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REPRESSION/1504: Aufwachen aus dem Glauben an die eigene Unberührbarkeit! (SB)




Ilija Trojanow ist ein Autor, der sich seit jeher herausnimmt, politisch auf eine Weise Position zu beziehen, die sich nicht in die gesellschaftlich zugestandenen Reservate konsensoptimierter Kritik einhegen läßt. Als Mitinitiator eines von der Schriftstellerin Juli Zeh verfaßten Offenen Briefes [1], in dem Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu aufgefordert wird, etwas gegen die Überwachung der Bundesbürger durch den US-amerikanischen Nachrichtendienst NSA zu unternehmen, scheint er sich dort keine Freunde gemacht zu haben. Mit dem Verbot seiner Einreise in die USA, wo Trojanow einen Schriftstellerkongreß besuchen wollte, hat die Geheimexekutive ein Zeichen gesetzt, das ihr bestens zu Gesicht stände, wenn sie denn eins hätte. Da sie aus der Deckung eines undurchschaubaren Organs der US-Regierung heraus operiert und bislang keinerlei Auskünfte über die Gründe der Entscheidung erteilt hat, dem Autor trotz vorhandener Einreisedokumente auf einem Flughafen in Brasilien den Besuch der USA zu verwehren, statuiert sie ein weithin sichtbares Exempel ihrer sanktionierenden Gewalt.

Dabei kann der als Bürgerrechtler im angeblichen Land der Freiheit unwillkommene Trojanow froh sein, keinen Fuß auf US-amerikanisches Territorium gesetzt zu haben. Dort könnten ganz andere Maßnahmen ergriffen werden, unter denen ein stundenlanges Verhör nebst Ingewahrsamnahme bis zum Rückflug noch die geringsten Übel wären. Wer das Pech hat, aus nicht näher genannten und die damit vollzogene Vorverurteilung auf den Fuß bestätigenden Gründen als Terrorverdächtiger identifiziert zu werden, dem kann in den USA auch nach der Regierungszeit jenes Präsidenten, der die Verschleppung, Folterung und Freiheitsberaubung sogenannter illegaler feindlicher Kombattanten zu verantworten hat, noch Administrativhaft bei unangenehmen Aufenthaltsbedingungen blühen.

Nichts könnte die Relevanz des mittlerweile von fast 70.000 Menschen unterzeichneten Offenen Briefes an die Bundeskanzlerin also besser belegen als die demonstrative Einlösung dessen, was in ihm kritisiert wird. Dem solchermaßen zum Ausdruck gebrachten Primat unhinterfragbarer Staatsräson antwortet Trojanow im Interview mit dem Deutschlandfunk mit der Weigerung, über die Gründe des Einreiseverbots spekulieren zu wollen, "denn genau darum geht es ja, dass wir überhaupt keinen Einblick haben in die Arbeitsweise und in die Entscheidungsfindung dieser Behörden." [2] Man könnte auch von einer selbsterfüllenden Prophezeiung sprechen, wenn Geheimdienste tun, wofür sie geschaffen wurden - den sich Staat und Kapital nicht in vorauseilendem Gehorsam unterwerfenden Menschen spüren zu lassen, daß man ihn kennt, daß man ihn beobachtet und daß man ihn gegebenenfalls hart anfaßt.

Der unfreundliche Umgang mit einem bekannten deutschen Schriftsteller läßt ahnen, daß ein Zeichen gesetzt werde sollte, das selbst für den Fall, daß es zur Aufhebung des Einreiseverbots durch die diplomatische Intervention der Bundesregierung käme, seine Wirkung nicht verfehlen kann. Der Unberührbarkeit der globalen Geheimexekutive ist die Berührbarkeit ihrer Opfer gemäß, und das betrifft um so mehr all jene Menschen, die nicht in den Genuß der Fürsprache öffentlicher Personen und Institutionen gelangen. Dies gilt keineswegs nur für die USA, wie etwa die Terrorliste der EU zeigt, die gegen jedes rechtsstaatliche oder demokratische Prinzip verstößt, wenn sie angeblichen Mitgliederinnen und Mitgliedern als terroristisch bezeichneter Organisationen ohne jedes Gerichtsverfahren oder den Nachweis strafrechtlicher Vergehen auf der Basis nicht einsehbarer Geheimdienstinformationen elementare bürgerliche Rechte entzieht. Die Verfolgung mutmaßlicher Aktivistinnen und Aktivisten kurdischer, palästinensischer, islamistischer oder sozialrevolutionärer Organisationen in der Bundesrepublik basiert ebenfalls auf angeblichen Geheimdiensterkenntnissen. Diese können auch dann zu langjährigen Haftstrafen führen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie unter der Folter erbracht wurden.

Kommt in den bürgerlichen Medien im Fall Trojanows Empörung über das Verhalten des Bündnispartners auf, so schweigen sie sich über die politische Verfolgung von Menschen, die in der Bundesrepublik Schutz vor Willkür und Unterdrückung gesucht haben, im eigenen Land zuverlässig aus. Wenn Trojanow erklärt, von der Bundesregierung nicht zu erwarten, daß sie in seiner Sache tätig wird, weil sie in der NSA-Spähaffäre nichts unternommen habe, "um die offensichtlich beschädigten Rechte der eigenen Bürger in irgendeiner Weise zu verteidigen", weil sie "nicht einmal etwas Rhetorisches, nicht einmal ein Signal gesetzt, nicht einmal ein Zeichen der eigenen Würde und Unabhängigkeit gezeigt" [2] habe, dann rührt er an die hierzulande notorisch ignorierte Tatsache, nicht nur von US-amerikanischen Geheimdiensten überwacht und ausgeforscht zu werden, sondern einem transatlantischen Repressionsapparat unterworfen zu sein, dessen Sachwalter und Dienste einander weit näher stehen als der Bevölkerung ihres jeweiligen Landes.

Wer immer noch meint, dieser Gewalt nicht ausgeliefert sein zu können, weil er nichts zu verbergen habe, hat das Nachsehen, wenn er jäh aus dem seligen Schlaf vermeintlicher Unberührbarkeit gerissen wird. Der Absicht der panoptischen Staatsgewalt, ihre Präsenz so zu verinnerlichen, daß Unterwerfung nicht eigens erzwungen werden muß, ist der Ernstfall des strafenden Vollzugs immanent. Je mehr sich der davon Betroffene auf die Garantien rechtsstaatlichen Schutzes verläßt, anstatt die soziale Opposition gegen Staat und Kapital zu stärken, desto weniger kann er auf eine Solidarität bauen, die ihn davor schützt, dieser Willkür ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Wer glaubt, in sogenannten demokratischen Staaten gerieten Menschen nur selbstverschuldet in die Fänge der Represssionsorgane, erklärt die eigene Beherrschbarkeit zur ersten Bürgerpflicht. Wird diese einmal gegen ihn in Anspruch genommen, dann erfolgt dies konsequenterweise in der Willkür des damit zementierten Gewaltverhältnisses.


Fußnoten:

[1] http://www.change.org/nsa

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2272418/

2. Oktober 2013