zu verharmlosen. Wie Monika Lazar (Grüne) unter Bezug auf die Verbreitung rechtsextremer Strukturen in ländlichen Gegenden Ostdeutschlands anführte, kenne sie keine Orte, in denen vermeintlich Linksextreme und Islamisten das gesamte öffentliche Leben dominierten. [1]

Familienministerin Schröder hat die Praxis, Projekte gegen Rechtsextremismus finanziell zu unterstützen, um die Finanzierung von Projekten gegen Linksextremismus und Islamismus ergänzt. Größter einzelner Nutznießer dieser Initiative ist die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, der im vergangenen Jahr Mittel in Höhe von 182.500 Euro dafür genehmigt wurden. Die Partei Die Linke wirft daher Schröder den parteipolitischen Mißbrauch von Steuergeldern vor, da es sich um eine Quersubvention von CDU-Gremien handle.

SPD und Grüne wollen in der kommenden Woche den Entschließungsantrag in den Bundestag einbringen, "Demokratieinitiativen nicht zu verdächtigen, sondern zu fördern". Wie sie zur Begründung anführen, leisteten Initiativen und Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagierten, durch ihre Bildungs- und Präventionsarbeit "einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft". Ohne eine Förderung des Bundes wären die meisten dieser Projekte nicht durchführbar. Die Initiatoren belegten mehr als viele andere, daß sie für die Geltung des Grundgesetzes eintreten und die Demokratie vor ihren Feinden schützen wollen. Von einer besonderen Neigung auszugehen, mit antidemokratischen Partnern zu kooperieren, sei eine Unterstellung. [2]

SPD und Grüne kritisieren insbesondere, daß die Regelung "weder Tatbestand noch Rechtsfolge hinreichend bestimmt". Verweigert ein Projektträger die Erklärung, wisse er mithin nicht, welche Konsequenzen sich für ihn daraus ergeben. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen argumentiert folgendermaßen:

Wer sich gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus engagiert - oft sogar um den Preis, von Nazis beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen zu werden - will die Demokratie schützen und stärken. Deshalb sind solche Träger selbstverständlich bereit, ihre demokratische Haltung auch schriftlich zu bestätigen. Doch haben sie aus guten Gründen ein Problem mit der verlangten "Gesinnungsschnüffelei" und dem Anlegen von Dossiers über ihre Partnerinnen und Partner. Die Bundesregierung bleibt klare Kriterien schuldig, wann ein potenzieller Partner als "Extremist" gilt. Daher fragen sich die Initiativen besorgt, wie sie eine Partnerwahl, die dem schwarz-gelben Geschmack widerspricht, vermeiden können. (...) [3]

Die bezeichnende Bereitwilligkeit der Grünen, in gezielter Verkennung der grundlegenden Stoßrichtung des Angriffs das geforderte schriftliche Demokratiebekenntnis der Träger positiv zu konnotieren, beutet Schröder leichterdings aus. Im Bedarfsfall die Feindbilder explizit beim Namen zu nennen, ist Wasser auf ihre Mühlen. So hat sie verfügt, daß Empfänger von Geldern aus den Anti-Extremismus-Programmen des Ministeriums nicht mit Teilen der Linkspartei kooperieren dürfen. Zwar sei die Kooperation mit der Linkspartei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wohl aber die mit den Untergliederungen Kommunistische Plattform und Sozialistische Linke. Das geht aus einem neuen Erläuterungsblatt des Ministeriums hervor, das der umstrittenen "Demokratieerklärung" des Ministeriums beigelegt wird. [4]

Anmerkungen:

[1] http://prekaer.info/index.php/debatte/interview/6531-bundestag-gegen-streichung-der-extremismus-klausel-linke-wirft-familienministerin-missbrauch-von-steuergeld-vor.html

[2] http://www.fr-online.de/politik/protestmails-an-die-ministerin/-/1472596/7137924/-/index.html

[3] http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/zahlungsstopp-fuer-projekte-gegen-rechtsextremismus-5841

[4] http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,739685,00.html

11. Februar 2011