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REPRESSION/1469: Zug um Zug zum deutschen Heimatschutzministerium (SB)




Das deutsche Heimatschutzministerium kommt - zumindest wenn es nach dem Willen maßgeblicher Protagonisten einer perfektionierten inneren Sicherheit geht. Angesichts einer an ihre Grenzen stoßenden und allenfalls befristet in die Zukunft zu streckenden kapitalistischen Verwertungsordnung in den Parametern marktliberaler Ideologie ist die Qualifizierung der Verfügungsgewalt zugunsten eines repressiven Regimes auf bislang kaum geahnten Niveau die zu prognostizierende Antwort. Den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse präventiv zu sichern gegen das aus Verzweiflung geborene Aufbegehren wachsender Teile einer verelendenden Bevölkerung bedarf einer Bündelung aller Zwangsmittel und deren Entkopplung von gewaltengeteilten Hemmnissen.

Die aus Perspektive des staatlichen Gewaltmonopols zweifellos faszinierenden Möglichkeiten des US-Heimatschutzministeriums liefern die Schablone für ein bundesdeutsches Pendant, das zu planen, durchzusetzen und aufzubauen freilich eines gewissen Fingerspitzengefühls bedarf, will man nicht vorzeitig schlafende Hunde wecken. Schließlich sind jahrzehntelang gepredigte Lehren aus der deutschen Vergangenheit nicht so spurlos am sogenannten Bewußtsein der Öffentlichkeit vorübergegangen, als daß man den Übergang in ein postdemokratisches Regime jenseits des traditionellen Rahmens der Rechtsstaatlichkeit leichterdings vollziehen könnte. Der Mensch - noch nicht restlos gebändigt und fugenlos in das Raster unausweichlichen Handelns gezwungen, von seinesgleichen nicht vollständig isoliert - bleibt ein Unsicherheitsfaktor für den Menschen, der über ihn herrschen will.

Viel haben die Heimatschützer in spe indessen bereits erreicht. So baut die Bundeswehr aus Reservisten mit geeigneten Qualifikationen bereits eine Heimatschutztruppe auf, die der kommenden Hungerrevolte den Rang ablaufen soll [1]. Diese Strategie dient einer zügigen Militarisierung der Gesellschaft und nimmt diese mit dem Einsatz regulärer Bundeswehreinheiten von der einen und speziell ausgebildeten Reservistenverbänden von der anderen Seite in die Zange. Gefragt sind insbesondere Kenntnisse und Fertigkeiten, über die die Bundeswehr bislang nicht oder nicht in ausreichendem Maße verfügt, von der brüchigen Akzeptanz ihres Inlandseinsatzes ganz zu schweigen.

Unterdessen arbeiten sich Politik und Medien atemlos an der NSU-Affäre ab, die sich längst zum Treibriemen einer umfassenden Geheimdienstreform ausgewachsen hat. Zuerst mußte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Hut nehmen, dann folgte ihm Thüringens Verfassungsschutzchef Thomas Sippel in den vorläufigen Ruhestand. Nordrhein-Westfalens Verfassungsschutzchefin Mathilde Koller bat angeblich aus persönlichen Gründen um ihre Versetzung in den Ruhestand, nun hat es in Sachsen ihren Amtskollegen Reinhard Boos erwischt [2]. Sie wurden dem zweigleisigen Zweck geopfert, einerseits die Zusammenarbeit des Staates mit der Neonaziszene an den brisanten Stellen zu verschleiern und andererseits nicht nur vorgeblich der Aufklärung Genüge zu tun, sondern das angekündigte Ausmisten der Ställe in deren Bündelung zum Heimatschutz zu überführen.

