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KULTUR/0902: Der ewige Kreuzzug - Kulturkrieger Joseph Ratzinger (SB)



Keine Gnade findet Benedikt XVI. im Urteil des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik. In seinem Traktat "2083: A European Declaration of Independence" verneint der Islamhasser die von ihm selbst aufgeworfene Frage, ob dieser Papst einen neuen Kreuzzug ausrufen werde. Das hält ihn nicht davon ab, aus dessen Regensburger Rede zu zitieren, um ihm aufgrund seines anschließenden Zurückruderns anzulasten, er habe wie seine Vorgänger das Christentum und alle christlichen Europäer dem "Globalen Jihad" ausgeliefert. Allerdings hängt Breivik die Latte sehr hoch, wenn er von diesem wie allen weiteren Päpsten fordert, "sich an alle europäischen Militärführer zu wenden und von diesen zu verlangen, Maßnahmen gegen die kulturmarxistischen/multikulturellen Eliten, die die herrschende Ideologie implementiert haben, zu ergreifen".

Das Urteil Breiviks, Papst Benedikt XVI. habe nichts von Bedeutung getan, "um gegen die willkürliche und systematische Elimination des europäischen Christentums vorzugehen", ist der Verkennung eines fanatischen Gewalttäters geschuldet, der Kulturkampf werde nur mit Feuer und Schwert wirksam geführt. Tatsächlich hat dieser Papst einiges dafür getan, die kulturelle Hegemonie des katholischen Christentums im allgemeinen und seiner Kirche im besonderen zu sichern. Vor fünf Jahren, am 12. September 2006, setzte er mit nämlicher Regensburger Rede ein Zeichen christlicher Suprematie, das als kaum verhohlene Herabwürdigung des Islam verstanden wurde. Weder die nach empörten Protesten in aller Welt als Entschuldigung nicht mißzuverstehende Relativierung des Gesagten noch die nachträgliche Korrektur des Redetextes nehmen Ratzingers Vorlesung etwas von der feindseligen Virulenz, die sich nahtlos in die verbreitete Anprangerung des Islam als angeblich rückständig und aggressiv einfügte. Eine Erklärung, warum man als bedeutsamer Kirchenführer in einer Zeit großer Spannungen zwischen der islamischen und christlichen Welt angesichts der Vielzahl möglicher Ereignisse, mit denen sich die Problematik von Glauben und Gewalt hätte illustrieren lassen, gerade auf ein Beispiel verfällt, das den Islam als Aggressor darstellt, unterblieb bis heute.

Statt dessen hatte Ratzinger durch die Behauptung, seine Rede sei mißverstanden worden, die Kritiker in den Reihen der Muslime zusätzlich düpiert. Indem er vorschützte, man habe es ja nicht so gemeint, exponierte er islamische Kleriker, die auf einer Entschuldigung bestanden, als unbelehrbare Revanchisten, die nicht wüßten, wann eine halb ausgestreckte Hand zu ergreifen sei. Dabei war anhand einer genauen Textanalyse leicht nachzuweisen, daß Ratzinger mit Hilfe eines sorgsam ausgewählten Zitats die Scharte des gängigen Vorwurfs wetzte, dem Islam sei die Neigung zur Gewalttätigkeit von vornherein inhärent, da die Grundlage zu vernunftgemäßem Handeln fehle. Zudem stellte Ratzinger fest, daß die Religion Mohammeds über keine prinzipielle Wertebindung verfüge, da es keine Verpflichtung zur Wahrheit gebe.

Dieses schwere Geschütz, mit dem Ratzinger auf den Islam feuerte, um die Überlegenheit des eigenen Glaubens anhand seiner angeblichen Verankerung in hellenistischer Vernunft zu belegen, steht unangefochten im Raum. Der Papst hat mit seiner vor fünf Jahren gehaltenen Vorlesung, in der er den Islam als im Kern haltlos und unvernünftig darstellte, der Ideologie des Terrorkriegs zugearbeitet. Dabei kann es hinsichtlich der politischen Folgen solcher Ausfälle gar nicht um einen theologischen Disput gehen, mit dem sich von ihrer Entstehungsgeschichte her eng verwandte Weltreligionen befehden. Der von Ratzinger vorgeschlagene Dialog wäre angesichts dessen, was man über den jeweils anderen längst weiß, überflüssig, wenn man nur auf den Versuch verzichtete, die Motive der Kriegführung religiös zu verorten, um anstelle dessen die materiellen Interessen von Aggressoren beim Namen zu nennen.

