Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0800: "Inglourious Basterds" ... mit Lust und Laune in den gerechten Krieg (SB)



Es muß einem schon gesagt werden: "Der Film parodiert die Actionfilme über den Zweiten Weltkrieg in einem Maße, dass dabei jegliche Glaubwürdigkeit verloren geht. Es handelt sich um den lautesten, knalligsten und vielleicht inhaltslosesten Film, den Tarantino je gemacht hat." Was Sean O'Hagan von der Tageszeitung The Guardian in der Wochenzeitung Freitag (13.07.2009) zum Film "Inglourious Basterds" zu sagen hat, ist exemplarisch für eine ganze Reihe von Besprechungen, die die darin dargestellte außergewöhnliche Brutalität zum Gegenstand amüsanter, beliebiger und sogar politisch aufklärerischer Unterhaltung machen. "Quentin Tarantino macht den Naziterror in «Inglourious Basterds» sehr unterhaltsam", meint Martin Walder in der NZZ am Sonntag (16.08.2009), um gleich zu Anfang klarzustellen:

"Dies ist ein Unterhaltungsfilm. Lassen Sie sich ja nicht von einer historischen Fachperson beraten, und lesen Sie die Packungsbeilage allerhöchstens zum Spass darüber, was dem bösen Doktor Tarantino beim Wühlen im kulturellen Unkräutergarten wieder hundertfach Schräges in die Finger gekommen ist. «Inglourious Basterds», das neuste Stück des amerikanischen Cinemaniacs mit Kultstatus seit «Pulp Fiction», ist nicht einmal mehr Satire, sondern zweckfrei überbordendes Fabulieren im Klischeefundus des Naziterrors."

Rüdiger Suchsland wiederum schreibt den "offenkundig sehr verspielten, jederzeit unterhaltsamen Film" auf Telepolis (20.08.2009) zu einer "neuen, besseren Stufe des Historienkinos" hoch, da Tarantino die Absicht verfolge, die "'Banalität des Bösen' zu enthüllen, und umso eindringlicher die Seele des Publikums anzusprechen, seine Mechanismen zur Abwehr und Einordnung von Stoffen zu unterlaufen. Nicht allein deshalb ist dies ein großer und kluger Film". Auch Ekkehard Knörer sieht auf Perlentaucher (19.08.2009) Subersives am Werk, wenn Tarantino "zündelt, mit Absicht. Und mit gutem Grund. Die implizite These der Pulp-Umschrift der Nazi-Geschichte, die er in 'Inglourious Basterds' unternimmt, liegt, obwohl unausgesprochen, auf der Hand. Sie lautet: Auch und gerade dem mörderischen Treiben der Nazis kann man sich im Medium des Films nicht mit literal verstandener Aufgeklärtheit nähern."

So feiert die These von der Irrationalität des somit schlechterdings unverständlichen Bösen Urständ und setzt einen Punkt, wo der Bindestrich zum engagierten Erforschen der Triebkräfte menschlicher und politischer Gewalt erforderlich wäre. Selbst wenn einige filmische Versuche jüngerer Zeit in mythische, teilweise mit dem Objekt der Kritik fraternisierende Überhöhungen münden, wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn die Konsequenz daraus, daß intellektuelle Ansätze allerlei Untiefen und Fallstricke bereithalten, darin besteht, die zweckdienliche Reflexion über die Zeit der NS-Herrschaft im trivialen Unterhaltungsfilm anzusiedeln.

Die Freude über Tarantinos NS-Film ist daher ein guter Anlaß, nach der Schärfe der Waffen einer Kritik zu fragen, die schon deshalb nicht zum Zuge kommt, weil sie die sichere Distanz des animierten Beobachters nicht überwinden will. So bleibt "Inglourious Basterds" auch trotz des bereits ortografisch im Titel annoncierten Dilettantismus ein Film über das Verhältnis zwischen Nazis und Juden, zwischen Tätern und Opfern in einem der größten Massaker der Geschichte. Der spezifische historische Kontext dieses fiktiven Geschehens ist nicht austauschbar, wie die Behauptung suggeriert, hier handle es sich um einen Film ohne jede inhaltliche Relevanz. Allein die Vorstellung, Tarantino hätte einen Film über das Gewaltverhältnis zwischen Palästinensern und Israelis produziert, in dem ohnmächtig unterlegene Opfer der israelischen Besatzung das Heft des Handelns in die Hand bekämen und mit den gleichen Mitteln Israelis heimsuchten, mit denen sie von diesen attackiert werden, belegt die Singularität des historischen Rahmens.

Die lustvolle Umkehrung des Gewaltverhältnisses durch die spiegelbildliche Brutalität der Nazijäger trägt zudem wenig zur Behandlung der so wichtigen Frage, wieso die europäischen Juden nicht in einem viel größeren Ausmaß in den bewaffneten Widerstand gegen ihre Häscher getreten sind, bei. Wenn Thomas Dierkes in der jungen Welt (20.08.2009) den pädagogischen Wert dieser "erfrischenden Blutwäsche" lobt und eine Szene zu Ende des Films, in der ein Kinosaal voller Nazibonzen in Flammen aufgeht und zudem mit Maschinengewehrfeuer belegt wird, mit den Worten kommentiert, man wäre "zutiefst einverstanden mit der Gewalt. Ein schönes Gefühl", dann verebbt die notwendige Tat in einer blutrünstigen Emphase, die sich an dem aus gutem Grund hassenswerten Objekt vergeblich abarbeitet.

Gerade weil das zentrale dramaturgische Mittel in der krass illustrierten Anwendung gerechter Gewalt besteht, ist dieses Angebot einer Kulturindustrie, die auch in billigen Unterhaltungsspektakeln auf affirmative Weise herrschende Normen und Werte reproduziert und so stets politisch Einfluß nimmt, kritisch zu hinterfragen. Nur weil pathetische Ergüsse wie "Valkyrie" oder "Der Untergang" die Ambivalenz aufklärerischer Ansprüche verifizieren, ist der dreimal durch den Wolf cineastischer Kolportage gedrehte, auf die Spitze der plakativen Übertreibung getriebene Gegenentwurf nicht per se besser dazu geeignet, dem Publikum die Notwendigkeit aktiven Widerstands gegen Usurpatoren und Diktatoren vor Augen zu führen.

Es geht nicht darum, Nazis zu exkulpieren, wenn man die ihnen lustvoll angetane Gewalt als systemkonforme Effekthascherei eines für die Kinokasse produzierten Unterhaltungswerks kritisiert. Rachegelüste sind so menschlich wie in ihrer Anwendung ineffizient, verleitet bloße Emotionalität doch zu Handlungen, deren Unüberlegtheit die intendierte Rache häufig gegen ihr ausführendes Organ kehrt. Wenn Vergeltung wirksam sein soll, dann wird sie eiskalt ausgeführt, dann verbraucht sich der Racheengel nicht in dramatischen Posen, sondern denkt ausschließlich darüber nach, wie er sein Ziel erreichen kann. Maximale Zerstörung beim Gegner bei minimalen Verlust der eigenen Truppen anzurichten war und ist die Maxime hochentwickelter Streitkräfte, was erklärt, wieso die von Wehrmacht und SS drangsalierten Bevölkerungen einen hohen Blutzoll leisteten, wenn sie als Partisanen Widerstand übten. Die dabei von den deutschen Besatzern angewendete Methode des massenhaften Abschlachtens von Zivilisten als Vergeltung für gelungene Partisanenaktionen dahingehend umzukehren, ohne Verweis auf den strategischen Nutzen möglichst viele Besatzer möglichst grausam umzubringen, weist den Weg in die Potenzierung der am eigenen Leib erlebten Ohnmacht.

Tarantino ist als ausgesprochener Verächter jeder Form vermeintlichen Betroffenheitskinos bekannt, doch seine Frage, wieso die nach Auschwitz deportierten Juden sich widerstandslos in die Güterwaggons begeben haben, läßt sich mit einer cineastischen Übersprungshandlung nicht beantworten. Dabei ist seine zur Schau getragene Lässigkeit im Umgang mit Gewalt durchaus gespalten. Auf die Frage des Filmjournalisten Jeffrey Goldberg, ob es sich beim Tätowieren des Gesichts eines Nazis mit dem Hakenkreuz nicht um Folter handelte, antwortet Tarantino, daß dem Nazi lediglich eine Narbe zugefügt werde, er aber nicht gefoltert werde. Das sei nicht wirklich schmerzhaft, rechtfertigt Tarantino dieses Szene, als ob er beurteilen könne, wie es sich anfühlt, wenn einem jemand mit dem Messer im Gesicht herumschneidet (The Atlantic, September 2009).

Derartige Aussagen in einer Zeit, in der die Folterung sogenannter Terrorverdächtiger ernsthaft debattiert wird, dokumentieren den reaktionären Charakter einer Rachelogik, die das Primat der Stärke verabsolutiert, anstatt das Eintreten für die Schwachen zum Ausweis einer unkorrumpierbaren Gegenposition zu erklären. Die von Tarantino geschürte Rachsucht ist in ihrer Ausführung keineswegs so nihilistisch, wie sie erscheint. Der spezifische historische Kontext des Geschehens baut auf die Moral eines gerechten Krieges, der die Urheber moderner Aggressionen entlastet, indem sie sich mit der Diffamierung ihrer Opfer als Nazis einen Freibrief für die Zerstörung ganzer Länder ausstellen. Als Rundumschlag gegen die um Emanzipation von jeglicher Vernichtungspolitik bemühte Auseinandersetzung mit dem Massenmord an den europäischen Juden arbeitet "Inglourious Basterds" einer neokonservativen Elite zu, die Rachegefühle mobilisiert, wenn es ihren Zielen entspricht, während sie bewaffneten Widerstand kriminalisiert, wenn er diesen zuwiderläuft.

21. August 2009