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REPRESSION/1536: Deutschland bleibt Akteur in Erdogans Krieg (SB)



Im Augenblick laufe auf dem Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik "alles richtig und gut" [1], bekräftigte Bundeskanzlerin Merkel am Freitag den Willen der Bundesregierung, diese Frontstellung nicht aufzugeben. In den Kriegen in Syrien, im Nordirak und in der Türkei selbst, wo die AKP-Regierung mehrere mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden bewohnte Städte im Südosten des Landes mit schweren Waffen fast vollständig zerstört hat, will die Bundesrepublik nicht abseits stehen. Schon aufgrund der NATO-Mitgliedschaft der Türkei ist sie praktisch mit ihr verbündet. Dabei gibt es Indizien dafür, daß Bildinformationen deutscher Tornados von der türkischen Militärführung für den Kampf gegen das kurdische Gebiet Rojava in Nordsyrien verwendet werden, und ohnehin werden Waffen aus deutschen Rüstungsschmieden nicht nur gegen den IS, sondern auch die von Ankara unterdrückte kurdische Freiheitsbewegung im eigenen Land wie in Nordsyrien eingesetzt. Fakt ist zudem, daß türkische Kampfflugzeuge und Panzer kurdischen Einheiten, die sich im Kampf gegen den IS befinden, in den Rücken fallen und damit objektiv zugunsten der islamistischen Milizen agieren.

Was immer hierzulande an Nachrichten über Menschen, die in der Türkei verhaftet und gefoltert werden, weil sie der Opposition gegen Präsident Erdogan angehören, bekannt wird, kann denn auch nur Anlaß für gespielte Empörung sein. Die Bundesrepublik ist mit der Türkei verbündeter Kriegsakteur, das betrifft die regionalen Auseinandersetzungen ebenso wie die politische Verfolgung in Deutschland lebender türkischer und kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten. So werden mutmaßliche Mitglieder der PKK hierzulande auf Anweisung des Bundesjustizministeriums als Terroristen vor Gericht gestellt und inhaftiert, nicht weil sie militante Aktionen in Deutschland durchgeführt oder zur Gewalt aufgerufen hätten, sondern schlicht aufgrund des sogenannten Organisationsstraftatbestandes nach Paragraph 129 b. Obwohl offenkundig ist, daß der Abbruch des Friedensprozesses in der Türkei von Erdogan provoziert wurde, um die kurdische Partei HDP im Wahlkampf unter die Zehn-Prozent-Hürde drücken und kriminalisieren zu können, besteht die Bundesregierung auf der politischen Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung.

Der Kovorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, wird ins Gefängnis geworfen, in Ankara wird die HDP-Fraktion systematisch durch Verhaftungen und Repressalien an ihrer parlamentarischen Arbeit gehindert, die türkischen Streitkräfte hungern ganze Städte der eigenen Bevölkerung aus, doch die Bundesregierung hält fest an der Bündnispartnerschaft mit Erdogan. Sie ist Akteurin auch bei der Verfolgung türkischer Kommunistinnen und Kommunisten, denen derzeit in München der Prozeß gemacht wird. Sie hindert Musikerinnen und Musiker der traditionsreichen linken Band Grup Yorum an der Einreise in die Bundesrepublik und verhindert so ihre von Tausenden Menschen besuchten Konzerte [3]. Warum also sollte sie einen Einwand geltend machen, wenn acht Grup Yorum-Mitglieder im Rahmen der allgemeinen Repressionswelle verhaftet werden, wie jetzt geschehen [4]? Im Zweifelsfall bekräftigt die Bundesregierung den gegen Grup Yorum erhobenen Vorwurf, sie betreibe Propaganda für die verbotene Partei DHKP-C.

Die gegen Kulturschaffende, Juristen, Journalisten und Mitglieder von Parteien und Institutionen gerichteten Verhaftungen werden von einem Gewaltregime verfügt, das die menschenrechtliche Fassade der sogenannten Wertegemeinschaft EU jeden Tag aufs neue strapaziert. Dies wird keinesfalls zugunsten der von Erdogan verräterischer Umtriebe bezichtigten Menschen ausgelegt. Anders herum wird ein Schuh daraus - mit jedem neuen Schritt exekutiver Ermächtigung in Ankara, den die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht explizit sanktionieren, gleicht sich ihr Erscheinungsbild dem der Türkei an.

Der Terrorvorwurf verfängt immer, das gilt auch für die Beschwerde Erdogans, die Bundesrepublik schone die PKK. Ob Außenminister und Bundespräsident in spe, Walter Steinmeier oder Bundesinnenminister Thomas de Maizière, so etwas will man sich keineswegs nachsagen lassen und zieht die Schraube der Repression deutlich an. Nun werden Aktivistinnen und Aktivisten mehr noch als bisher schon dafür drangsaliert, PKK-Symbole oder Bilder ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu zeigen. Wer Deutschland vorwirft, nicht hart genug bei der Verfolgung des Terrorismus vorzugehen, muß durch verschärfte Maßnahmen eines schlechteren belehrt werden. All dies erfolgt im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Legalität, die auf legalistische Formalien eingedampft zur Waffe der Exekutive bei der Durchsetzung der Staatsräson geworden ist.

Geht es um Journalistinnen und Journalisten, dann beziehen die Medien schon aus Eigeninteresse Position gegen deren Verfolgung und berichten ausführlich. Stehen linke Aktivistinnen und Aktivisten im Feuer staatlicher Repression, wird eher die Frage aufgeworfen, ob sie nicht aller sichtbaren autoritären Anmaßung zum Trotz doch zu Recht verfolgt und inhaftiert werden. Kurz gesagt, nicht nur die Bundesregierung ist Akteur in diesem Krieg, auch die Medien sind es auf mehr oder weniger direkte Weise. Sage später also niemand, man habe sich nicht vorstellen können, daß derartige Maßnahmen auch in der Bundesrepublik möglich seien. Nichts ist besser geeignet, um das Potential zu offener Unterdrückung oppositioneller Kräfte in Deutschland kenntlich zu machen, als die Billigung, Gutheißung und Unterstützung der politischen Verfolgung, der die türkische und kurdische Opposition durch die AKP-Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan ausgesetzt ist, durch die Bundesregierung.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/incirlik-debatte-bundeswehrstandort-steht-laut-merkel-nicht.447.de.html?drn:news_id=681926

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1531.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0290.html

[4] https://www.jungewelt.de/2016/11-25/001.php

26. November 2016


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