Damals erinnerte der britisch-pakistanische Publizist Tariq Ali (Counterpunch, 16.09.2006) daran, daß die Katholische Kirche dem Islam in relativer zeitlicher Nähe zu dem vom Papst gewählten Beispiel auf der Iberischen Halbinsel und auf Sizilien den Krieg erklärt hatte, was zu Massenvertreibungen, Morden, Zwangsbekehrungen und inquisitorischer Verfolgung geführt habe. In diese Zeit gehören auch die gegen die Katharer gerichteten Vernichtungskriege, die dafür zu büßen hatten, daß ihre menschenfreundliche Lebensweise dem finsteren Schuldturm der Papstkirche Konkurrenz machte. Die von Rom verfolgten Juden und Protestanten nahmen nicht von ungefähr Zuflucht zu jenem Osmanischen Reich, dem Byzanz weichen mußte.

Ein byzantinischer Kaiser, der seinen Thron erst nach einem Machtkampf mit seinem Bruder, den er mit Hilfe der Osmanen gewann, besteigen konnte, dessen Probleme mit den osmanischen Nachbarn keinesfalls nur auf deren Eroberungsstreben beruhten, der einem Reich vorstand, in dem religiöse Minderheiten wie Juden, Manichäer und häretische Christen seit jeher blutig verfolgt wurden, während unter dem islamischen Halbmond bemerkenswerte Toleranz zumindest gegenüber Christen und Juden geübt wurde, konnte kaum als besonders glaubwürdiger Vertreter einer gewaltfreien Religiosität gelten. Als Ratzinger eine historische Episode wählte, um den Glauben der Muslime vor dem Hintergrund der Hellenisierung seiner Religion als bar jeder Vernunft darzustellen, hätte er nicht unterschlagen dürfen, daß die europäische Verbindung zur Antike ohne die Brückenfunktion der arabisch-hellenistischen Hochkultur abgerissen wäre. Wenn es im 12. Jahrhundert, nachdem Arabisch über 400 Jahre lang als Wissenschaftssprache fungiert hatte, nicht zur Übertragung der griechischen Quellen vom Arabischen ins Lateinische gekommen wäre, wenn es nicht arabische Philosophen wie Avicenna und Averroes gegeben hätte, dann wäre die von Ratzinger gerühmte Hellenisierung des Christentums nicht weit gediehen.

So war die von Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede hervorgehobene "Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, von rechter Aufklärung und Religion" keineswegs eine ausschließliche Domäne europäischer Denktradition. Zwar erwähnte er, "dass das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schliesslich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden hat", doch sein klerikaler Eurozentrismus - "Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann" - entufert zur imperialen Anmaßung, wenn er dessen Wertekodex und Normenkatalog zum Universalismus erhebt.

Gerät die europäische Vernunfttradition in die Fänge einer religiösen Mission, dann besteht allerdings die Gefahr eines Ausschließlichkeitsanspruchs, der in der Konfrontation mit anderen Glaubensformen und Kulturen dazu neigt, gewalttätig zu eskalieren. Die von Ratzinger propagierte Einheit von Glauben und Vernunft macht daher auf umgekehrte Weise Sinn - erst die Befreiung des nicht umsonst im Kampf gegen den monarchischen und klerikalen Absolutismus wirkmächtig gewordenen Humanismus von jeglicher Vereinnahmung durch Glaubensdoktrinen schafft die Grundlage für ein Gespräch, das jeden auf seine Weise leben läßt.

