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KULTUR/0810: Sloterdijks "Aufstand der Leistungsträger" fällt aus (SB)



Der von Peter Sloterdijk im Magazin Cicero halluzinierte "Aufstand der Leistungsträger" fällt aus. Die gemeinhin als Leistungsträger bezeichneten Kapitaleigner und Funktionseliten müßten, wenn sie den Philosophen beim Wort nähmen, gegen sich selbst vorgehen, verfügen sie doch längst über alles, was es an Einfluß und Macht bedarf, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu bestimmen. Zwar bedurfte es seines jetzt veröffentlichten "Manifests" nicht, um zu erkennen, daß Sloterdijk ein kongenialer Bruder Sarrazins im Geiste der Elitenherrschaft ist, hat er doch bereits vor zehn Jahren in seinem Vortrag "Regeln für den Menschenpark" dem Fortschritt der eugenischen Zurichtung des Menschen das Wort geredet. Wenn er nun das Lamento um die angeblich ungerechte Behandlung des Bundesbankers anstimmt und dessen Kritikern "gedankliche Feigheit" vorwirft, dann macht er sich jedoch mit einer Offenheit, wie sie nur Siegern gebührt, zum Wortführer eines sozialrassistischen Neokonservativismus, dessen Freiheitspostulat darauf abzielt, nicht nur das eigene Wort, sondern auch das eigene Wohlleben zu Lasten Andersdenkender durchzusetzen.

Für das Andere dieser Gesellschaft steht nicht die Suprematie, laut der das angeblich unproduktive Element abgestraft und ausgegrenzt gehört, sondern die vermeintlich antiquierte Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten. Die von den Sloterdijk und Sarrazin wie ihren Kolporteuren in den Redaktionen vieler großer und kleiner Blätter bejammerte Zensur des freien Wortes findet alltäglich dort statt, wo Menschen in ihrer unterprivilegierten Situation von vornherein die Stimme genommen wird, wo angebliche Staatsfeinde schon aufgrund bloßer Meinungsäußerungen mit massiver Repression bedroht werden. Wie die breite Zustimmung zu den rassistischen Ausfällen Sarrazins zeigt, liegen die Sachwalter der neuen Rechten auf Linie der in Staat und Gesellschaft hegemonialen Kräfte. Sie haben nichts von dem zu befürchten, was den von ihnen attackierten Verlierern an täglicher Erniedrigung und Verachtung allein deshalb blüht, weil sie sich im Rattenrennen als nicht durchsetzungsfähig erwiesen haben oder, was schlimmer ist, von vornherein verweigerten, auf dem Rücken anderer nach oben zu streben.

Die Freiheit, die die Priester der Elitenherrschaft meinen, erweist sich als pure Aggression gegen diejenigen, die sich anmaßen, an egalitären und humanistischen Idealen festzuhalten. Mit ihren Ausfällen gegen ethnische und religiöse Minderheiten und von Sozialtransfers abhängige Menschen schwimmen sie auf dem Strom einer sozialdarwinistischen Gesellschaftsdoktrin, deren Verfechter sich anschicken, mit Hilfe der schwarzgelben Regierung die ganze Bagage nicht für ihre Zwecke verwendungsfähiger Esser so lange auszuhungern, bis auch der letzte Funke widerständiger Existenz erloschen ist.

Die Rede ist von dem sich anbahnenden Sozialkampf, in dem das politische und ökonomische Machtkartell endlich die Gefahr einer auch nur entfernt möglichen revolutionären Umwälzung der herrschenden Ordnung bannen will. Sarrazin will mit seinen Attacken auf Menschen, die ihm in ihrer miserablen Situation nichts entgegenzusetzen haben, im Kern die Unumkehrbarkeit neofeudaler Verhältnisse demonstrieren. Auch wenn er sich kaum der sattsam bekannten antikommunistischen Phrasen bedient, ist klar, wer bei der Reorganisation der Klassengesellschaft auf jeden Fall auf der Strecke bleiben muß. Entschiedener Widerstand gegen die Herabwürdigung aller Menschen, die der Anforderung totaler Verwertbarkeit nicht genügen, kann nur von einer Linken ausgehen, der die Überwindung herrschender Verhältnisse mit Hilfe von Klassenanalyse und Kapitalismuskritik eine unabgegoltene Aufgabe ist.

