Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1467: Im Schatten der "Freiheit" ... letzte Verteidigungslinie Aktenvernichtung (SB)




Die Notbremse zu ziehen und Akten just in dem Moment zu schreddern, in dem sie gebraucht werden, läßt eigentlich nur einen Schluß zu - der dabei zu erwartende Schaden ist geringer als derjenige, der entstände, wenn der Inhalt der fraglichen Dokumente bekannt würde. Da die sieben beseitigten Aktenordner Informationen über die Aktivitäten von V-Leuten im Thüringer Heimatschutz, dem sozialen und politischen Umfeld der Terrorzelle NSU, enthielten, ist verständlich, daß Politiker aller Couleur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich entsetzt über das Ausmaß an Fehlern und Pannen, an Inkompetenz und Schlamperei zeigen. Die Rhetorik der Empörung ist allemal verträglicher, als die rote Linie der Mutmaßung über eine aktive Begünstigung der von den NSU-Terroristen begangenen Morde durch den Inlandgeheimdienst zu überschreiten, obwohl ein solcher Verdacht mit diesem Akt systematisch erzeugter Amnesie in Anbetracht bereits bekanntgewordener Ungereimtheiten [1] naheliegender denn je wird.

Der gewichtige Unterschied zwischen leichtfertig erhobenen Bezichtigungen gegen sogenannte Terrorverdächtige und Überlegungen zu möglichen Geheimdienstmanövern im Sinne einer "Strategie der Spannung" besteht darin, daß es sich bei ersteren um das Ergebnis einer langfristig vollzogenen, den geostrategischen und gesellschaftspolitischen Erfordernissen eines Staates zuarbeitenden Feindbildproduktion handelt, während letzteres diejenigen Akteure betrifft, die als Schwert und Schild dieses Staates verantwortlich zeichnen für die unter dem Titel des "Extremismus" vollzogene Vorverurteilung nach Recht und Gesetz unbescholtener Menschen. Die Arbeit der Geheimdienste findet in eben jener verfassungsrechtlich unbestimmbaren Grauzone der Prävention statt, die den von ihnen observierten und manipulierten "Extremisten" auch dann zum Verhängnis werden kann, wenn sie tatsächlich nichts Illegales planen. Wie mehrere Fälle in jüngerer Zeit belegen, ist man in den USA längst dazu übergegangen, die Erwirtschaftung repressiven Handlungsbedarfs in die eigenen Hände zu nehmen, indem Agenten des FBI leicht zu beeinflussende Personen zur Vorbereitung von Terroranschlägen verführen oder sie zumindest in Situationen manövrieren, in denen dieser Eindruck entsteht.

Die der Geheimexekutive bei der Observierung angeblicher Staatsfeinde zugestandene Einschränkung demokratischer Grundrechte greift dem Rechtsschutz vermeintlicher Terrorverdächtiger vor, weil dieser Aktivitäten ermöglicht, die nicht im Sinne des Kartells aus Staats- und Kapitalmacht sind. Dieser als "wehrhafte Demokratie" legitimierten Ermächtigung ist mithin inhärent, was sie angeblich zu verhindern sucht. Die daraus resultierenden Widersprüche kann man in der NSU-Affäre auf eine Weise studieren, die dazu geeignet wäre, die Unvereinbarkeit institutionalisierter Formen des Staatsnotstands mit der beanspruchten Kohärenz verfassungsrechtlicher Grundlagen an den Rand allgemeiner Akzeptanz zu treiben.

Es ist daher nicht etwa eine besondere Tugend des Bundesinnnenministers Jörg Friedrich, wenn er sich angesichts des Scherbenhaufens im Bundesamt für Verfassungsschutz besonnen gibt, wie etwa Spiegel Online [2] lobt. Das Gebot der Stunde, nun nichts zu übereilen, ist vielmehr der Möglichkeit geschuldet, unter dem unmittelbaren Eindruck des Eklats politische Forderungen durchzusetzen, die auf eine deutliche Schwächung des zusehends geheimpolizeiliche Strukturen aufweisenden Sicherheitsapparats hinausliefen. Auch wenn die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste auch jetzt kaum durchzusetzen ist, so könnte doch der Rückbau im Rahmen des Terrorkriegs geschaffener Strukturen erfolgen, die das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei ebenso durchlöchern wie die informationelle Selbstbestimmung der Bürger. Insbesondere die Abschaffung des V-Leute-Unwesens stände in diesem Zusammenhang zur Disposition, hat sich doch in der NSU-Affäre wie bereits beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gezeigt, daß sich die staatliche Einflußnahme auf rechte Strukturen nicht auf deren Alimentierung beschränkt.

So ist es nicht nur die Frage nach dem Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, die in aller Ruhe überlegt sein will. Es gilt, systematisch abzuwettern, was bei immer mehr Bundesbürgern den Verdacht nähren könnte, mit den Geheimdiensten habe man den Bock zum Gärtner gemacht. Friedrich hat denn auch instinktsicher erkannt, daß das "eigentlich Schlimme an der ganzen Geschichte" darin bestehe, "dass durch diesen Vorgang natürlich jetzt alle möglichen Theorien und jeder da seine Verschwörungstheorien in die Welt setzen kann" [3]. Wie gut, daß alle Welt weiß, daß es so etwas wie Verschwörungen gar nicht geben kann, weil unter demokratischen Verhältnissen alle Entscheidungsprozesse transparent und kontrolliert verlaufen. Womit man wieder am Anfang der Überlegung stände, daß die "Feinde der Freiheit", die diese geordneten Verhältnisse unterlaufen, mit den eigenen Waffen zu schlagen wären, man also im Reich der Schatten operieren müsse, um das Licht der Freiheit zu verteidigen. Der Widersinn dieser Argumentation ist nicht nur strukturellen Defiziten des Verfassungsstaates geschuldet, sondern Ausdruck der durch ihn legitimierten Gewaltverhältnisse.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1466.html http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0109.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/innenminister-friedrich-will-verfassungsschutz-reformieren-a-842274-druck.html

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1800973/

3. Juli 2012