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REPRESSION/1439: Justizmord, Isolationsfolter ... soziale Unterdrückung in US-Knästen (SB)



Ein häufig zu vernehmendes Argument zur Abwehr jeglicher Kritik am System der Todesstrafe in den USA lautet, daß im Iran oder in China weit mehr Menschen hingerichtet werden, ohne daß sich entsprechender Protest erhebe. Was die Apologeten der US-Justiz systematisch unterschlagen, ist der aggressive Charakter einer ideologischen Suprematie, die sich anderen politischen Systemen gegenüber als fortschrittlicher, freiheitlicher, demokratischer darstellt, um sich, angesprochen auf die eigenen Defizite, auf deren Ebene zu begeben. Wären die USA jener Leuchtturm zivilisatorischer Errungenschaften, zu deren Verteidigung sie angeblich Afghanistan und den Irak heimgesucht sowie in anderen Staaten einen unerklärten Drohnenkrieg führen, dann müßten sie auch an dieser Stelle humanistische Werte hochhalten, anstatt eine Vergeltungsjustiz zu betreiben, deren rassistische und sozialchauvinistische Stoßrichtung unübersehbar ist.

Der Justizmord an Troy Davis beruft sich auf die Totalität des Vollzugs, der seinen kafkaesken Wahn desto provokanter hervortreten läßt, als jeder auf Vernunft gründende Einspruch mit dem Delinquenten selbst eliminiert wird. Die Logik der kolonialistischen Kriegführung, über eine historische Wahrheit zu verfügen, deren zentraler Pfeiler die Überlegenheit des militärischen Gewaltapparates ist, findet in der Menschenschinderei des US-Justizwesens die adäquate Entsprechung zum sozialen Krieg, der die US-Gesellschaft auf immer brutalere Weise heimsucht. Es ist nicht damit getan, die Praxis der Todesstrafe unter dem Primat einer zivilisierten Rechtssprechung zu kritisieren, wenn diese auf einer Realität sozialer Verelendung und Unterdrückung beruht, die in der Menschenverachtung des US-Knastsystems ihren aggressivsten Ausdruck findet.

Das Urteil "lebenslänglich ohne vorzeitige Entlassung" (Life without parole), in das die ultimative Strafe der Hinrichtung häufig umgewandelt wird, ist seinerseits davon bestimmt, Rache zu üben, anstatt Tätern zuzugestehen, daß sie sich in vielen Jahren der Haft grundlegend verändern können. Einem Gefangenen die Hoffnung darauf zu nehmen, vor seinem Tode jemals wieder in Freiheit zu gelangen, bedeutet, ihn lebendig zu begraben. Und dies findet unter den besonders harten Haftbedingungen der SHU-Abteilungen ("Special Housing Unit") nicht nur im übertragenen, sondern wortwörtlichen Sinne statt.

Wie der von deutschen Medien so tief unter der Wahrnehmungsschwelle wie die Protestler selbst in ihren Hochsicherheitstrakten begrabene Hungerstreik kalifornischer Gefangener [1] belegt, ist sensorische Deprivation in US-Knästen nicht nur an der Tagesordnung, sondern langjähriges Programm der systematischen Zerstörung der Insassen dieser Betonsärge. Am heutigen Montag, dem 26. September, wollen die Insassen der SHU-Abteilungen in den Staatsgefängnissen Pelican Bay und Calipatria den Hungerstreik wieder aufnehmen, der im Juli fast vier Wochen unter Beteiligung von bis zu 6600 Insassen währte.

Eingestellt wurde er aufgrund vorgeblicher Zugeständnisse der Strafvollzugsbehörde California Department of Corrections & Rehabilitation (CDCR), die sich nicht nur als haltlos erwiesen, sondern im Gegenteil in Schikanen gegenüber Gefangenen mündeten, die sich an dem Hungerstreik beteiligten. Laut jüngsten Berichten [2] aus Pelican Bay traktieren die Gefängnisverwaltungen die Insassen in Vorbereitung auf den angekündigten zweiten Hungerstreik mit besonders repressiven Maßnahmen, um es gar nicht erst zu der für sie unangenehmen Thematisierung der folterartigen Haftbedingungen kommen zu lassen.

Wenn die allgemeine Empörung über die Hinrichtung von Troy Davies mehr gewesen sein soll als ein oberflächlicher moralischer Reflex, der vom Normalfall politischer und sozialer Unterdrückung in den USA ablenkt, dann sollte die umfassende Unterstützung der Proteste gegen Isolationsfolter und andere menschenfeindliche Praktiken in den kalifornischen Knästen wie allen anderen Hochsicherheitstrakten und Gefängnissen der USA dieses Mal auch für bürgerliche Medien selbstverständlich sein.

Fußnoten:

[1 ] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/polm1353.html

http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/repr1430.html

[2] http://prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com/2011/09/23/gearing-up-for-round-2-of-hunger-strike-cdcr-threatens-strikers/

26. September 2011