Doch darum scheint es dem Papst nicht zu gehen. So insistierte er im Mai 2007 auf der Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe darauf, daß die Christianisierung des Kontinents den dort lebenden Menschen vor allem Gutes gebracht habe. Die gebührende Erinnerung an die Verbrechen der Eroberer dürfe nicht verdecken, daß der katholische Glaube zum Fundament von Einheit und Identität der lateinamerikanischen Völker geworden sei. In seiner Eröffnungsrede behauptete er, die Ureinwohner hätten Christus "ohne es zu wissen, in ihren reichen religiösen Traditionen" gesucht und in ihm den "Erlöser" gefunden, "nach dem sie sich im Stillen sehnten". Ratzinger stellte damit die vor dem Eintreffen der spanischen Eroberer existierende Zivilisation und Religiosität als Joch dar, von dem die Betroffenen durch die christliche Lehre befreit worden wären. Die indigene Kultur Lateinamerikas sollte der europäischen Kultur damit nicht nur unterlegen gewesen sein, sie soll in ihrer unterdrückerischen Qualität in direktem Gegensatz zum Christentum gestanden haben.

Papst Benedikt XVI. zeigte mit der Vereinnahmung der Ureinwohner Amerikas für seine Kirche, wie sehr er an die Notwendigkeit letztlich gewaltsamer Überwindung autochthoner Eigenständigkeit durch den globalen Ordnungsfaktor der westlichen Kultur glaubt. Die katholische Kirche steht zu ihr in einem Verhältnis gegenseitigen Nutznießes, bietet sie sich doch als Legitimationsproduzentin zur Befriedung herrschender Widersprüche gerade auch dadurch an, daß sie moderate Kritik an den Auswüchsen kapitalistischer Verwertung übt. Wenn es eine Kraft im Katholizismus gibt, die zum Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung beiträgt, dann ist es die von Ratzinger als Leiter der Glaubenskongregation des Vatikan mit inquisitorischer Aggressivität verfolgte lateinamerikanische Befreiungstheologie. Indem sie die soziale Frage mit der Botschaft Jesu verbindet und die Beseitigung existentieller Nöte und Zwänge nicht erst in einem fernen Jenseits vollzogen haben möchte, hat sie den Begriff der Freiheit in einem emanzipatorischen Sinne politisch und programmatisch handhabbar gemacht.

Daß Ratzinger kein Problem damit hat, einen Begriff von zivilisatorischem Fortschritt zu predigen, der aufs innigste mit dem Vergießen von Blut und dem Erleiden von Schmerz verbunden ist, mag auch an der seiner Lehrauffassung inhärenten Blutrunst liegen:

"Der Mensch wird durch das Kreuz erlöst. Der Gekreuzigte als der ganz Geöffnete ist die wahre Erlösung des Menschen. Vom christlichen Glauben her gilt demnach: Der Mensch kommt zutiefst nicht zu sich selbst durch das, was er tut, sondern durch das, was er empfängt. Er muß auf das Geschenk der Liebe warten. Liebe kann man nicht anders denn als Geschenk erhalten. Deshalb muß das Zeichen des Kommenden das Kreuz und sein Gesicht das Antlitz voller Blut und Wunden sein."
(Kardinal Joseph Ratzinger, 16. September 1999, Deutschlandfunk)

Mit dieser Doktrin, die dem Menschen jegliche Autonomie abspricht, indem sie sein emanzipatorisches Potential leugnet und ihn angesichts des Numinosums des Heils zur Passivität verdammt, die Not und Leid voraussetzt, um Erlösung erwirtschaften und Herrschaft sichern zu können, schwingt sich die christliche Kultur zu globaler Deutungsmacht auf. Sie ist nach wie vor bereit dazu, ihre Version der Botschaft Jesu mit Feuer und Schwert zu verbreiten. Die US-amerikanischen Bomberpiloten, die sich vor dem Angriff auf irakische oder libysche Städte bekreuzigen, begehen damit keine Blasphemie, sondern führen den Willen des Herren ebenso aus wie die in Eisen gewandeten und Eisen verfeuernden spanischen Eroberer, die kriegerische Stärke und gottgleiche Machtfülle predigten. Die Vernunft, die Ratzinger in seiner Regensburger Rede für die Suprematie der katholischen Theologie in Anspruch nahm, begründet eine innovative und kolonialistische Intelligenz, mit der selbst hochentwickelte Kulturen dafür bestraft werden können, daß sie die Expansion ihrer räuberischen Interessen nicht entschieden genug betrieben haben.

