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REPRESSION/1480: Eigentor NPD-Verbot - Linke auf dünnem Eis (SB)




Wie ein Blick in die deutsche Geschichte lehrt, war das Parteiverbot in erster Linie eine Waffe gegen linke Organisationen und Bewegungen. Das galt für die Weimarer Republik, in der das Republikschutzgesetz, das die Auflösung politischer Vereinigungen erlaubte, fast ausschließlich gegen linke Gruppierungen angewendet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg lieferte das Verbot der kleinen rechtsgerichteten Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1953 den Präzedenzfall, um drei Jahre später die Kommunistische Partei zu zerschlagen. [1]

Im Jahr 2003 scheiterte das angestrebte NPD-Verbot, weil die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu dem Schluß gelangten, daß es sich bei dieser Partei "der Sache nach um eine Veranstaltung des Staates" handle. So war im Zuge des Verfahrens bekannt geworden, daß mindestens jeder siebte Funktionär der Partei auf den Gehaltslisten der Verfassungsschutzbehörden stand. Heute ist die NPD eine sterbende Partei mit allenfalls 3000 aktiven Mitgliedern, die sich nur deshalb finanziell über Wasser halten kann, weil ihr das Bundesverwaltungsgericht die Hälfte einer Millionenstrafe für einen fehlerhaften Rechenschaftsbericht erlassen hat.

Eine Linke, die wie selbstverständlich ein NPD-Verbot als vermeintlichen Teil des Kampfs gegen Rechts einfordert und unterstützt, muß sich daher die Frage gefallen lassen, ob sie damit nicht in zweifacher Hinsicht ihrem eigenen Verhängnis Vorschub leistet. Grundsätzlich sieht sie sich der ideologischen Gleichsetzung der "extremen Rechten und Linken" ausgesetzt, so daß jede repressive Maßnahme gegen Neonazis zugleich ein Exerzierfeld und Türöffner für die Anwendung gegen linke Gruppen und Organisationen sein kann. Die exzessive Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols zu feiern, wo sie ausnahmsweise neofaschistische Bewegungen trifft, ist daher mindestens kurzschlüssig, wenn nicht gar dem eigenen Drang zur bürgerlichen Mitte und der Abgrenzung gegen radikal linke Positionen geschuldet.

Trotz der offenkundigen Schwäche der NPD treiben vor allem SPD, Grüne und Linkspartei das Verbotsverfahren voran, während sich CDU und FDP gegenüber einem solchen Schritt eher zurückhaltend zeigen. Selbst Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger argumentiert bemerkenswert sachbezogen wenn sie warnt, daß im Falle eines Verbots der NPD deren Mitglieder problemlos in anderen rechtsextremistischen Organisationen unterkommen oder neue Gruppierungen ins Leben rufen können. Schenkt man dem Verfassungsschutzbericht Glauben, sind mehr als 22.000 Bürger in rechtsextremen Gruppierungen organisiert, die zumeist gefährlicher als die darniederliegende rechte Traditionspartei einzuschätzen sind. Wie die Ministerin schlußfolgert, komme man angesichts der Umtriebe einer Terrorzelle wie des NSU, der zehn Jahre lang ungehindert gemordet habe, mit einem Parteiverbot nicht weiter. Wenn eine Organisationshülle wegfalle, sei das noch lange kein entscheidender Schlag gegen den Rechtsextremismus. [2]

Im Zuge der Enthüllungen über den "Nationalsozialistischen Untergrund" treten unablässig neue Details der engen Verzahnung von Geheimdiensten und Polizei mit der Neonazi-Szene hervor. Die bislang bekannt gewordenen Erkenntnisse legen den Schluß nahe, daß die rechtsextreme Szene weitreichend vom Verfassungsschutz durchdrungen, in vielen Fällen gesteuert und mitunter sogar ins Leben gerufen worden war. Offenbar wurden die Anschläge, Banküberfälle und Morde des NSU unter den Augen staatlicher Stellen, möglicherweise sogar mit deren Unterstützung verübt. Wenn die Pseudokritik nicht weiter greift, als von Unfähigkeit, Pannen und persönlichen Verfehlungen in Kreisen des Inlandsgeheimdienstes auszugehen, dient das einem doppelten Zweck: Zum einen verschleiert man die Indienstnahme der Rechten durch staatliche Stellen, zum anderen fordert man einen effektiveren Sicherheitsapparat, der wirksamer überwacht, kontrolliert und Daten zusammenführt.

Wenn derzeit vor allem Stimmen aus dem konservativen Lager zu bedenken geben, daß ein zweites Verbotsverfahren gegen die NPD mit größter Sorgfalt vorbereitet werden müsse, ist das eine realistische Einschätzung der dabei zu überwindenden Hürden. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 1956 beim KPD-Verbot, daß eine Verfassungsfeindlichkeit der betreffenden Partei nicht ausreiche. Vielmehr müsse eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen. Die Partei müsse planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Sollte ein Verbotsantrag diese Hürde nehmen, müßte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Verbot beschäftigen, der unter anderem geltend machen dürfte, daß die betreffende Partei Chancen auf eine Machtübernahme haben müsse, was man von der NPD schwerlich behaupten kann.

Der gesamte Vorgang würde sich nach Einschätzung von Experten etwa fünf Jahre hinziehen - viel zu lang, wie viele Antifaschisten meinen, die nach der jahrelangen Zurückhaltung des Staates gegen die Rechten nun rasche Taten fordern und dabei augenscheinlich wenig Probleme mit einer Abkürzung des bislang üblichen Prozedere haben. So werden beispielsweise Forderungen laut, Parteien auch ohne Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufzulösen: Man müsse die NPD sofort verbieten, ihre Gelder und Büros beschlagnahmen und jede Versammlung im Ansatz beenden.

Ein solcher Ruf nach dem starken Staat übersieht nicht nur das dünne Eis, auf dem die Linke steht. Er fordert geradezu zur Beseitigung demokratischer Rechtsnormen auf und dient sich autoritärer Staatlichkeit an, als sei der vermeintliche Feind des Feindes plötzlich der beste Freund. Zu diesem Schluß kann nur kommen, wer den unmittelbaren Zusammenhang zwischen erstarkenden neonazistischen Umtrieben und der allgemeinen Rechtsentwicklung der Gesellschaft geflissentlich übersieht. Diskriminierung von Flüchtlingen und Migranten, Kampagnen gegen angeblichen Asylmißbrauch und antiislamische Offensiven zeugen von utilitaristischen und sozialrassistischen Formen der Herrschaftsausübung in einer Klassengesellschaft, die sich von der Linken unmöglich zur alleinigen Eindämmung der Rechten anspornen läßt.


Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/jan2013/npd-j09.shtml

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1477.html

11. Januar 2013