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KULTUR/0933: Bild in bester Gesellschaft - Sozialrassismus kein Alleinstellungsmerkmal (SB)




Die von Medienexperten attestierte Aufwertung der Bild-Zeitung zu einem Leitmedium nicht nur für den Boulevard, sondern für ernstzunehmende Informationen aus Politik und Gesellschaft erfolgt nicht allein aus dem Springer-Verlag heraus. Ihr wird zugearbeitet durch eine "rohe Bürgerlichkeit" [1], deren bourgeoise Feindseligkeit sozial ausgegrenzten und migrantischen Minderheiten gegenüber längst hegemonial geworden ist. Die Gesellschaft kommt Bild mindestens so sehr entgegen, wie das für dieses Blatt prototypische Schüren von Sozialneid und das Propagieren eines restaurativen Nationalbewußtseins unverändert Leitmotiv bleibt. Dabei bedient man sich der programmatischen Ambivalenz einer sich seriös gebenden politischen Berichterstattung und der bekannten Hetzkampagnen gegen angebliche Sozialschmarotzer, gegen Sexualstraftäter, gegen sogenannte Haßprediger und Terrorverdächtige. Sozialrassismus ist quer durch die Bank der medialen Funktionseliten salonfähig geworden und kann als gemeinsamer Nenner zahlreicher Publikationen aus Verlagskonzernen dingfest gemacht werden.

Einen nicht geringen Anteil an der wachsenden Akzeptanz der Bild-Zeitung haben daher Journalisten als seriös geltender Sender und Zeitungen, die sich als Bild-Kolumnisten verdingen oder in Gremien sitzen, die Journalistenpreise vergeben. So erhielt das Blatt den Herbert Quandt-Medienpreises 2011 für die Artikelserie "Geheimakte Griechenland", obwohl die Berichterstattung über die Griechenlandkrise von einer pauschalen Herabwürdigung der griechischen Bevölkerung geprägt war, die alle Kriterien einer nationalchauvinistischen Kampagne aufwies. Die Laudatio des Jurors Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, wies die Verschuldung Griechenlands als zentralen Auslöser der Schwierigkeiten der Eurozone aus, während sie den deutschen Anteil an dieser Entwicklung negiere, indem der Bundesrepublik eine vorbildliche Wirtschafts- und Finanzpolitik attestiert wurde: "Deutschland hat in den vergangenen Jahren die Lohnstückkosten nur geringfügig erhöht, die Arbeitsmärkte flexibilisiert, die soziale Sicherung wenigstens moderat reformiert und die öffentlichen Haushalte nach einigem Hin und Her doch konsolidiert. Andere Länder haben das nicht getan." [2]

Diese Politik geht zu Lasten erwerbsabhängig Beschäftigter in der Bundesrepublik, die mit stagnierenden Löhnen die Vormachtstellung der deutschen Exportwirtschaft alimentieren und immer weniger Einfluß darauf haben, mit welcher Arbeit sie ihr Leben fristen wollen. Sie geht zu Lasten der Empfänger von Sozialtransfers und einer öffentlichen Daseinsvorsorge, die der Sparpolitik der Bundesregierung geopfert wird. Und nicht zuletzt geht sie zu Lasten der von deutschen Unternehmen niederkonkurrierten Volkswirtschaften, die unter einer monetaristischen Währungsdoktrin leiden, durch die Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Kurz gesagt, Tichy vertritt die neoliberale Doktrin in Reinkultur, was seiner Zeitung zwar gut zu Gesicht steht, in Hinsicht auf die Preisverleihung jedoch darauf hinauslief, daß sich Bild auch selbst hätte auszeichnen können. Auch die Juroren Helmut Reitze, Intendant des Hessischen Rundfunks, und Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels, verfügen über eine allseits bekannte kapitalfreundliche Gesinnung [3], so daß ihre Berufung als Juroren eines Journalistenpreises, die von der Stiftung einer der reichsten Frauen Deutschlands, Johanna Quandt, ausgelobt wird, keinen Zweifel am symbiontischen Verhältnis zwischen einem großen Teil der etablierten Medien und einer der führenden Industriellendynastien Deutschlands lassen kann.