Wer immer einen besseren Verfassungsschutz fordert - und von wenigen Ausnahmen abgesehen stoßen alle in dieses Horn - gießt Wasser auf die Mühlen eines vereinheitlichten Geheimdienstes, der sich nahtlos mit den anderen Sicherheitskräften verschränkt. Solange sich die Empörung über Versäumnisse, Pannen und persönliche Unzulänglichkeiten im Kreis dreht, um die gezielte Indienstnahme und Aussteuerung der rechten Szene auszublenden und zu leugnen, ist alles im Lot. Die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern, kommt den wenigsten über die Lippen, und noch weniger die sich zwangsläufig daran anschließende Frage, wie man's denn mit dem übrigen Staatsapparat hält. Man müsse das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz wiederherstellen, lautet denn auch der partei- und flügelübergreifende Konsens, auf den man sich in flammenden Appellen, gerade noch rechtzeitig abgebrochenen Recherchen und rechtschaffenem Bürgerprotest einschwört.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast fordert einen Austausch großer Teile des Personals in den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern, da unter den Mitarbeitern "eine Illoyalität gegenüber ihren Vorgesetzten und dem Staat" herrsche. Ein solcher Schub ausposaunter Staatshörigkeit ist Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gewiß nicht unrecht, der allerdings ein weniger kopfloser Umbau der Behördenstrukturen vorschwebt. Wie sie verlangt, müßten "Behördenstruktur und Aufgabenverteilung der Verfassungsschutzämter (...) bis in jeden Blickwinkel ausgeleuchtet werden". Informationen würden nicht innerhalb einer Verfassungsschutzbehörde, sondern erst recht zwischen den Verfassungsschutzämtern unzureichend kommuniziert. "Die Zahl der Behörden muss deutlich reduziert werden", forderte die Ministerin.

Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will den Verfassungsschutz effizienter machen, doch lehnt er Forderungen nach einer Verkleinerung der Behörde entschieden ab. Es gehe darum, den Verfassungsschutz zu modernisieren, wofür sowohl personelle Veränderungen als auch organisatorische Neuzuschnitte denkbar seien. "Wichtig ist, dass der Verfassungsschutz effizienter wird, und zwar auch über die Bund-Länder-Ebene hinweg. Das ist der eigentliche Auftrag. Es geht nicht um Quantität".

Nachdem der Bundesinnenminister klargestellt hat, daß man sich eine Verkleinerung des Geheimdienstes aus dem Kopf schlagen könne, steht ihm Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger mit dem Vorschlag zur Seite, die Transformation mit sozialdemokratischer Hilfe geschmeidig und reibungsarm über die Bühne zu bringen: "Wir brauchen einen leistungsfähigen Verfassungsschutz, der für aktuelle Herausforderungen gewappnet ist. Aber genauso wichtig ist seine gesellschaftliche Akzeptanz" [3]. "Wir müssen den Verfassungsschutz mehr als bisher als gesellschaftliches Frühwarnsystem nutzen", fordert Jäger. Seine Schlagkraft hänge davon ab, daß er Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft frühzeitig erkennt. Er müsse insbesondere in der Lage sein, sich auf das geänderte taktische Verhalten der Feinde der Demokratie einzustellen. "Ein Verfassungsschutz, der alles können soll, aber nichts darf, funktioniert nicht."

So wird mit vereinten Kräften Zug um Zug ein zentralisierter Inlandsgeheimdienst mit neu definierten Kompetenzen gezimmert, den man den Bundesbürgern wie die einzig plausible Quintessenz des leidigen NSU-Skandals ans Herz legt. Das Mißverständnis, mit Sicherheit sei ihre Existenz in Würde und Wohlstand gemeint, verkehrt der Sicherheitsstaat in ihr Verhängnis, sollten sie eines Tages darauf verfallen, dem Schwund ihrer Lebensmöglichkeiten streitbar die Stirn zu bieten.



Fußnoten:

[1] http://www.youtube.com/watch?v=0oMDVouDMY0

[2] http://www.spiegel.de/panorama/nsu-ermittlungspanne-sachsens-verfassungsschutzchef-tritt-zurueck-a-843847.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/verfassungsschutz-reform-kuenast-fordert-austausch-vieler-mitarbeiter-11820233.html

14. Juli 2012