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REPRESSION/1479: Nie sollst du mich befragen - Schäuble brüskiert NSU-Untersuchungsausschuß (SB)




"Mein Name ist Wolfgang Schäuble. Ich bin 70 Jahre alt und von Beruf Anwalt." [1] Mit diesen Worten eröffnete der Zeuge seinen Vortrag vor dem NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags, in dem er dessen Vorsitzenden Sebastian Edathy maßregelte, das Gremium ad absurdum führte und nicht zuletzt die mediengenerierte Öffentlichkeit in herrischem Gestus aufs Glatteis kühl kalkulierter Desinformation führte. Indem der amtierende Finanzminister wie schon im Jahr 2000 vor dem Untersuchungsausschuß zur Parteispendenaffäre unmißverständlich deutlich machte, daß er keine parlamentarische Pseudogerichtsbarkeit über sich dulde, fixierte er den dienstbereiten Blick einer zahnlosen Presse leichterdings auf seine Selbstdarstellung.

Würde Schäuble lediglich schlechte Laune zur Schau stellen, sich mit dem Ausschußvorsitzenden ein hitziges Wortgefecht liefern oder gar sein Gegenüber niederbrüllen wie vor zwei Wochen den SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs im Haushaltsausschuß? Wo auf der nach oben offenen Schäuble-Skala das Treffen anzusiedeln sei, schien die einzig maßgebliche Frage zu sein, für die sich die Mainstreammedien interessierten. Lange schon reklamiert der CDU-Minister eine Sphäre für sich, in der ihm keiner das Wasser reichen kann. Sich Feinde zu machen, ist folglich sein geringstes Problem, wenn er die Klaviatur der Einschüchterung zur Durchsetzung seiner nüchtern abgewogenen Absichten bedient.

Daß die Mord- und Bombenserie des Nationalsozialistischen Untergrunds nur aufgrund einer Pannenserie in mehreren Landesämtern des Verfassungsschutzes möglich gewesen sei, ist längst festgezurrter Konsens, der in der Konsequenz auf eine noch effektivere Arbeit des Inlandsgeheimdienstes wie auch die letztendliche Zusammenführung der Sicherheitsbehörden hinausläuft. Mit der offiziösen Übereinkunft, es habe sich um ein gravierendes Versagen gehandelt, das möglicherweise bis tief hinein in Kreise der Politik reiche, ist jeder Verdacht gezielter Duldung, Steuerung und Instrumentalisierung neonazistischer Umtriebe schon im Vorfeld niedergeschlagen, sind Ermittlungen in dieser Hinsicht nicht zu erwarten, werden selbst journalistische Recherchen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - de facto ausgeschlossen.

Schäuble war von 2005 bis 2009 Bundesinnenminister in der Großen Koalition, währenddessen der NSU drei seiner insgesamt zehn Morde an Migranten und einer Polizistin beging. In einem 15minütigen Vortrag ohne Manuskript wies der Minister jede Mitverantwortung für die sogenannten Ermittlungspannen entschieden von sich: "Ich kann nichts erkennen, was mich in irgendeiner Weise belasten würde." [2] Er habe sich nicht als oberster Polizist des Landes verstanden, da ein Minister in der Regel nicht in Einzelentscheidungen seiner Behörde eingreife, sondern Führungsaufgaben übernehme: "Deswegen bin ich mit diesen schrecklichen Morden amtlich nur sehr marginal befasst gewesen", erklärte Schäuble, ohne näher darauf einzugehen, was genau er mit "marginal" meinte.

Weiter behauptete der Zeuge, die Bitte des Bundeskriminalamtes von 2006, die Ermittlungen übernehmen zu dürfen, sei nicht bis zu ihm vorgedrungen. Auf Nachhaken Edathys, ob er diese Entscheidung zu verantworten habe, erklärte Schäuble: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir so ein Vorschlag gemacht worden wäre." Wäre er ihm aber gemacht worden, hätte er ihn abgelehnt. Damit widersprach Schäuble der Aussage seines ehemaligen Innenstaatssekretärs August Hanning, der im November das Gegenteil angegeben hatte. Daß der Untersuchungsausschuß angesichts dieser bedeutsamen Ungereimtheit entschieden bei Schäuble nachgefaßt hätte, ist nicht bekannt.

