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REPRESSION/1545: Wer baut mit am starken Staat? (SB)



Wie der sprichwörtliche Elefant steht unübersehbar, doch tunlichst ignoriert, der Ausnahmezustand im Raum des deutschen Sicherheitsdiskurses. In seinem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière unter dem programmatischen Titel "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" Kurs angelegt und eine heftige Scheinkontroverse angestoßen, die einen wesentlichen Zweck umgehend erfüllt: Politiker (fast) aller Parteien und Journalisten (fast) jeder Couleur beteiligen sich vehement an der Diskussion, wie innere Sicherheit anders, besser und richtiger zu gewährleisten sei. Der islamistische Attentäter in Gestalt des Gefährders habe die Bundesrepublik ins Visier genommen, lautet das nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche nahezu widerspruchslos kommunizierbare Bedrohungsszenario. Wer jetzt noch wagt, den Schutz von Grund- und Bürgerrechten vor staatlichem Übergriff in den Mund zu nehmen, läuft Gefahr, der klammheimlichen Mittäterschaft bezichtigt zu werden.

Was hat der Bundesinnenminister, die Woge allgemeiner Verunsicherung reitend, zum Auftakt des Wahljahres 2017 in seinem Forderungspaket auf den Tisch geworfen? Nichts weniger als eine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Zentralisierung von Sicherheitskompetenzen auf Bundesebene zu Lasten der föderalen Struktur: Stärkung des Bundeskriminalamts (BKA), Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz, Ausbau einer "echten Bundespolizei". Darüber hinaus schlägt de Maizière eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber unter der Regie des Bundes vor, wofür "Bundesausreisezentren" in der Nähe von Flughäfen errichtet werden könnten. Um Deutschland und Europa krisenfest zu machen, halte er Neuordnungen für erforderlich, [1] belehrt er seine Landsleute im Duktus des administrativen Technokraten.

Hitzige Rangeleien um den Ball, den er aufs Feld des zu optimierenden Sicherheitsstaats gespielt hat, kann er getrost anderen überlassen, die sich gegenseitig im Versuch überbieten, mit innovativen Vorschlägen aufzuwarten, wie die stets unvollendete Gefahrenabwehr zu perfektionieren sei. So wartet Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, einer der Platzhirsche der schreibenden Zunft im Blätterwald, mit der affirmativen Übersprungshandlung auf, der Ansatz de Maizières sei richtig, gehe aber nicht weit genug. Prantl moniert die Vielzahl der Geheimdienste und anderer Behörden, die mit der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus' befaßt seien. Diese gehöre in eine einzige Hand, und das könne nur die Polizei sein. Würde dabei nicht die historische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz aufgeweicht? Prantl bezweifelt, daß diese Zweispurigkeit im Bereich des strafrechtlich relevanten Extremismus' tatsächlich nötig ist, und schlägt vor, den Bereich von Strafvorbeugung und Strafverfolgung auf die Polizei zu konzentrieren, beaufsichtigt von den Staatsanwaltschaften und der Justiz: "Dann würde das grosse Durcheinander noch besser geordnet als mit dem Vorschlag von de Maizière." [2]

Solche Schützenhilfe wird sich der Bundesinnenminister ebenso gern gefallen lassen wie Sigmar Gabriels Konzeptpapier "Zeit für mehr Sicherheit in Zeiten wachsender Unsicherheit", das der Vizekanzler fast zeitgleich unter anderem dem ARD-Hauptstadtstudio zugespielt hatte. Der SPD-Vorsitzende warnt davor, sich ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen zu konzentrieren, und plädiert dafür, auch den Zusammenhalt der Gesellschaft im Sinne von Kultur, sozialer Sicherheit und Bildung zu stärken. Während de Maizières Vorstoß als Hauptgericht in aller Munde ist, taucht Gabriels Vorschlag allenfalls als Sättigungsbeilage auf, die man gedankenlos mitverzehrt, solange sie den bevorzugten Geschmack nicht stört.

Andere Sozialdemokraten wie der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius regen sich künstlich über den Vorschlag einer stärkeren Zentralisierung der Sicherheitspolitik auf, da der Föderalismus gar nicht das Problem sei. Deutschland sei eines der sichersten Länder der Welt, die Strukturen hätten sich bewährt. Es fehle weniger an einem Austausch zwischen den Behörden, als an einer rechtlichen Handhabe dafür, "zu prüfen und zu wissen, wo jemand ist, den wir für gefährlich halten", und der Möglichkeit, ihn beispielsweise mit Hilfe einer elektronischen Fußfessel zu kontrollieren. Dringend erforderlich seien zudem gemeinsame Datenbanken als Grundlage länderübergreifender Zugriffsmöglichkeiten auch dann, wenn noch kein Strafverfahren eingeleitet ist, sowie eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene. Auch mache eine verstärkte Videoüberwachung insofern Sinn, als sie die Strafverfolgung erleichtere und daher auch eine abschreckende Wirkung haben könne. [3]

Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt verteidigt die Vorschläge des Bundesinnenministers. Sie deckten sich im wesentlichen mit den Vorschlägen ihrer Partei, die jedoch in vielen Bereichen noch konkreter geworden sei wie etwa bei der Verlängerung der Abschiebehaft oder einem zusätzlichen Haftgrund von Gefährdern. Jetzt sei allerdings nicht der Zeitpunkt, über eine Umstrukturierung nachzudenken. Es gehe vielmehr darum, gleiche Rechtsgrundlagen der Verfassungsschutzämter zu schaffen. Das eigentliche Problem bestehe darin, daß SPD und Grüne wesentliche Gesetzesvorhaben wie den Ausreisegewahrsam oder die Speicherung von Verkehrsdaten blockierten. [4]

In der euphorisierten Debatte um Recht und Ordnung in Zeiten der Anschlagsgefahr reißt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele die Diskutanten nicht gerade vom Hocker, wenn er anregt, man solle zuerst einmal einmal prüfen, ob die bestehenden Gesetze angewandt worden seien, was er bezweifle. Zudem rennt er mit seinem Vorschlag, die Kommunikationsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden in Europa untereinander besser zu nutzen, offene Türen ein. Die Linken-Politikerin Martina Renner kritisiert Thomas de Maizière als einen Trittbrettfahrer des islamistischen Terrors und hält ihm vor, er rede die Menschen in eine Notstandssituation hinein, die nicht existiere. Er liefere eine ganz neue Definition der Innenpolitik, denn wenn er vom starken Staat spreche, stelle er nicht mehr die Frage nach einer funktionierenden Gefahrenabwehr oder effektiver Strafverfolgung. Renner kennt sich als Mitglied im Innenausschuß, Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuß und ehemalige Obfrau im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuß recht gut in den Strukturen der Geheimdienste aus: Man wolle den Verfassungsschutz auf Bundesebene stärken, sei aber nicht bereit, die eigenen Versäumnisse aufzuarbeiten. Der Berlin-Attentäter Anis Amri war den Behörden als Gefährder bekannt, er wurde zeitweise überwacht, saß auch bereits in Abschiebehaft und konnte sich dennoch frei innerhalb Deutschlands bewegen. Weder sei eine geeignete Gefahrenprognose abgegeben worden, noch habe man die Daten richtig bewertet und polizeiliche Schlüsse daraus gezogen. Das nähre den Verdacht, die im Umfeld plazierten V-Leute hätten die Nachrichtengewinnung einer Intervention vorgezogen, so Renner. [5]

Ein Schelm, wer Böses dabei weiterdenkt! Klaus Remme vom Deutschlandfunk fiele das im Traum nicht ein, zieht er doch in seinem Kommentar mit den Worten Bilanz, dem Bundesinnenminister gehe es um die bestmögliche Abwehr gegen Bedrohungen einer ganz anderen Dimension. Es gehöre zu den Pflichten Thomas de Maizières, auf Schwachstellen in der Krisenbewältigung hinzuweisen. Wer ihn wie Politiker der Linkspartei als Trittbrettfahrer islamistischen Terrors bezeichne, habe alle Relationen verloren. Auch die Kritik Sigmar Gabriels, der Vorstoß des Innenministers komme zur Unzeit und sei in der Umsetzung zu langwierig, laufe ins Leere. Es sei doch besser, über diese Dinge vor dem nächsten Anschlag zu diskutieren und sie neu zu regeln als danach. [6] "Jetzt ist die Zeit!", titelt Remme sein Fazit, das de Maizières Frontalangriff auf die förderale Struktur als Erhabenheit einer neuen Architektur der inneren Sicherheit preist.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/vorschlaege-des-innenministers-zur-sicherheitsstruktur-mehr.1818.de.html

[2] http://www.srf.ch/news/international/deutsche-bundeslaender-fuerchten-um-ihre-geheimdienste

[3] http://www.deutschlandfunk.de/zentralisierung-der-sicherheitspolitik-nicht-gerade-das.694.de.html

[4] http://www.deutschlandfunk.de/umstrukturierung-der-sicherheitsbehoerden-eine.694.de.html

[5] http://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-innere-sicherheit-trittbrettfahren-auf-den.694.de.html

[6] http://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-innere-sicherheit-jetzt-ist-die-zeit.720.de.html

4. Januar 2017


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