Das dahinter stehende Menschenbild hat Hans Heinz Holz (junge Welt, 20.10.2007) auf entlarvende Weise herausgearbeitet. Er zitierte aus Joseph Ratzingers 2005 veröffentlichtem Buch "Werte in Zeiten des Umbruchs", daß Menschen, die sich aus dem durch die katholische Kirche gestifteten "Zusammenhang der sittlichen Ordnung der Menschen verabschieden", ihr Menschsein verloren hätten, so daß ihre Wissenschaft "pathologisch und lebensgefährlich" werde. Holz verortet diese Haltung zu Recht in der Nähe einer Stigmatisierung zum "Unmenschen" oder "Untermenschen".

Geht man in die Details, dann zeigt der deutsche Papst auch bei Minderheiten, , die in der Bundesrepublik angeblich besonderen Schutz genießen, wenig Scheu, Unterstellungen unfreundlicher Art zu erheben. Was die römisch-katholische Kirche seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums nurmehr als positiven Wunsch formulierte, um den antijudaistischen Gehalt des seit Jahrhunderten verwendeten Textes in Anbetracht eigener Mitschuld an der Vernichtung der europäischen Juden zu eliminieren, fiel in der neuen Formulierung des von Benedikt XVI. wieder zugelassenen tridentinischen Ritus weit offensiver aus:

"Lasst uns auch beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen. Lasst uns beten. Kniet nieder. Erhebt euch. Allmächtiger, ewiger Gott, der du alle Menschen erlösen und zur Wahrheit führen möchtest, gewähre gnädig, dass ganz Israel das Heil erlangt, wenn die Schar der Völker vollständig in deine Kirche eintritt. Durch Christus, unseren Herrn. Amen."
(Spiegel Online, 06.03.2008)

Der Papst konstatierte mit dieser Formulierung einen Mangel, der Juden nach Maßgabe der nicht erfolgten Erleuchtung ihrer Herzen als von Finsternis, Unwissen und Verblendung geschlagen erscheinen läßt. Der mit allen Wassern rhetorischen und dialektischen Geschicks gewaschene Joseph Ratzinger weiß zweifellos genau, was er tut, wenn er Israel ein Heil wünscht, das im klassischen Antijudaismus seiner Kirche wurzelt.

Im September 2008 erhob Benedikt XVI. ein weiteres Mal Anspruch auf die hegemoniale Stellung der katholischen Kirche bei der Bestimmung gesellschaftlich prägender Werte. In seiner Vorlesung am Pariser Collège des Bernardins warnte er vor dem Verhängnis, daß "die europäische Kultur von heute Freiheit nur noch als Bindungslosigkeit auffassen könnte und damit unvermeidlich dem Fanatismus und der Willkür in die Hand spielen würde". Doch wie sonst sollte Freiheit verstanden werden als eben so? Die von Joseph Ratzinger unterstellte Zwangsfolge einer üble Ergebnisse zeitigenden Bindungslosigkeit negiert jede Möglichkeit, daß der Mensch auf sich zurückgeworfen das ganze Verhängnis seiner Fremdbestimmung in Angriff nimmt.

Papst Benedikt XVI. erfüllt mit großem Geschick, was von der klerikalen Reaktion erwartet wird. Er bietet sich als Sachwalter einer liberalen und pluralistischen Gesellschaftsform an, indem er die herrschende Ordnung zu Lasten all derjenigen verteidigt, die sich nicht mit Versprechungen und Hoffnungen abspeisen lassen möchten. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion, deren Eschatologie seit jeher dem Frieden der Paläste dient, während diejenigen, die die Immunisierung der radikalen Diesseitigkeit eines Jesus durch die institutionalisierte Religion und den Sozialchauvinismus ihrer Priesterkaste bestreiten, in den Limbus der Verwerflichkeit verbannt werden. Eine Freiheit, die so umfassend ist, daß sie zur Selbstbestimmung befähigt, ist nicht im Angebot Roms, weil sie die Menschen befähigt, den christlichen Gott einer Prüfung zu unterziehen, der er nicht gewachsen ist.

21. September 2011