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KULTUR/0783: Kreuzzügler Benedikt im bescheidenen Pilgergewand (SB)



Als Zuchtmeister der einflußreichen vatikanischen Glaubenskongregation galt der damalige Kardinal Joseph Ratzinger als unbeugsamer Verfechter des uneingeschränkten Primats der katholischen Kirche, das eine Koexistenz mit anderen Religionen und Glaubensüberzeugungen auf gleicher Augenhöhe prinzipiell ausschloß und diese Doktrin allenfalls aus realpolitischen und taktischen Erwägungen befristet an die Kette legte. Den polemisch als Großinquisitor apostrophierten obersten Glaubenswächter, der an allen kirchlichen Positionsbestimmungen maßgeblich beteiligt war, hielten viele für die graue Eminenz des Vatikans, die ungeachtet des Wellenschlags aktueller Wechselfälle unversöhnlich Kurs hielt. Als Papst Benedikt XVI. geht Ratzinger nun daran, sein Lebenswerk im Pontifikat zu vollenden, indem er als Stellvertreter Gottes auf Erden himmlische und irdische Gewalt verschränkt und für die Endzeit rüstet. Ob exegetisch begründet oder machtpolitisch antizipiert hat für den Chefstrategen der einzig wahren Kirche die letzte Schlacht längst begonnen, für die er sein Heer der Gläubigen formiert und in Stellung bringt. Des Armageddons gewiß, spricht er die Kriegserklärungen vor allen andern aus, um dem Feind an die Kehle zu gehen, ehe dieser weiß, wie ihm geschieht.

Auf dem Kriegspfad dieses Papstes zeichnet sich ein Grundmuster ab. Er überrascht sein Opfer mit einem brutalen Keulenschlag, der den Gegner bis ins Mark lektioniert, daß Religionen und Kulturen auch in ihrem Verhältnis zueinander eine hierarchisch organisierte Struktur der Herrschaftssicherung repräsentieren, deren Führungsposition zu Lasten aller andern definitiv besetzt ist. Dem folgt zwangsläufig ein Aufschrei der Entrüstung, den Benedikt nicht nur vorhergesehen, sondern strategisch eingeplant haben muß. Nachdem seine fundamentale Botschaft längst angekommen ist, setzt er seine hitzig eifernden Kritiker ein zweites Mal ins Unrecht, indem er in gütiger Milde versichert, da müsse man ihn gründlich mißverstanden haben. Nun ist ihm die volle Aufmerksamkeit in einem extrem übersteigerten Maß gewiß, da alle Welt jedes Wort und jede Geste auf die Goldwaage der Erwägung legt, ob das bereits die eingeforderte Entschuldigung war. Dies als Defensive eines tölpelhaft gestolperten und daraufhin heftig zurückrudernden Papstes zu interpretieren, hieße der Scharade vollends auf den Leim zu gehen. Der heilige Vater positioniert sich im Gegenteil als Zeremonienmeister hochkarätiger Diplomatie, die wie eine mit Baumwolle umwickelte Eisenstange ihr Werk verrichtet.

Das war so bei der berüchtigten Regensburger Rede im Jahr 2006, in der Benedikt dem Islam einen inhärenten Hang zu Willkür und Gewaltbereitschaft unterstellte. Natürlich ein Mißverständnis, hieß es hinterher, da der Papst ja nur einen historischen Text zitiert habe. Das war nicht anders im Vorfeld der ersten Reise Benedikts nach Lateinamerika, bei der er im Frühjahr 2007 Brasilien besuchte. Hatte er früher die Befreiungstheologie als abweichlerisch und von marxistischem Gedankengut des Klassenkampfs infiziert gegeißelt, so tadelte der Vatikan nun die Schriften des spanischen Jesuiten Jo Sobrino als "entweder irrig oder gefährlich". Da man die riesige Anhängerschaft der katholischen Kirche in dieser Weltregion jedoch nicht verprellen durfte, mußte man die Warnung geschmeidig vortragen. Ein Entzug der Lehrerlaubnis sei vorerst nicht vorgesehen, pflanzte man die Drohung mit sanftem Druck nur um so tiefer ins Fleisch all jener, die glauben, die Kirche stehe in der Verantwortung, die Armen und Entrechteten zu verteidigen. Fast im Nebenlauf wurden die indígenen Völker abgeschmettert, denen nach Version des Papstes die spanische Inquisition erstmals das Licht der Freiheit im wahren Glauben gebracht hat.

Im Jahr 2008 nahm Benedikt dann das Judentum ins Visier, was zweifellos noch brisanter war. Schließlich geht es bei Christen und Juden um vorläufige engste Verbündete, die sich erst im prognostizierten Finale gegenüberstehen werden und damit natürlich Erzfeinde sind, was man aber keinesfalls laut sagen darf. Der Papst ließ die tridentinische Messe wieder zu, die das Zweite Vatikanische Konzil abgeschafft hatte. In der Karfreitagsbitte dieses Ritus heißt es über die Juden, Gott möge den "Schleier von ihren Herzen wegnehmen". Zwar legte Benedikt eine eigenhändige Version mit der Formulierung nach, Gott möge "ihre Herzen erleuchten, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen", doch bleibt auch das ein Aufruf zur Judenmissionierung. Als nächster Schlag folgte die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft im Januar 2009, darunter auch der Holocaust-Leugner Richard Williamson. Auf diesen Stich ins Wespennest folgten mit deutlicher Verzögerung des Papstes, die das Kaliber dieses Kräftemessens unterstrich, natürlich versöhnliche Worte des Pontifex, man möge doch nicht an seiner Haltung zum Holocaust und Judentum zweifeln.

Nun fieberte man der Papstreise in den Nahen Osten entgegen und hoffte inbrünstig, er möge auf dieser überaus heiklen Mission um Gottes willen keinen Fehler machen. Warum sollte er, da doch die Schwerarbeit längst erledigt und alles Entscheidende gesagt ist? Was derzeit vor unseren Augen abläuft, ist Benedikts Kür, deren Parcours schon auf dem Vorweg vollendete Tatsachen geschaffen hat. Er betrat die größte Moschee Jordaniens nur kurz und ohne zu beten, wobei er nicht einmal die Schuhe auszog, wie dies Tradition, Respekt und Reinheit gebieten. Ein schrecklicher Fauxpas? Aber nein, man hatte ihm ja Läufer durch die Moschee gelegt, über die er mit seinen roten Zeremonienschuhen schreiten konnte. Er betonte auf dem jordanischen Berg Nebo das Band zwischen Christen und Juden, womit er keineswegs vor dem Zionismus kapitulierte, wie ihm Kritiker vorhielten, sondern nur signalisierte, wie irrelevant für ihn der Islam und die arabische Welt ist.

Während sein Vorgänger Johannes Paul II. in Jad Vaschem immerhin mehrere Stunden verbrachte, sind für Benedikt nur 45 Minuten vorgesehen. Den Museumsteil wird er natürlich meiden, schließlich wird dort die Rolle von Papst Pius XII. während der NS-Ära kritisch beleuchtet. Mehr als einen Kurzbesuch hat man nicht vorgesehen, zumal ein Kniefall wie der des letzten Papstes, dessen Spezialität große Gesten bei Auslandsbesuchen waren, Benedikts Sache nicht ist, der die Auseinandersetzung längst vorangetrieben hat. Ich komme nicht als Kreuzzügler, sondern als sanfter, bescheidener Pilger, lautet seine Botschaft, wohl wissend, daß er den ersten Teil des Satzes schon im Vorfeld unmißverständlich abgehandelt hat.

11. Mai 2009