Sloterdijk hat bereits im Sommer mit dem Aufsatz "Die Revolution der gebenden Hand" in der FAZ (13. Juni 2009) dazu aufgerufen, gegen die Besteuerung der "Leistungsträger" in einem "antifiskalischen Bürgerkrieg" zu Felde zu ziehen, um der "umgekehrten Ausbeutung" gutverdienender Bürger durch die "Kleptokratie des Staates" ein Ende zu bereiten. Seiner Ansicht nach ist es eine völlige Fehlentwicklung der "ökonomischen Moderne (...), dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben - und dies zudem auf missverständliche Weise, nämlich so, dass sie gesagt bekommen und glauben, man tue ihnen unrecht und man schulde ihnen mehr". Die "Unproduktiven" können in ihrer Unbedarftheit nichts dafür, daß ihnen mit Hartz IV ein Übermaß an staatlicher Hilfe zuteil wird - Schuld haben und damit Feind aller "Produktiven" sind diejenigen, die ihnen einflüstern, daß es sich um ein Zwangs- und Verelendungsregime handelt!

Wie es um die Produktivität von Spitzenbeamten wie Sarrazin und als Denker getarnte Demagogen wie Sloterdijk bestellt ist, bleibt selbstredend unhinterfragt. Zu bezweifeln, daß Produktivität, sprich Leistung, überhaupt ein Kriterium sein kann, aus dem die gesellschaftliche Stellung eines Menschen abgeleitet wird, entzieht sich erst recht der intellektuellen Reichweite dieses Lehnstuhlchauvinisten. Das bescheidene Resultat seiner philosophischen Erkenntnis erinnert daran, daß der Begriff der Leistung ad hoc die Unterwerfung unter die Interessen anderer impliziert. Wer auf den Leisten fremder Interessen geschlagen wird und dies nicht nur akzeptiert, sondern als Ausweis besonderer Befähigung rühmt, tut sich schwer damit, eigenständiges Denken zu entwickeln, um von autonomem Handeln ganz zu schweigen.

So begründet Sloterdijk sein Credo, man werde den gebeutelten "Leistungsträgern" nur dadurch gerecht, daß man den auf dem Einzug von Steuern basierenden Sozialstaat durch eine Almosengesellschaft ersetzt, in der die Armen vom Überfluß der Reichen leben, mit der Behauptung, daß die kapitalistische Wirtschaftsordnung eben nicht auf dem Antagonismus von Kapital und Arbeit und der daraus resultierenden Mehrwertabschöpfung als einer Form ungerechter Aneignung beruhe. Seiner Ansicht nach verbirgt sich das "Movens der modernen Wirtschaftsweise (...) in der antagonistischen Liaison von Gläubigern und Schuldnern. Es ist die Sorge um die Rückzahlung von Krediten, die das moderne Wirtschaften von Anfang an vorantreibt - und angesichts dieser Sorge stehen Kapital und Arbeit auf derselben Seite" (FAZ, 13.06.2009).

Indem Sloterdijk schlicht auf der Ebene des Finanzkapitals ansetzt und menschliche Arbeit als primäre Grundlage der Kapitalakkumulation negiert, tut er so, als lebe er nicht jeden Tag von den Produkten arbeitender Hände. Dieser bourgeoisen Ignoranz entspricht die Unterstellung, eine Meritokratie reicher Philantrophen könne die Gewähr für das Überleben von Millionen bieten, die an der Unterwerfung der Gesellschaft unter ihre Interessen nicht zugrundegehen. In den USA haben auch schon vor der Weltwirtschaftskrise Millionen Menschen gehungert, doch seit dem akuten Schrumpfen der US-Wirtschaft ist nicht nur die Zahl der von Suppenküchen und Lebensmittelkarten abhängigen Bürger explodiert. Die auf Spenden nämlicher Altruisten angewiesenen karitativen Organisationen verzeichnen einen drastischen Rückgang ihrer Einnahmen, was belegt, daß die neoliberale These vom trickle down des marktwirtschaftlich generierten Überflusses gerade dann nicht stimmt, wenn die Brotkrumen vom Tisch der Reichen am dringendsten benötigt werden.