In einer Diskussionssendung [4] zum Thema Bild anläßlich des 60. Jahrestages der Erstausgabe des Blattes führte der ehemalige Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, die Vergabe dieses Preises durch renommierte Journalisten als Beleg für die Seriosität der Bild-Zeitung an. Was Wunder, verdingt sich Elitz doch selbst als Kolumnist für dieses Blatt, und das mit einer Schreibe, die sich volkstümlich gibt, um darüber hinwegzutäuschen, daß das Ziel angeblicher Leistungseliten gerade nicht darin besteht, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. So wurde in der Sendung das Beispiel eines Kommentars aufgegriffen und von der Medienjournalistin Ulrike Simon kritisiert, in dem Elitz das hohe Lied des Fußballs singt, um den an der sozialen Realität völlig vorbeigehenden Mythos, jeder könne alles erreichen, wenn er nur hart genug arbeite, zu kolportieren. Während Elitz hochbezahlten Sportlegionären nämliches andichtet, kommt er zum eigentlichen Zweck seiner Heldenrhetorik:

"Da gilt nur: Streng dich selber an! Denn die EM spannt keinen Rettungsschirm für Schlaffis auf.
Beim Fußball herrscht Fairplay. Wer foult, der fliegt. Dem bläst das Publikum den Abschiedsmarsch. Das ist die Fußballwelt! Sie ist gerecht!
Und auf dem Rasen spielen Männer, die die Freiheit lieben. Sie spielen auch für Millionen Ukrainer, die sich danach sehnen, so frei wie sie zu sein.
Das Fußballfest zeigt für drei Wochen, wie die Welt sein könnte - ohne Euro-Angst und ohne üble Diktatoren. Was für eine schöne Zeit! Wir werden sie genießen." [5]

Hier wird auf eine selbstgerechte Weise schwarzweiß gezeichnet, die die sozialen Antagonismen völlig ausblendet, die unterhalb der Ebene reicher Sportprofis und einer zur Freiheitsheldin hochstilisierten Oligarchin Millionen Menschen in ihrem Griff haben. Das Böse, das uns das Leben vermiest, wird in Menschen, die sich nicht in vorauseilendem Gehorsam ihrer Verwertung durch Lohnarbeit unterwerfen, und in Politikern, die das machen, was alle Leute ihres Schlages tun, in diesem Fall jedoch auf der falschen Seite der geopolitischen Interessen Deutschlands stehen, angesiedelt. "Statt Staatsbürger werden Schlaffis herangefüttert", so tönt Elitz schon in seinem 2009 veröffentlichten Buch "Ich bleib dann mal hier. Eine deutsche Heimatkunde" im Kontext einer angeblich verfehlten, da nicht mit genügend Pflichten für Leistungsempfänger verbundenen Sozialpolitik. Populismus übersichtlichster Art, präsentiert von einem Hochschullehrer und Journalisten, der bei den besten Adressen deutscher Publizistik gearbeitet hat und nun mit seinem Namen dafür sorgt, daß der von seinesgleichen favorisierte Sarrazynismus weiterhin den Keil in eine potentiell zum Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung bereite Bevölkerung treibt.

Und Elitz ist damit nicht allein, befindet er sich doch in der besten Gesellschaft angeblicher Intellektueller wie Alice Schwarzer, angegrauter Popstars wie Udo Lindenberg und Schauspieler aller Preislagen. Lediglich Judith Holofernes war nicht damit einverstanden, sich vor den Bild-Karren spannen zu lassen, was für einiges Aufsehen sorgte [6], weil man ein solches Angebot offensichtlich nicht wirklich ablehnen kann. Die kulturellen Eliten der Berliner Republik halten auch deshalb Hof bei Springer, weil der Abstand im sozialchauvinistischen und bellizistischen Tenor zu anderen, sich seriöser gebenden Zeitungen immer geringer wird. Der Eklat um die diesjährige Verleihung des Henri Nannen-Preises [7] war denn auch keiner, weil die dagegen gerichteten Proteste von Journalisten ausgingen, deren Abstand zu Bild eher wie Standesdünkel wirkt, als daß er einem Journalismus Rechnung trüge, der Mut beweist, indem er die Hegemonie von Staat und Kapital angreift.

Um sich in diesem Land mit herrschenden Interessen anzulegen, reicht eine Enthüllungsstory über Korruption im Amt oder die Vertuschung eines Umweltskandals nicht aus. Von diesen nicht vereinnahmbar zu sein erfordert mehr, als sich an ohnehin für den Pranger freigegebenen Feindbildern abzuarbeiten und mit demonstrativen Bekenntnissen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Klassenkampf von oben zu legitimieren. Daß die Zugehörigkeit zur Elite der Meinungsmacher selbst korrumpiert, merken die Herolde der Freiheit spätestens dann, wenn sie ihre Privilegien gefährden müßten, um eine Kritik zu üben, die diesen Namen verdient.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub0972.html

[2] http://www.mediummagazin.de/aktuelles/gefahrliche-zeiten/

[3] http://www.nachdenkseiten.de/?p=9650

[4] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/imgespraech/1791860/

[5] http://www.bild.de/news/standards/spanien-krise/lernen-vom-fussball-24568008.bild.html

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0880.html

[7] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0930.html

24. Juni 2012