Dabei hatten sich die Fraktionsgruppen noch vor Beginn der Ausschußsitzung darauf verständigt, daß die Frage von wesentlicher Bedeutung und daher zu klären sei, warum das BKA die Ermittlungen seinerzeit nicht übernommen und gebündelt hatte. Rückendeckung bekam Schäuble von Unions-Obmann Clemens Binninger. Wie dieser argumentierte, hätte angesichts der Erkenntnisse aus den Akten auch das BKA nach einer Übernahme der Ermittlungen nicht in Richtung Rechtsextremismus ermittelt. "Man hätte also zwar die Pferde im Galopp gewechselt, man wäre aber weiter in die falsche Richtung geritten." Damit sprach er Schäuble von aller Verantwortung frei und beharrte auf einer Verortung von Fehlern bei niedrigeren Chargen.

Brisant war zudem die Frage, warum Schäuble im Jahr 2006 beim Verfassungsschutz die Abteilungen Linksextremismus und Rechtsextremismus zusammenlegen ließ, während gleichzeitig eine neue Abteilung zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus gegründet wurde. Wie der Zeuge dazu erklärte, habe die Zusammenlegung der beiden Extremismusabteilungen, die offenbar mit einem Stellenabbau verbunden war, "keine Geringschätzung" der Themen dargestellt. Vor der damaligen Fußballweltmeisterschaft habe man jedoch den islamistischen Terror "als besonders starke Bedrohung der Sicherheit empfunden" und ein zweites München um jeden Preis verhindern wollen.

Mehr hatte Schäuble dem Ausschuß nicht zu sagen, denn emotional in Szene gesetzte Krokodilstränen wie jene des ehemaligen bayerischen Innenministers Günther Beckstein sind seine Sache nicht. In ihrer Allgemeinheit eher hilflos anmutende Fragen Edathys, ob dem Rechtsextremismus genug Beachtung geschenkt worden sei, schmetterte der Finanzminister mit beißender Ironie ab: "Herr Vorsitzender, Sie fragen mich nach meiner Meinung. Ich wollte Ihnen mit meinem Erinnerungsvermögen helfen, den Untersuchungsauftrag zu erfüllen." Nach damaliger Einschätzung seien die Taten nicht rechtsextremistisch motiviert gewesen. Als Edathy dennoch nicht lockerlassen wollte, ließ Schäuble ihn vollends abblitzen: "Ich bin Zeuge in einem Untersuchungsausschuss und nicht in einer Koalitionsverhandlung. Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen eine politische Debatte zu führen." [3]

Auch die anderen Obleute bissen sich an diesem Zeugen ihre ohnehin stumpfen Zähne aus. "Es müssen Fehler gemacht worden sein, Herr Schäuble", wandte die SPD-Abgeordnete Eva Högl ein. "Haben Sie sich mal gefragt, welche Fehler Sie gemacht haben?" Alle Menschen machten Fehler, wies Schäuble das Ansinnen, er solle sich wenigsten ein ganz klein wenig reumütig zeigen, brüsk zurück. Als weitestgehende Konzession während der gesamten rund zweistündigen Anhörung räumte der Minister vage ein, er habe schon darüber nachgedacht, was man hätte besser machen können.

Mit kaum zu überbietender Arroganz schützte er gleichgültig vor, er habe die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses nur in den Medien verfolgt und sich nicht vorbereitet. Selbst der Name der "Frau, die da verstrickt" ist, fiel ihm angeblich nicht ein, so daß sein Parteikollege Binninger eilfertig "Zschäpe" soufflieren mußte. So erklärte sich der Zeuge Schäuble rundum für nicht zuständig und faßte seine Haltung in den Worten zusammen: "Ich muss nicht unbedingt hier sein."

Wer das Gaudium delektiert, die NSU mit behördlichem Versagen erklärt und weiterführende Fragestellungen als absurd verwirft, kann sich schon jetzt auf den Auftritt Otto Schilys freuen, der im März als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß gehört werden soll. Schily war von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister und teilt mit Wolfgang Schäuble die Überzeugung, daß es niemand gebe, der das Recht und die Kompetenz habe, ihn zu befragen.


Fußnoten:

[1] http://www.fr-online.de/neonazi-terror/nsu-ausschuss-wolfgang-schaeuble--der-unzustaendige,1477338,21119546.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/patziger-minister-schaeuble-laesst-nsu-ausschuss-auflaufen-a-873031.html

[3] http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article112034843/Mein-Name-ist-Schaeuble-und-ich-wusste-von-nichts.html

15. Dezember 2012