Der Staat kann die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen kapitalistischer Verwertung nur deshalb installieren, regulieren und sichern, weil er das privatwirtschaftlich akkumulierte Kapital besteuert. Er tut dies, wie die fiskalischen Entscheidungen der letzten beiden Bundesregierungen gezeigt haben, tendenziell zugunsten der "Leistungsträger", der Investoren und Kapitaleigner. Sollten diese dazu übergehen, ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr nur dadurch unter Beweis zu stellen, daß sie auf mehr oder minder legale Weise Steuervermeidung betreiben, sondern den offenen Aufstand gegen den sie in ihrer räuberischen Selbstverwirklichung angeblich behindernden Steuerstaat zu wagen, dann sägen sie den Ast ab, auf dem sie dabei zuschauen, wie ihr "Geld arbeitet". Mit seinem aktuellen "Manifest" kokettiert Sloterdijk mit einer Streitbarkeit, die in Stellung zu bringen ihm wie seinen Adressaten schlicht der Mut fehlt. Die Herren lassen kämpfen, dafür gibt es schließlich einen Gewaltapparat, der ihnen auf vielerlei Weise verpflichtet ist.

Der Aufstand der Eliten gegen die verbliebenen Reste emanzipatorischer und demokratischer Gegenbewegung soll in einen autoritären Ständestaat münden, in dem das Primat der Kapitalverwertung so wirksam verabsolutiert wird, daß die Lohnabhängigen noch beim Verrichten von Sklavenarbeit voll von Dankbarkeit dafür sind, sich gegenüber dem Vorbild der "Leistungsträger" bewähren zu dürfen. Die Kenntnis davon, daß der Wert ihrer Arbeit durch die Entwicklung der Produktivkräfte, durch den Ausbau der internationalen Arbeitsteilung, durch die Erhöhung indirekter Steuern und die Verteuerung sozialer Daseinsvorsorge unter das Reproduktionsniveau gedrückt wird, soll ihnen vorenthalten werden. Diejenigen, die sie darüber aufklären könnten, werden als ideologische Blender oder gar als "Gesinnungsterroristen" (DLZ, 14.10.2009) dämonisiert.

Die angebliche Interessengleichrichtung von Arbeit und Kapital, die aus der abenteuerlichen Unterstellung hervorgeht, daß Kredit praktisch aus dem Nichts geschöpft wird und mit der sogenannten Realwirtschaft in keinerlei kausaler Verbindung steht, läßt Sloterdijk als Protagonisten eines neoliberalen Korporatismus erkennen, der, so er bei der Regulation des dennoch virulenten Kapitalverhältnisses versagt, stets bereit ist, in seine faschistische Variante umzuschlagen. Mit seiner vor vier Monaten in der FAZ präsentierten, so wortreich schwadronierenden wie inhaltlich gebrochenen Abrechnung mit der politischen Ökonomie des Marxismus erweist sich Sloterdijk als Lohnschreiber im Dienste des Kapitals. Seine Tiraden feuert er, seinen Vorbildern im antiken Hellas gleich, aus der sicheren Entfernung einer privilegierten Stellung ab, die selbstredend von Sklavenarbeit unterhalten wird.

Daß Sloterdijks Plädoyer für die Besserverdienenden zur Zeit ihrer Veröffentlichung keine größeren Wellen schlug, mag damit zusammenhängen, daß man sich vor der Bundestagswahl mit dem offenen Sozialrassismus, der heute den Ton angibt, bedeckt halten wollte. Indem er nun im Fahrwasser Sarrazins eine Neuauflage seines Aufrufs zur "Revolution der gebenden Hand" vom Stapel läßt und dies mit einem Freiheitspathos verbrämt, der die Unfreiheit ökonomisch ausgegrenzter Menschen leugnet, empfiehlt er sich als Anwalt all der besseren Menschen, die fachlicher Hilfe bedürfen, um die simple Tatsache zu verbergen, daß Raub Raub bleibt, auch wenn man ihn noch so intellektuell illuminiert.

Zur Sarrazin-Debatte siehe unter POLITIK/KOMMENTAR auch:

RAUB/0916: Sarrazin-Interview ... vom Sozialrassismus der Eliten (SB)

HERRSCHAFT/1495: "Parallelgesellschaften" ... Angriff auf die atomisierte Gesellschaft (SB)

HERRSCHAFT/1497: Sarrazin-Debatte ... Kramers Nazivergleich wirklich "überzogen"? (SB)

22. Oktober 2009