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REPRESSION/1474: Verfassungsschutzreform - Perfektionierung des Sicherheitsstaats (SB)




Die mit Macht vorangetriebene Reform des Verfassungsschutzes schickt sich an, das klandestine Wirken des Inlandsgeheimdienstes in den Rang eines gesellschaftlich präsenten und weithin akzeptierten Werkzeugs überwachungsstaatlicher Zugriffssicherung zu überführen. Es geht um nichts weniger, als diffuses Unbehagen, konkrete Ängste und fundierte Kritik an einer Observierung privatester Sphären und intimster Ansprüche eigener Gesinnung aus dem Feld zu schlagen. Der negativ konnotierte Sammelbegriff "Schlapphüte", worunter man all jene ausforschenden Übergriffe subsumierte, die man intuitiv oder dezidiert ausgewiesen als feindliches Eindringen entschieden zurückwies, hat ausgedient. An seine Stelle tritt ein im Feuer allseits geforderter Effizienz geläuterter Behördenapparat, der Geheimdienstarbeit nicht nur wirksamer macht, sondern auch legalistisch als unanfechtbares Instrument zur präventiven Sicherung der herrschenden Verhältnisse festzurrt.

Die entscheidende Weichenstellung wurde frühzeitig vorgenommen und ist längst in den Rang einer unhinterfragbaren historischer Faktenlage erhoben worden. Der Konsens, wonach der Verfassungsschutz kläglich versagt habe, weil ihm in einer als unerklärlich mystifizierten Serie von Pleiten und Pannen das jahrelange Morden, Bomben und Rauben des Nationalsozialistischen Untergrunds entgangen sei, schneidet apodiktisch alle anderen Bewertungen ab. Ginge man dem Verdacht nach, es könne sich um eine Indienstnahme und Lenkung der neonazistischen Szene gehandelt haben, stieße man auf eine Staatsräson, die beträchtliche Schnittmengen mit dem Konglomerat nationalistischer, rassistischer und repressiver Bestrebungen am rechten Rand des politischen Spektrums aufweist. Damit drängte sich geradezu die Forderung auf, auch den Verfassungsschutz selbst als Totengräber demokratischer Rechtsstaatlichkeit abzuschaffen.

Das Gegenteil ist der Fall, stimmt man doch aus voller Brust in den Ruf nach einem perfekten Inlandsgeheimdienst ein. Die Rede ist von einem effektiveren Einsatz der Sicherheitsbehörden, einer funktionierenden Zusammenarbeit der Dienste samt Einbindung der Polizeien, einer griffigen Informationsbeschaffung vor Ort, einer flüssigen Weiterleitung aller Erkenntnisse, einer besseren personellen Ausstattung der Dienststellen, einer fundierten Schulung des Personals - kurz einem entuferndem Arsenal sicherheitsstaatlicher Konzentration.

Wenn das heutige Spitzentreffen der Innenminister von Bund und Ländern zur Reform des Verfassungsschutzes den Eindruck erweckt, es handle sich um ein parteipolitisches Gezerre um künftige Kompetenzen, so ist der große Bogen dieses Vorhabens doch längst vorgespannt. Wie in einem Laborversuch, dessen gewünschtes Resultat vorab konzeptionell festgelegt ist, arbeiten sich die beteiligten Akteure und Fraktionen heftig aneinander ab, um in diesem Prozeß ein praktikables Verfahren zusammenzuschustern, das sich administrativ umsetzen läßt. Vordergründige Achse der Debatte ist die Aufteilung der Zuständigkeit zwischen Bundes- und Länderebene, also stärkere Zentralisierung des Verfassungsschutzes versus Weiterführung der 16 Landesämter wie bisher. Kontrovers diskutiert werden verschiedene Vorschläge, die Landesämter in gewissem Umfang zusammenzulegen.

Vom Hauen und Stechen um Gelder, Pfründe und Einflußnahme sowie der üblichen parteipolitischen Profilierung abgesehen geht es natürlich um mehr als eine formale Strukturreform. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich macht sich für eine Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz stark, das künftig allein für den "gewaltbereiten Extremismus" zuständig sein soll. Demgegenüber sollen die Landesämter nach seinen Vorstellungen die als legal klassifizierten Parteien, Organisationen und Bestrebungen überwachen. Daß Friedrich in diesem Zusammenhang von "gewaltbereiten oder gewaltgeneigten Extremisten" sowie "extremistischen Bestrebungen ohne Gewaltbezug" spricht [1], zeugt von einer veritablen Ausweitung der Feindbilddefinition.

Der Bundesinnenminister will das bei der Abwehr "islamistischer Terrorgefahren" erprobte Prinzip der gemeinsamen Abwehrzentren aller Sicherheitsbehörden auf sämtliche Arbeitsbereiche des Verfassungsschutzes ausdehnen. Vergleichbare Zentren sollen demnach auch für Spionage, Sabotage, Linksextremismus und Cyberkriminalität geschaffen werden. Auch möchte er die Überwachung nicht mehr an Organisationen festmachen, weil diese sich rasch ändern können, sondern an Personen und spezifischen Fällen. Dies öffnet einer Bezichtigung des einzelnen Menschen Tür und Tor, die nicht länger an inkriminierte Zusammenhänge gekoppelt ist. Schon im Juli hatten sich die Innenminister der Union auf ein Reformpapier verständigt, dem zufolge die Speicherfristen einschlägiger Daten von fünf auf fünfzehn Jahre verlängert werden sollen, wobei der Ausbau des "Nachrichtendienstlichen Informationssystems" der Verfassungsschützer zu einem Datenverbund vorgeschlagen wird. Einig ist man sich auch darüber, daß der Einsatz von V-Leuten nicht etwa beendet, sondern vielmehr zentral erfaßt und gesetzlich geregelt werden soll.

Daß von einer parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste auch künftig keine Rede sein kann, folgt schon aus dem unauflösbaren Widerspruch zwischen dem vorgehalten Anspruch auf Geheimhaltung und einer davon ausgeschlossenen Öffentlichkeit. So dürfen die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums mit niemandem über ihre Erkenntnisse sprechen, wovon auch die Fraktionsvorsitzenden nicht ausgenommen sind. [2] Als die Innenminister der Union in ihr Reformpapier schrieben, der Verfassungsschutz müsse sich "an den Prinzipien Offenheit, Transparenz und Kooperation orientieren", hatten sie gewiß nicht das Interesse der Bevölkerung im Sinn, im Geiste dieser Maßgaben größeren Einblick in das Treiben des Inlandsgeheimdienstes zu bekommen. Offen, transparent und kooperativ wünscht man sich vielmehr das Zusammenwirken der Dienste und Dienststellen bei der Überwachung der Bürger, wozu es die Ärmel hochzukrempeln gilt: "Eine Reform mit echten harten Konsequenzen, die die Realität des Verfassungsschutzes grundlegend verändern", fordert SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, während Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die "Kraft zu einem beherzten Umbau der Sicherheitsarchitektur" beschwört: "Wer nur die Möbel umstellt, baut das Haus nicht um." [3] Daß das nicht Verheißungen, sondern Drohungen an die Adresse widerständiger Gesinnung jedweder Couleur sind, sollte nicht überraschen.

Fußnoten:

[1] http://www.fr-online.de/politik/innenminister-treffen-friedrich-will-verfassungsschutz-zentralisieren,1472596,16986488.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1851398/

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/verfassungsschutz-justizministerin-attackiert-friedrichs-reformplaene-11870610.html

28. August 2012