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REPRESSION/1562: Wenn es dem Sicherheitsstaat nützt ... (SB)



Wenn der Staat Geld für eine Forschung ausgibt, von der Geheimdienste nicht nur technisch profitieren, sondern auch der Lebensunterhalt aktiver oder ehemaliger Agenten bestritten wird, dann handelt es sich um eine naheliegende Folge der bürokratischen Strukturen administrativer Verfügungsgewalt. Dies unter dem Titel "Geheimdienste profitieren von ziviler EU-Forschungsförderung" zu kritisieren, wie im ARD-Magazin Fakt [1] geschehen, mag für Zuschauer von Erkenntniswert sein, die an die strikte Trennung von wissenschaftlicher Forschung und staatlicher Exekutive glauben. Aus der Sicht des Sicherheitsstaates hingegen handelt es sich, wenn zwei BND-Agenten eine Firma gründen, die an der Spracherkennung bei Telefongesprächen forscht, und dafür öffentliche Mittel aus Bundes- und EU-Töpfen erhalten, um einen Fall von produktiver Synergie, der ganz in seinem Sinne ist.

Auch wenn, wie berichtet, ein Mitglied der Geschäftsführung einer Nachfolgefirma als Gutachter der Europäischen Union für Förderanträge im Sicherheitsbereich tätig ist, wenngleich diese Firma selbst in den Genuß von EU-Fördermitteln gelangt, muß kein Interessenkonflikt vorliegen. Es kommt eben ganz darauf an, von wessen Interesse die Rede ist. Geht es um den Aufbau der Handlungsfähigkeit eines Staates, dessen Existenz wiederum auf Gedeih und Verderb an Kapitalinteressen gebunden ist, ließe sich ebensogut von einer Win-Win-Situation sprechen. Bei aller Bemühung um Aufklärung wird dem Publikum eher Sand in die Augen gestreut, wenn in diesem Kontext nicht erklärt wird, in welchem Ausmaß sogenannte Sicherheitsforschung, die im drittmittelabhängigen Bildungs- und Forschungsbetrieb maßgeblich unter dem Einfluß privatwirtschaftlicher Akteure steht, von öffentlichen Mitteln abhängt respektive die Ergebnisse dieser Forschung für repressive und militärische Staatszwecke eingesetzt werden.

"Das in der militärischen Forschung erworbene technologische Know-how muss auch im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung verfügbar sein und umgekehrt. (...) Technologien sind nicht per se 'entweder oder' zuzuordnen. Die Differenzierung erfolgt dort, wo es um Anwendungen geht. Am Beispiel der Auslandseinsätze von Polizei und THW zeigt sich, dass eine klare und dauerhafte Trennung von militärischer und ziviler Sicherheitsforschung nur schwer stringent durchzuhalten ist."

(Positionspapier des Wissenschaftlichen Programmausschusses zum Nationalen Sicherheitsforschungsprogramm. Freiburg: Fraunhofer EMI. Mai 2010)

Gerade um die Sicherheitsforschungsprogramme der EU [2] sind regelrechte Komplexe aus Forschungseinrichtungen entstanden, die mit öffentlichen wie privatwirtschaftlichen Mitteln betrieben werden und unter dem Primat einer Anwendungsorientierung stehen, die zivile Bereiche der Gesellschaften nicht nur tangiert, sondern in erster Linie betrifft. Das gilt für die Überwachung von Flüchtlingsbewegungen ebenso wie die Kontrollen an Flughäfen oder die Überwachung des Internets. Wenn die gerade verabschiedete Antiterrorismusrichtlinie der EU Reisetätigkeit zu angeblich terroristischen Zwecken unter Strafe stellt, dann sind die technischen Mittel nicht weit, um diese Vorverlagerung strafbarer Handlungen in den Bereich bloßer Verdächtigung operativ wirksam zu machen. Selbstverständlich spielen nationale Geheimdienste unter dem Titel der Terrorismusabwehr in all diesen Bereichen ziviler Sicherheit eine wesentliche Rolle, daher kann eine Beteiligung an der Erforschung der dazu erforderlichen Technologien nicht erstaunen.

In dem von Fakt vorgestellten Fall geht es um die Entwicklung einer Überwachungssoftware, die quasi in Echtzeit weltweit Sprachmuster identifizieren und konkreten Personen zuordnen soll. Daß eine solche Technik nicht nur in den Händen von Polizeibehörden bliebe, was aus bürgerrechtlicher Sicht schlimm genug wäre, sondern von Geheimdiensten verwendet würde, ist so selbstverständlich wie die scheinbar unaufhaltsame Etablierung eines zentralen Überwachungsregimes, für das das ohnehin kaum mehr eingehaltene Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten vollends obsolet wäre. Vielleicht wäre es an der Zeit, an und für sich wertvolle Recherchen zur Selbstherrlichkeit staatlicher Repression mit einer Kritik zu versehen, die die Frage, warum die Bevölkerungen der EU zum Sicherheitsrisiko erster Ordnung erklärt werden, einer Analyse unterzieht, die die Bedingungen der herrschenden Vergesellschaftungsform nicht ausspart. Möglicherweise wäre dann beim Publikum wieder ein Interesse zu wecken, das über die achselzuckende Akzeptanz derartiger Praktiken exekutiver Ermächtigung hinausginge.


Fußnoten:

[1] http://www.mdr.de/fakt/fakt-sail-labs-100.html

[2] Supranationales Gewaltmonopol - EU-Sicherheitsforschung
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0170.html

25. Februar 2017


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