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KULTUR/0805: USA schotten sich gegen mißliebige Kritik ab (SB)



Wer in das angeblich freieste Land der Welt einreisen will, sollte tunlichst darauf achten, sich niemals mit der inneren Opposition zu solidarisieren oder auch nur daran erinnern, daß man dies einmal in grauer Vorzeit getan hat. Am Freitag mußte der Frankfurter Verleger Karl Dietrich Wolff nach mehrstündigen Verhören auf dem John-F.-Kennedy-Airport in New York unverrichteterdinge wieder die Heimreise antreten, weil sein bis 2010 gültiges Zehnjahresvisum angeblich schon 2003 widerrufen worden sein soll. Wolff hatte mit diesem Visum bereits drei Reisen in die USA unternommen, ohne daß ihm dies mitgeteilt worden war. Anlaß für seinen Besuch war eine Einladung des Vassar College zu einer vom Deutschen Historischen Institut in Washington mitveranstalteten Konferenz über Bürgerrechte, auf der der ehemalige Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und Begründer des Black-Panther-Solidaritätskomitees als Zeitzeuge aussagen sollte (hr-online.de, 27.09.2009).

Wolff ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind. Als er bei einer Anhörung vor dem US-Senat 1969 den republikanischen Senator Strom Thurmond einen "rassistischen Banditen" schimpfte, durfte er 18 Jahre lang nicht in die USA einreisen. Nachdem sich deutsche Politiker für ihn eingesetzt hatten, wurde Wolff 1988 sozusagen rehabilitiert und erhielt wieder eine Einreiseerlaubnis. Warum diese nun ihre Gültigkeit verloren haben soll, erschließt sich jedenfalls nicht aus der heutigen Tätigkeit des Verlegers. Abgesehen davon, daß Wolff sich eigenen Angaben nach stets mit den USA kritisch verbunden gefühlt habe und sich rühmt, nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York bei der Frankfurter Buchmesse zu den wenigen gehört zu haben, die aus Solidarität mit den USA eine blauweißrote Krawatte trugen, liegen seine Zeiten als politischer Aktivist weit zurück. Heute ist Wolffs Name vor allem wegen der literaturwissenschaftlichen Editionen des Stroemfeld-Verlags zu Klassikern von Hölderlin bis Kafka bekannt (Die Berliner Literaturkritik, 28.09.09).

Der Vorgang wirft ein bezeichnendes Licht auf die geheimdienstliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen den USA und der Bundesrepublik respektive EU. Die darüber in die USA fließenden Personeninformationen werden von den Behörden des Landes nach Belieben weiterverwertet und haben zweifellos in einigen Fällen zur Verhaftung von Personen geführt, die daraufhin über Jahre in Guantanamo oder einem anderen Folterknast festgehalten wurden. Die Terroristendatenbank der US-Bundespolizei enthält jüngsten Informationen nach über 1,5 Millionen terrorismusrelevante Angaben zu US-Bürgern und Ausländern. Aufgrund der rechtlichen Willkür, nach der Menschen als Terrorverdächtige in Administrativhaft genommen werden können, ist kein Reisender dagegen gefeit, aufgrund von Informationen über seine Person, über die er keine Verfügungsgewalt besitzt, an der Einreise gehindert oder gar verhaftet zu werden.

Der italienische Rechtsphilosoph Giorgio Agamben hat die Einreisekontrollen in den USA schon Anfang 2004 mit den Praktiken im System der NS-Konzentrationslager verglichen. Er sagte damals seine Vorlesungen an der New York University mit dem Argument ab, er wolle sich nicht "vertieren" und "biopolitisch tätowieren" lassen. Daß er die von der SS an KZ-Häftlingen vorgenommene Unterhauttätowierung mit der Erfassung von Fingerabdrücken verglich, wurde ihm etwa in der Süddeutschen Zeitung als Akt "hysterischer" Übertreibung angelastet. Dabei sind die Konsequenzen, die ein hypertrophierter geheimpolizeilicher Apparat wie der des US-Antiterrorsystems zeitigen kann, alles andere als harmlos. Nicht einmal die deutsche Staatsangehörigkeit schützt davor, von US-Behörden entführt und gefoltert zu werden, wie der Fall Khalid El Masris gezeigt hat. Was die zahlreichen Insassen in den Folterlagern in Afghanistan und im Irak zu erleiden hatten und haben, ist ebenfalls Produkt des notorischen Terrorverdachts, den man bereits auf sich ziehen kann, wenn man als Ausländer eine regierungskritische Haltung an den Tag legt.

Nicht das Einreiseverbot gegen Karl Dietrich Wolff ist der primäre Skandal, wie etwa die deutsche Sektion der Schriftstellervereinigung PEN meint. Wenn die USA mit solchen Mitteln konstruktive Kritik abwehren, dann schneiden sie sich zu ihrem eigenen Schaden vom zentralen Vitalfaktor jeder demokratischen Gesellschaft ab. Ob es sich überhaupt um eine solche handelt, wäre angesichts nicht nur dieser Maßnahme, sondern etwa auch der massiven Polizeibrutalität, mit der Demonstranten, Passanten und Anwohner in Pittsburgh während des G-20-Gipfels traktiert wurden, eine durchaus relevante Frage. Um so mehr liegt es im Ermessen der US-Bürger, die eigenen bürgerlichen Freiheiten so restriktiv zu handhaben, daß die größten Errungenschaften US-amerikanischer Kultur dereinst in den propagandistischen Blockbustern des Hollywood-Kinos bestehen werden, oder sich eben dagegen entschieden zu wehren.

Der eigentliche Skandal des gegen einen Bundesbürger, der das so wichtige Thema der Bürgerrechte zeitgeschichtlich beleuchten wollte, gerichteten Einreiseverbots besteht darin, daß dies von der Bundesrepublik informell und geheimdienstlich unterstützt wird. Die Frage, wie man überhaupt mit einem Staat eine justizielle und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit unterhalten kann, der die Menschenrechte negierende Antiterrorgesetze über die Bush-Ära hinaus fortschreibt, der sogenannte Terrorverdächtige ohne Prozeß womöglich ihr Leben lang eingesperrt hält und der trotz seines schwarzen Präsidenten von institutionellem Rassismus durchdrungen ist, beantwortet sich schon aus der inneren Aufrüstung der Bundesrepublik mit dementsprechenden Gesetzen und Instrumenten. Um so wichtiger wäre es, wenn sie von kritischen Stimmen aus der Kultur gestellt und etwa dahingehend beantwortet würde, daß der Kampf gegen den Terrorismus im Kern ein sozialer, global entuferter Krieg ist.

28. September 2009