Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1558: Exekutives Krisenmanagement verlangt nach neuen Strafnormen (SB)



Warum den kritischen Blick in die Ferne schweifen lassen, wenn die Sicherheitspolitik der EU schon hierzulande Praktiken staatlicher Repression Vorschub leistet, die jeglicher ernstzunehmenden politischen Opposition die Zähne ihrer Widerständigkeit zieht? Doch wer nach kritischer Berichterstattung über die Verabschiedung der neuen Antiterrorismus-Richtlinie am Donnerstag im EU-Parlament in den Massenmedien sucht, stößt einmal mehr ins Leere. Lediglich einige übliche Verdächtige aus dem Kreis alternativer Online-Medien, denen in jüngster Zeit verstärkt das Mißtrauen ausgesprochen wird, Produzentinnen sogenannter Fake News zu sein, nehmen die vielgerühmte Wächterfunktion der Medien noch wahr.

In der sich als seriös und objektiv vom publizistischen Internet-Dschungel distanzierenden "Qualitätspresse" war schon 2002 wenig darüber zu erfahren, wie auf supranationaler Ebene für Friedhofsruhe in den europäischen Gesellschaften gesorgt wird. Damals legte ein Rahmenbeschluß des Europäischen Rates die Axt an politische Freiheiten, die vor allem Menschen in Anspruch nehmen, die keinen Zugang zu den oberen Etagen administrativer Verfügungsgewalt haben. Angesichts dessen, daß seit den Anschlägen des 11. September 2001 die Bereitschaft, sich nicht der offensiven Inanspruchnahme bürgerlicher Grundrechte verdächtig zu machen, als Tugend vorauseilenden Gehorsams wertgeschätzt wird, blieb die neue EU-Terrorismusdefinition weitgehend unkommentiert. Dabei qualifizierte sie etwa Aktionen zu strafwürdigen terroristischen Akten, wenn diese "mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen". Kurzum, jede Form militanten Protestes, für den es in zusehends autokratisch geführten Staaten immer wieder Anlaß gibt, kann seitdem als schwerwiegendes Vergehen kriminalisiert werden.

Die am Donnerstag verabschiedete Antiterrorismus-Richtlinie der EU, die den Rahmenbeschluß von 2002 ersetzen soll, geht noch weiter. Laut ihr können bloße Meinungsbekundungen als öffentliche Aufrufe zum Terrorismus oder als Verherrlichung des Terrorismus gewertet werden und damit den Tatbestand eines Verbrechens erfüllen. Wo sich der mediale Diskurs noch in postfaktischen Selbstbespiegelungen übt, schlägt die administrative Wirklichkeit längst andere, konkretere Töne an. Wörter können zu terroristischen Akten mutieren und ihre Urheber in den Knast bringen - wer wollte da noch über "alternative Fakten" lamentieren?

Gerade weil derartige Rechtsnormen weit auslegbar sind, kann sich niemand, der Interesse an grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen hat, davor sicher wähnen, nicht für ein politisches Bekenntnis zu einer revolutionären Partei oder radikalen Organisation auch in anderen Ländern als dem eigenen belangt zu werden. Ein Straftatbestand wie der der "öffentlichen Provokation" riecht förmlich nach Gesinnungsstrafrecht. Werden künftig Politiker, die die Gültigkeit verfassungskonformer Rechte in Frage stellen, als Terroristen abgeführt? Wohl kaum, doch für einen Straßenaktivisten ohne gewichtige Institutionen im Rücken kann das schon anders aussehen.

Auf netzpolitik.org [1], wo man sich schon des längeren Sorgen um die Auswirkungen dieser im Eilverfahren [2] durch den legislativen Prozeß getriebenen Richtlinie auf die informationelle Selbstbestimmung macht, wird auch die Kriminalisierung von Blockadeaktionen etwa vor Wirtschaftsbetrieben und bloßer Reisetätigkeit zu angeblich terroristischen Zwecken kritisiert. Seit jeher wird auf nationaler Ebene versucht, mittels weithin auslegbarer Strafnormen jegliche Form des wirksamen, sich nicht auf das Abklicken von Petitionen oder sogenannte Latschdemos beschränkenden politischen Protestes zu unterdrücken. Mit einer supranationalen Maßgabe, die im vertrauten Kreis einiger Vertreterinnen und Vertreter der Kommission, des Rates und Parlaments der EU ausgehandelt wurde und innerhalb von 18 Monaten in nationales Recht umgesetzt werden soll, wird nun ein politisches Strafrecht vorbereitet, das jeglicher Form exekutiver Ermächtigung so viel Rechtssicherheit und Handlungsfreiheit zugesteht, wie es in Zeiten anwachsender Krisendynamik und Kriegsgefahr offensichtlich unerläßlich ist.


Fußnoten:

[1] https://netzpolitik.org/2017/eu-verabschiedet-anti-terror-richtlinie-und-bringt-damit-grundrechte-in-gefahr/

[2] https://edri.org/trilogues-the-system-that-undermines-eu-democracy-and-transparency/

18. Februar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang